Warum Russland die Angriffe auf die Ukraine verstärkt
12. Juli 2025
Am Freitagmorgen hat Russland wieder einen Drohnenangriff auf Odessa durchgeführt. Lokalen Medien zufolge wurden bei dem Angriff das Gebäude der territorialen Rekrutierungsstelle der ukrainischen Armee sowie Wohngebäude getroffen.
Einen Tag vorher wurden bei einem massiven nächtlichen Angriff auf Kyjiw mindestens zwei Menschen getötet, es gab Einschläge in mehreren Bezirken der Hauptstadt der Ukraine. Bürgermeister Vitali Klitschko meldete die Zerstörung einer Ambulanzstation.
In letzter Zeit gab es eine ganze Reihe massiver kombinierter Angriffe Russlands. Was in der Nacht des 4. Juli in Kyjiw geschah, wurde in den ukrainischen Medien als "Höllennacht" bezeichnet. Die russische Armee hatte über 500 Drohnen sowie Kinschal- und Iskander-Raketen eingesetzt.
Daraufhin erklärte sogar US-Präsident Donald Trump, der sich zuvor als Vermittler im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine betrachtet hatte, von Russland enttäuscht zu sein. Er verschärfte auch seine Rhetorik gegenüber dem Kreml. "Wir bekommen von Putin eine Menge Blödsinn aufgetischt", sagte Trump und fügte hinzu, der russische Präsident sei "immer sehr nett", aber das stelle sich am Ende als bedeutungslos heraus.
Kurz nach diesen Äußerungen nahmen die USA laut Reuters die Lieferungen bestimmter Waffentypen an die Ukraine wieder auf. Dabei handelt es sich nach Angaben der Nachrichtenagentur um Artilleriegeschosse und Selbstfahrlafetten.
Produktion Tausender Drohnen pro Monat
Aufgrund des Ausbaus seiner Drohnenproduktion ist Russland heute in der Lage, solche massiven Angriffe durchzuführen. Es ist dafür nicht mehr auf den Iran angewiesen, wie es noch im Jahr 2022 war.
"Russland setzt seit 2022 Drohnen ein, aber das Ausmaß hat sich geändert", sagt der Experte für Militärtechnologie, David Hambling, gegenüber der DW. "Es werden jetzt Tausende von Drohnen pro Monat, vielleicht sogar Zehntausende produziert. Das reicht aus, um die meisten Verteidigungssysteme, die darauf ausgelegt sind, Raketen abzufangen, zu überfordern", erläutert er.
Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer weist im DW-Gespräch darauf hin, dass Russland ohne die Hilfe anderer Länder keine derart massiven Angriffe auf die Ukraine durchführen könne. China beliefere Russland mit Teilen, die der Kreml zum Bau von Drohnen verwende, und Nordkorea stelle Moskau ballistische Raketen zur Verfügung. "Man sieht, dass hier Russland auf Unterstützer zurückgreift", so Reisner.
Terrorisierung der ukrainischen Bevölkerung
Nach dem jüngsten Angriff auf Kyjiw äußerte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Einschätzung, warum Russland den Beschuss der Hauptstadt intensiviere. Wladimir Putin wolle, dass "die Menschen leiden und aus der Ukraine fliehen, dass Häuser, Schulen - das Leben an sich - überall zerstört wird, nicht nur an der Front", sagte Selenskyj nach Angaben des ukrainischen Nachrichtenportals NV.
Die New York Times schrieb unter Berufung auf Quellen aus dem Umfeld des Kremls, Russland wolle auf diese Weise die Verteidigung der Ukraine in den kommenden Monaten brechen.
Oberst Reisner sagt dazu, Wladimir Putin versuche, mit seinen jüngsten kombinierten Angriffen zwei strategische Ziele zu erreichen - erstens, den militärisch-industriellen Komplex der Ukraine zu zerstören, und zweitens, gleichzeitig mit Attacken auf die Zivilbevölkerung die ukrainische Öffentlichkeit zu beeinflussen. "Mit gezielten Angriffen auf die Bevölkerung, die quasi durch den Terror zusätzlich geschwächt werden soll, entsteht somit indirekt der Versuch, dass diese Druck auf die ukrainische Regierung ausübt", so Reisner.
Beginnt eine russische Sommeroffensive?
Viele Militärexperten erwarten, dass Russland in diesem Sommer eine neue Offensive startet. Der deutsche Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder sieht in den zunehmenden kombinierten Angriffen, denen die Ukraine in letzter Zeit ausgesetzt war, einen Teil dieser Kampagne.
Russlands Ziel sei es, die ukrainische Luftabwehr soweit außer Gefecht zu setzen, dass die Verluste nicht durch Nachschub aus westlichen Ländern ausgeglichen werden können. Es könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass sich Russland auf eine "Entscheidungsschlacht" vorbereite, vermutet Heinemann-Grüder. Er schließt nicht aus, dass es Russland noch gelingt, die Ukraine bis Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres in die Enge zu treiben und sie den Forderungen des Kremls unterzuordnen.
Was kann der Westen tun?
Im Gespräch mit der DW äußern die Experten die Überzeugung, dass der Westen entschlossener vorgehen müsse, um Russland auf dem Schlachtfeld die Initiative zu entreißen. Auf der Ukraine Recovery Conference zum Wiederaufbau der Ukraine, die in den vergangenen Tagen in Rom stattfand, erklärte Wolodymyr Selenskyj, die Ukraine habe eine Lösung zur Abwehr russischer Angriffe gefunden: Abfangdrohnen. Gleichzeitig betonte er, dass der Verteidigungssektor seines Landes dringend erhebliche Investitionen benötige.
Oberst Reisner bestätigt, dass die Ukraine bei der Produktion eigener Drohnen inzwischen gute Ergebnisse erzielt. Doch verzichten könne die Ukraine auf westliche Unterstützung nach wie vor nicht. "Es braucht Unterstützung des Westens, vor allem bei Spezialwaffensystemen, wie zum Beispiel jetzt ganz konkret Patriot-Flugabwehrraketen", sagt er. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte zuvor erklärt, Deutschland sei bereit, Patriot-Systeme von den USA für die Ukraine zu kaufen.
Um wirklich wirksame Hilfe zu leisten, müsse der Westen seine Ängste überwinden, an die Ukraine gelieferte Waffen könnten in russische Hände fallen, findet Andreas Heinemann-Grüder. Einige westliche Rüstungsunternehmen würden befürchten, in einem solchen Fall ihren technologischen Vorsprung zu verlieren. Außerdem hätten Rüstungsfirmen Bedenken, die Gründung von Joint Ventures mit der Ukraine könnte die Preise für ihre Produkte drücken. "Diese Art von Gedanken müssen meiner Ansicht nach überwunden werden", so der Experte.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk