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Hitlers "Mein Kampf" - im Buchladen

Sarah Judith Hofmann / Silke Bartlick8. Januar 2016

70 Jahre nach Hitlers Tod kann "Mein Kampf" in Deutschland wieder gekauft werden. Spannend ist: Wer wird es lesen? Und: Wie gefährlich ist die Hetzschrift in Zeiten von Flüchtlingskrise und Pegida?

Deutschland Mein Kampf von Adolf Hitler
Historische Ausgabe von "Mein Kampf" - wie man sie auch in den vergangenen Jahren im Internet erstehen konnteBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Für die einen ist es ein Horrorszenario. Für andere der lang ersehnte Abschluss eines mühevollen Projekts: Ab Januar 2016 ist "Mein Kampf" in deutschen Buchläden zu kaufen. Genauer gesagt: Eine historisch-kritische Ausgabe, von renommierten Geschichtswissenschaftlern in den Kontext der Zeit gesetzt und für die Leser heute erläutert. Hitler wird also nicht vom Buchcover strahlen. Und auch vom berüchtigten Titel in Grusel erregender Runenschrift kann keine Rede sein. Nüchtern wie ein Studie kommt die zweibändige Neuausgabe daher.

Und doch erregt das Thema die Gemüter in Deutschland. Von Bundestagsabgeordneten über den Zentralrat der Juden in Deutschland bis hin zum Deutschen Historikerverband sorgte das Thema in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder für Diskussionen. Denn seit langem war klar: Der Urheberschutz endet 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Dies gilt europaweit, im Falle von Hitlers "Mein Kampf" Anfang 2016. (Hitler brachte sich bekanntermaßen am 30. April 1945 um, als längst klar war, dass er den Krieg nicht gewinnen würde). Danach wird das Buch "gemeinfrei" - das bedeutet, es kann grundsätzlich von jedem nachgedruckt und verbreitet werden.

Bislang wagt dies aber nur ein Verlag: Das Institut für Zeitgeschichte in München (IZF). Seit 2009 arbeiten dort Experten an einer historisch kommentierten Version. "Es wäre nicht gut, wenn nicht sogar unverantwortlich, wenn man diesen Text gewissermaßen frei kursieren ließe und er dann überall verfügbar wäre", erklärt der Leiter des Instituts, Andreas Wirsching, die Beweggründe des Teams. "Es geht um Aufklärung", sagt er im DW-Interview. "Wenn man sich die Edition ansieht, wird man sehr viele neue Informationen finden, die einem helfen, den Text ausschnittsweise besser zu verstehen, und damit im Idealfall auch die Geschichte des Nationalsozialismus besser zu begreifen."

Werbung für "Mein Kampf" von 1939. Nachdem die NSDAP das Buch zur Pflichtlektüre erklärt hatte, wurden 5,2 Millionen Kopien verkauft.Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library

Mythos "Mein Kampf"

In Deutschland wird zwar viel über "Mein Kampf" gesprochen - es gibt jedoch kaum fundiertes Wissen: Obwohl es das einzige autobiographisch eingefärbte Dokument des NS-Führers ist, fehlen eingehende Analysen zu Entstehung, Struktur und vor allem zur Wirkung der Hetzschrift in seiner Zeit. Bis heute hält sich die Legende vom "ungelesenen Bestseller". Millionen hätten das Buch zwar gekauft (oder geschenkt bekommen), aber gelesen habe man es meistens nicht. Und somit - so die Rechtfertigungsstrategie vieler Deutscher nach dem Krieg - auch nicht wissen können, welche Verbrechen Hitler plante.

Es gebe sehr viele Themen, bei denen man aus "Mein Kampf" ersehen könne, welche Rolle Hitler tatsächlich gespielt habe, argumentiert Wirsching diesem Mythos entgegen. Das sei etwa bei der Idee eines Krieges um sogenannten "Lebensraum" in Osteuropa der Fall, auch beim Überfall auf Polen 1939 und auf die Sowjetunion 1941. Ebenso beim Thema Antisemitismus, Zwangssterilisation und Euthanasie. All diese später von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen seien in Hitlers Buch von 1924 (Erscheinen des Ersten Bandes) beziehungsweise 1927 (Zweiter Band) bereits Thema.

Das Theaterkollektiv "Rimini Protokoll" brachte "Mein Kampf" schon im Sommer auf die BühneBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Die Kommentare der Neuausgabe von 2016 hätten daher mehrere Funktionen, so Wirsching. Sie erklärten historische Konstellationen, Personen, Hintergründe. "Dann geht es aber vor allem auch darum, Hitler, der hier als Demagoge fast ununterbrochen spricht, gewissermaßen ins Wort zu fallen. Das heißt seine Halbwahrheiten, seine hetzerischen Anspielungen, seine glatten Lügen zu entlarven." Und auf die Folgejahre zu verweisen, "da vieles von dem, was Hitler in 'Mein Kampf' schreibt, nach 1933 ziemlich brutale Realität wird."

Ursprünglich wurde das Institut in diesem Ansatz vom Freistaat Bayern finanziell unterstützt. Dieser war bislang Inhaber der Urheber- und Verlagsrechte von "Mein Kampf". Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Alliierten die Rechte vom NSDAP-Verlag "Eher" auf das Bundesland übertragen. Dieser hatte sie seitdem dazu benutzt, Nachdrucke und damit die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts zu unterbinden.

Der Eklat: Politiker versus Historiker

Doch dann stoppte die bayerische Staatsregierung die finanzielle Unterstützung des Forschungsvorhabens. Auslöser war Kritik aus Israel und von der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch: "Hitlers Machwerk ist von Hass und Menschenverachtung durchdrungen und erfüllt Experten zufolge den Tatbestand der Volksverhetzung." Das sei grundsätzlich ein Argument, das er nachvollziehen könne, sagt der Historiker Wirsching. "Dass man die Würde der Opfer, im Sinne der Empathie, in diesem Punkt respektieren muss. Das tun wir auch, das ist gar keine Frage. Es war für uns damals trotzdem nicht so ganz lustig, diese Kehrtwende auszuhalten." Die Zuwendungsbescheide waren zugesichert worden. Die Förderung blieb durch Umwidmung letztlich dann doch beim Institut für Zeitgeschichte.

Pegida-Demonstranten mit "Lügenpresse"-PlakatenBild: picture-alliance/dpa/M. Eich

Doch Kritik kam nicht nur von Seiten derjenigen, die das Buch weiterhin am liebsten für immer verbannen wollten. Vor einigen Jahren versuchte auch der Sozialwissenschaftler Horst Pöttker eine Kommentierung des Werkes für das Projekt "Zeitungszeugen" auf den Weg zu bringen. Der Freistaat Bayern verhinderte das Projekt damals jedoch mit Verweis auf das Urheberrecht. Dass allein eine historisch-kritische Ausgabe erscheint, hielt Pöttker schon vor Monaten für falsch: "Historisch-kritisch bedeutet ja auch, verschiedene Schichten der Textentstehung nachzuvollziehen", sagte er der DW. "Ist akribische Textphilologie hier wirklich wichtig? Meiner Meinung nach ist wichtig, dass eine breite Öffentlichkeit endlich von den Inhalten dieses Buchs erfährt und eine realistische Einschätzung davon entwickelt, auf kritischer Grundlage."

Und so ist wohl die wichtigste Frage im Zusammenhang mit dem Ende des Urheberrechts nicht allein die, wer wohl noch alles Hitlers Schriften drucken, sondern vor allem die, wer sie lesen wird. Die sogenannten "Wutbürger" auf Pegida-Demonstrationen, deren fremdenfeindliche Slogans vielen Menschen in Deutschland derzeit Sorge macht? All jene, die das Wort "Lügenpresse" - das aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt - auf Plakate schreiben? Oder gar NPD-Funktionäre, deren Partei im Jahr 2016 zwar ein neues Verbotsverfahren droht, die aber ab dem neuen Jahr frei aus Hitlers Werk zitieren dürften?

Wer wird "Mein Kampf" zukünftig lesen?

Im Internet sind seit langem Auszüge aus Hitlers Kampfschrift frei verfügbar, ohne dass die Justiz viel dagegen unternehmen könnte. Auf legal in Deutschland operierenden Internetplattformen, Ebay zum Beispiel, werden antiquarische Auflagen von "Mein Kampf" angeboten. Es zu lesen war auch nie verboten - allein, es kommerziell zu vertreiben. "Das Buch 'Mein Kampf' ist nicht im engeren Sinne unmittelbar gefährlich", findet Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte. Es habe aber eine hohe Symbolwirkung. "Themen wie Antisemitismus und Rassismus sind natürlich auch heute bedauerlicherweise nicht ganz ohne Bedeutung. Da kann man nicht völlig ausschließen, dass das ein oder andere Zitat aus dem Buch auch noch aufgenommen wird."

Hitlers Hetzschrift wird weltweit verkauft - ohne rechtliche Konsequenzen. Hier: in Kabul.Bild: picture-alliance/dpa

Eine Antwort darauf, wer "Mein Kampf" künftig lesen wird, kann es nicht geben. Nur das Angebot, künftig in einer kommentierten Ausgabe kritisch lesen zu können. Wer Zitate ohne historische Kenntnis herausgreift, macht sich übrigens eventuell nach wie vor schuldig. Der Tatbestand der Volksverhetzung gilt weiterhin.

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