Die Nachtigall ist kein urbaner Vogel wie der Spatz oder Mauersegler. Trotzdem gibt es in keiner anderen europäischen Großstadt so viele Brutpaare pro Quadratkilometer wie in Berlin.
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Einige Teilnehmer haben ihr Vogel-Lexikon und Taschenlampen mitgebracht, andere wollen an diesem Abend einfach nur den zauberhaften Gesang hören. Die siebenköpfige Gruppe, angeführt von der Ornithologin Kim Mortega, muss nicht weit in den Tiergarten hineingehen, bis die ersten Nachtigallen loszwitschern.
"Hören Sie? Es ist ein Battle-Rap", sagt Mortega. Bei Nachtigallen sind die Rollen klar: Nur die Männchen singen, hauptsächlich nachts, um ein Weibchen anzulocken.
Berlin hat mit 1300 bis 1700 Brutpaaren eine vergleichsweise hohe Nachtigall-Population. Und sie wächst laut der Berliner Naturschutzbehörde um etwa sechs Prozent jährlich. Eigentlich nistet die Nachtigall an Feldrändern oder in Büschen am Boden. Am liebsten in dichtem Gestrüpp, in Himbeer- und Brombeerbüschen, zwischen Brennnesseln und Hopfenranken.
Ihr Nest baut sie aus altem Laub und trockenen Gräsern. Aber warum suchen sich die Zugvögel Berlin aus? „Wir glauben, dass die Nachtigallen wegen der ungepflegten Grünflächen und verwilderten Parks nach Berlin kommen“, sagt die Biologin Silke Voigt-Heucke.
Das perfekte Zuhause: Verwaiste Parks, verwilderte S-Bahn-Trassen
Überraschenderweise finden sie gerade in Berlin viele Standorte, die ihren Bedürfnissen entsprechen, sogar entlang der bewachsenen S-Bahn-Trassen oder an der Stadtautobahn. Warum die Nachtigallen ihre Nester lieber im Tiergarten als im Frankenwald bauen, will Silke Voigt-Heuckes Projektteam von „Forschungsfall Nachtigall“ am Berliner Museum für Naturkunde herausfinden.
Die Nachtigallen fliegen Mitte April aus Afrika zurück in ihre deutschen Brutgebiete. Von geschätzten 95.000 in ganz Deutschland kommen jedes Jahr rund 3000 der kleinen Sänger nach Berlin.
Die Nachtigall, oder auch Luscinia megarhynchos, wird oft mit ihrer Schwesterart, dem Sprosser verwechselt. Nachtigallen sind klein und unscheinbar, aber wenn sie losschmettern, kann man kaum glauben, dass ein nur 16 Zentimeter langer Vogel soviel Stimmkraft und Ausdauer aufbringen kann. Es gibt Aufnahmen, in denen Männchen bis zu 20 Stunden durchsingen. Ihr vielfältiger Gesang hat die Nachtigall weltweit zu einem der wichtigsten Symbole der romantischen Liebe gemacht und Schriftsteller von der Antike bis heute inspiriert. "Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche.." behauptet etwa Julia in Shakespeares Liebesdrama, um ihr Stelldichein mit Romeo zu verlängern.
"Den Dichtern gehen mittlerweile die Worte aus, um ihre Emotionen zu beschreiben, wenn sie einer Nachtigall zuhören", sagt die Biologin Sarah Darwin, eine Nachfahrin des berühmten Biologen Charles Darwin. "Viele Menschen haben mehr Geschichten über die Nachtigall gehört als den Gesang an sich." Darwin ist Teil des Teams bei "Forschungsfall Nachtigall".
Sie ist seit Jahren von den Kompositionen der kleinen Virtuosen fasziniert. "Die Nachtigall singt in Strophen und jede klingt ein bisschen anders", sagt sie im DW-Interview. Die Männchen haben im Schnitt 180 Strophentypen in ihrem Repertoire. "Das macht den Vogel zu einem der vielseitigsten Sänger überhaupt."
Bürger forschen
Und zum Popstar seiner Art. Das dient auch der Wissenschaft. "Die Nachtigall ist eine perfekte Einstiegs-Spezies, um Menschen wieder für die Natur zu begeistern", sagt die Biologin. Die Mitarbeiterinnen am Museum für Naturkunde haben deshalb eine kostenfreie Smartphone-App namens Naturblick entwickelt. Mit einem Klick können Nutzer anonym Vogelgesänge aufnehmen und mit der Datenbank des Projekts teilen. 2018 gab es bereits einen Aufruf für Berlin. Dieses Jahr gilt er für ganz Deutschland.
Sobald die Aufnahmen eingegangen sind, werden sie geortet und mit einem Zeitstempel versehen. Ein Algorithmus prüft dann, ob es sich wirklich um eine Nachtigall handelt. Die Ornithologinnen wollen anhand der Daten die bevorzugten Brutstätten und die Bedeutung der Nachtigall-Gesänge untersuchen sowie regionale Dialekte erkennen. Die Nutzer können dann die Gesänge auf einer interaktiven Landkarte aufrufen.
Und was macht nun die besondere Berliner Nachtigallen-Schnauze aus? Viele Hauptstädter wollen sogar elektronische Beats aus dem Vogelkonzert herausgehört haben. "Ja es klingt definitiv Techno durch, mehr Techno als Paganini", sagt Sarah Darwin. "Der Gesang ist zwar nicht besonders melodisch, aber dafür kraftvoll und bestimmt."
Und damit kommt der kleine Vogel auch ganz gut gegen den Stadtlärm an. „Wir glauben sogar, dass sie gegen den Lärm ansingen, aber das ist eine Theorie, die noch belegt werden muss", sagt Silke Voigt-Heucke. Nach der Evolutionstheorie sei das sogar plausibel, denn je fitter und lauter die Männchen seien, desto bessere Chancen hätten sie bei der Fortpflanzung.
Hat das Männchen ein Weibchen gefunden, kümmert sich das Paar um den Nestbau und bleiben zusammen - zumindest bis die Brutsaison vorbei ist. Die nächtlichen Liebeslieder verwandeln sich dann in aggressiveren Reviergesang.
Totholz strotzt vor Leben
Absterbende oder tote Bäume sind unersetzlich für das Ökosystem. Die naturnahen Flächen tragen zur Förderung der Artenvielfalt bei. Die Bundesregierung empfiehlt, Totholz an Ort und Stelle zu belassen.
Bild: Karin Jäger
Tot am Rhein - naturrein
Ein Hybridpappelstamm liegt am Bonner Rheinufer, um selten gewordene Insektenarten anzulocken. Einige Käfer sind auf dicke Stämme angewiesen, die langsam verrotten, weil ihre Larven bis zu fünf Jahre zur Entwicklung brauchen.
Pappeln können Überflutung tolerieren, während sie Trockenheit nur schlecht vertragen. Alte und kranke Bäume werden nun durch standortgerechte Eichen und Eschen ersetzt.
Bild: Karin Jäger
Nicht von den Holzfällern vergessen worden!
Gruppenweise zusammengestapelte Totholz-Stämme haben für die Vogelwelt in den Wäldern einen sehr hohen ökologischen Wert. Der Mäusebussard nutzt Lichtschächte, um dort kleinere Säugetiere zu jagen. Der Kuckuck sucht nach Wirtsnestern.
Bild: Karin Jäger
Totholz gehört zum Wald
Der Buchenwald im Nationalpark Müritz-Serahn darf sich so entwickeln, wie die Natur es will. Zwei Prozent der Landfläche Deutschlands soll verwildern, ohne dass der Mensch eingreift. Der Prozess dient der Förderung der Artenvielfalt, denn zwei Drittel aller Waldvögel sind auf Totholz angewiesen. Es dient ihnen als Nahrungsbiotop, Brutraum und Kommunikationsplatz.
Bild: picture alliance/blickwinkel
Behämmert, fleißig, dominant
Der Buntspecht pickt Insekten aus der Rinde. Und mit seinem spitzen Schnabel höhlt er Stämme aus, um vollständig darin zu verschwinden. Andere Höhlenbewohner wie Tannenmeise, Hohltaube, Eichhörnchen, Siebenschläfer, Wald- und Fledermaus
profitieren von der Arbeit des "Zimmermann des Waldes". Auch hämmert er auf Holz, um allen anderen klarzumachen: "Das ist mein Revier!"
Bild: imago/McPhoto
Vom Blitz getroffen
Ein Gewitter hatte die Fichte ins Mark getroffen. Morsche Äste und Stämme können umfallen und für Erholungssuchende und Waldarbeiter lebensgefährlich sein. Deshalb wurde dieses Exemplar zersägt und abseits des Weges zum Zerfall der Natur überlassen.
Bild: Karin Jäger
Es war einmal...
...ein stattlicher Baum. Doch dieser Totholz-Stamm wurde vom Regen aufgeweicht und zeigt schon deutliche Spuren von Zersetzung durch Niederschläge, kleine Tiere und Pilze.
Bild: Karin Jäger
Gefürchteter Vielfraß
Der Borkenkäfer ist der schlimmste tierische Waldzerstörer. Das Insekt befällt Bäume, die von extremer Trockenheit und Hitze instabil geworden sind. Der Klimawandel wird die Vermehrung des Schädlings fördern, sind sich Ökologen sicher. Befallene Bäume sind an der abgeplatzten Rinde zu erkennen oder am Bohrmehl, das um den Stamm liegt.
Älteres Totholz wird vom Borkenkäfer jedoch nicht besiedelt.
Bild: Imago/S. Schellhorn
Zeichensprache oder Kunst am Baum?
Hier waren Borkenkäfer oder andere Insekten am Werk, deutlich zu erkennen am Fraß- und Brutbild unter der Baumrinde. Entstanden sind Rammelkammern, Mutter- und Larvengänge, die dem Stamm eine charakteristische Form gegeben haben.
Bild: Karin Jäger
Mystisch, morbide, morsch
Auf den ersten Blick vermittelt absterbendes oder totes Holz den Eindruck von Vergehen und Zerfall. Und doch leben unzählige Vögel, Insekten, Pilze und Pflanzen von diesem Prozess. Und es veranschaulicht: Nichts bleibt wie es war.
Bild: Karin Jäger
Fortschreitender Zerfall
Zerhackt, durchlöchert, mit Moos bewachsen, zersiedelt und von anderen Ästen und Laub bedeckt. Hier haben Vögel, Nagetiere, Würmer, Schnecken und Pilze ganze Arbeit geleistet. Der Baum ist in seiner ursprünglichen Struktur kaum noch zu erkennen.
Bild: Karin Jäger
Wo Kräfte lange walten...
...da werden selbst große Bäume dem Erdboden gleich gemacht. Pilze leisten den größten Beitrag im Ökosystem Wald. Sie bauen Lignin ab und schließen Cellulose auf. So kann nährstoffreicher Humus entstehen - Dünger für neues Wachstum. Forscher aus Leipzig fanden heraus, dass im Totholz mehr als 1200 Pilzarten leben und diese mit Bakterien und Wirbellosen eine Gemeinschaft bilden.
Bild: Karin Jäger
Farbtupfer getarnt unter totem Holz
Erwachsene Feuersalamander ernähren sich hauptsächlich von Schnecken, Tausendfüsslern, Asseln, Ohrwürmern und Laufkäfern. Und die finden sie unter Laubschichten und in trockenen Gehölzen feuchterer Wälder. Zwischendurch verstecken sich die nachtaktiven Reptilien in Höhlen und Ritzen abgestorbener Bäume.
Bild: imago/JuNiArt
Hindernis auf der Wasserautobahn
Durch Flussbegradigungen hat sich die Fließgeschwindigkeit von Gewässern erhöht. Viele Fische haben dadurch ihre Lebensräume verloren. Totholz im Fluss verändert die Strömungsverhältnisse, schafft Ruhebereiche und Verstecke. Schnecken und Eintagsfliegen finden Nahrung, ehe sie von Fischen gefressen werden. Zur Förderung der Biodiversität legen nicht Biber, sondern Naturschützer Bäume ins Wasser.
Bild: Karin Jäger
Leben und Tod - ein Kreislauf
Bäume speichern CO2 aus der Atmosphäre. Bei der Bekämpfung des Treibhauseffekts spielt der Wald so eine entscheidende Rolle. Wird ein Baum gefällt, wird der im Holz enthaltene Kohlenstoff dem Waldökosystem entnommen. Zersetzen Witterung und Lebewesen den Baum vor Ort, wird in dem Totholz erneut Kohlenstoff gebildet. Und der gelangt in Humusform zurück in den Boden.
Bild: Rüdiger Biehl
Ruhezone für Mensch - Lebensraum für Insekten
Totholz in der Bonner Rheinaue. Ein Anblick, an den sich die Besucher des Freizeitparks erst noch gewöhnen müssen. Dieses Exemplar hat die Studentin aus Madagaskar für sich entdeckt. Sie nutzt das wärmende Holz als Frühlingssonnenbank.
Bild: Karin Jäger
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Größtes Risiko: Habitatverlust
Noch ist der Bestand in Deutschland nicht gefährdet. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) schätzt die Nachtigall-Population auf etwa 95.000 Nachtigallenpaare. In Europa gibt es schätzungsweise 4,2 bis 11,6 Millionen Brutpaare. Seit den 1990-ern bleibt der deutsche Bestand mit einigen Schwankungen grundsätzlich stabil.
In einigen Regionen Europas ist die Situation allerdings kritischer. Etwa in Großbritannien, wo die Nachtigall-Population innerhalb der vergangenen 50 Jahre um 90 Prozent geschrumpftist. Dafür gibt es noch keine eindeutigen wissenschaftlichen Erklärungen, nur ein paar Hinweise. „Sicherlich spielt die intensive Landwirtschaft in Großbritannien eine entscheidende Rolle“, sagt Voigt-Heucke im DW-Interview. Der Vogelkundlerin zufolge gebe es keine andere Region in Europa, in der die Nachtigallen-Population so stark zurückgegangen sei.
Außerdem gebe es dort sehr Rehwild, das gerne die niedrigen Büsche abknabbere und damit potenziellen Brutplätze der Nachtigallen zerstöre. Aber auch hierzulande ist die Population der nächtlichen Sänger nicht überall stabil. So gingen durch intensive Land- und Forstwirtschaft in Nordbayern in den vergangenen Jahren viele Lebensräume für die Nachtigallen verloren. „Wir müssen auch in Deutschland darauf achten und die Lebensräume schützen, damit wir ihrem wunderschönen Gesang auch noch in 100 Jahren lauschen können“, sagt Silke-Voigt-Heucke.
Deshalb wollen die Biologinnen bei "Forschungsfall Nachtigall" ihr Wissen über Nachtigallen weitergeben und möglichst viele Menschen dazu anregen, die biologische Vielfalt um sich herum selbst zu entdecken – sogar mitten in Berlin.
Die wilden Nandus von Deutschland
Eigentlich ist der Nandu im warmen Südamerika zu Hause. Doch zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern lebt ein kleiner Bestand der flugunfähigen Vögel, der vor allem Landwirte und Naturschützer ärgert.
Bild: picture-alliance/dpa/C. Charisius
Zahl der Nandus zurückgegangen
Dieser mürrisch dreinblickende wilde Nandu lebt mit seinen Artgenossen im Grenzgebiet zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Das Gebiet, in dem die Tiere leben, hat sich zwar vergrößert, doch der Bestand schrumpft. Im Frühjahr wurden 362 Nandus gezählt, 2018 waren es noch 566 Vögel.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner
Zuhause in Südamerika
Der Nandu ist eine Vogel-Art aus Südamerika. Fliegen kann er aber nicht. Man findet ihn zum Beispiel in Argentinien, Brasilien oder Urugay. Die Population in Mecklenburg-Vorpommern stammt von Nandus ab, die vor knapp 20 Jahren von einer Nandufarm in der Nähe von Lübeck ausgebüxt sind.
Bild: picture-alliance/dpa
Frei zur Jagd
Da die angebohrten Eier nicht den gewünschten Erfolg erzielt haben, erhielten zwei Landwirte 2018 zusätzlich eine Ausnahmegenehmigung zur Jagd. Sie durften insgesamt 20 Tiere schießen. Grundsätzlich sind Nandus aber durch das Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt.
Bild: picture-alliance/dpa/C. Charisius
Ernteschäden durch die Nandus eindämmen
Für manche ein schönes Fotomotiv, für andere eine Plage - gerade die Landwirte in der Region haben mit den Nandus zu kämpfen. Sie klagen über Ernteschäden, vor allem Raps und Weizen sind betroffen. Da die Tiere meist unbeeindruckt von Vogelscheuchen und Co sind, haben Bauern und Naturschützer 2018 rund 190 Nandueier angebohrt, um die Zahl der Küken zu reduzieren.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner
Sind die Nandus invasiv?
Die Population der Vögel schrumpft. Trotzdem betrachten nicht nur Landwirte die wilden Nandus als Problem. MV-Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) möchte prüfen, ob es sich beim Nandu um eine invasive Art handelt - also ob ihre Ausbreitung "negative Auswirkungen auf heimische Lebensräume, Arten oder Ökosysteme hat".