Warum Russland im Ukraine-Krieg auf Nordkorea setzt
31. Oktober 2024Um wie viele nordkoreanische Soldaten geht es?
Ukrainische, südkoreanische und US-amerikanische Quellen berichten übereinstimmend, dass Nordkorea mindestens 10.000 seiner Soldaten nach Russland verlegt hat, in einigen Berichten ist von 12.000 die Rede.
Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte, er behalte sich einen Einsatz nordkoreanischer Soldaten vor. "Es ist unsere souveräne Entscheidung." Die Ukraine und ihre Unterstützer verurteilten die Truppenverlegung scharf. Sie befürchten eine weitere Eskalation des Kriegsgeschehens.
Wo befinden sich die nordkoreanischen Soldaten?
Die Truppen wurden zunächst in den fernen Osten Russlands verlegt, wo sie ein Training erhalten. Nach Medienberichten lernen sie unter anderem die wichtigsten militärischen Befehle auf Russisch. Auch sollen sie russische Uniformen tragen.
Ein Teil von ihnen soll in der Region Kursk angekommen sein, also nahe an der Grenze zur Ukraine. In diese russische Region war die ukrainische Armee Anfang August in einem Überraschungsangriff vorgestoßen und hatte zahlreiche Ortschaften unter ihre Kontrolle gebracht. Die russische Armee will das Gebiet zurückerobern. Dabei setzt sie möglicherweise auf die Unterstützung durch nordkoreanische Soldaten.
Wozu braucht Russlands Präsident Putin nordkoreanische Soldaten?
Die russischen Verluste im Ukraine-Krieg sind hoch. Im September sind nach Erkenntnissen des britischen Militärgeheimdienstes pro Tag im Schnitt 1271 russische Soldaten getötet oder schwer verwundet worden. Insgesamt sollen es seit Kriegsbeginn 2022 mehr als 600.000 sein. Laut Nato-Generalsekretär Mark Rutte sei Russland damit "nicht in der Lage, seinen Angriff auf die Ukraine ohne ausländische Unterstützung aufrechtzuerhalten".
Zwar braucht Putin dringend mehr Soldaten. Beobachter fragen sich allerdings auch, ob 10.000 nordkoreanische Soldaten auf Dauer die hohen russischen Verluste wettmachen können.
Wie könnte der Einsatz der Nordkoreaner ablaufen?
Der südkoreanische Geheimdienst geht davon aus, dass es sich bei den nordkoreanischen Truppen um hochqualifizierte Spezialeinheiten handelt. Wie und wo genau sie operieren sollen, ist noch unklar. "Das nordkoreanische Militär ist darauf ausgelegt, auf der koreanischen Halbinsel zu kämpfen und nicht im Ausland eingesetzt zu werden", betont Mark Cancian, leitender Berater des Programms für internationale Sicherheit am US-amerikanischen Thinktank CSIS. Er gehe davon aus, dass keiner der Soldaten je zuvor im Ausland gewesen sei.
Seiner Meinung nach könnten die Soldaten spezielle Aufgaben bekommen, etwa im Bereich der Logistik oder im Zusammenhang mit den an Russland gelieferten nordkoreanischen Raketen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist davon überzeugt, dass sie an die Front geschickt werden. "Die Ukraine wird faktisch gezwungen sein, in Europa gegen Nordkorea zu kämpfen."
Verstößt der Einsatz nordkoreanischer Soldaten im Krieg gegen die Ukraine gegen Völkerrecht?
Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine verletzt Russland das völkerrechtliche Gewaltverbot. Sollte Nordkorea mit eigenen Soldaten den russischen Angriffskrieg unterstützen, "dann würde auch Nordkorea völkerrechtswidrig handeln", erläutert Claus Kreß, Professor für Strafrecht und Völkerrecht an der Universität zu Köln.
Ob die nordkoreanischen Soldaten in der russischen Kursk-Region, in von Russland annektierten oder anderen ukrainischen Regionen eingesetzt würden, mache keinen Unterschied, so Kreß gegenüber der DW. An allen genannten Orten würde Nordkorea mindestens Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Gewalteinsatz leisten.
Würde Nordkorea damit zur Konfliktpartei?
Das hänge von der Kommandogewalt über die nordkoreanischen Soldaten ab, sagt Kreß. "Bei alleinigem Kommando Russlands wäre das Handeln dieser Soldaten völkerrechtlich allein Russland zuzurechnen." Und Nordkorea somit nicht Konfliktpartei. Selbst dann nicht, wenn die von Nordkorea entsandten Soldaten unmittelbar an den Feindseligkeiten zwischen Russland und der Ukraine teilnähmen, betont Kreß.
"Anders wäre es, wenn Nordkorea das Kommando über seine entsandten Soldaten behielte, sei es allein oder gemeinsam mit Russland", so Kreß. Dann würde Nordkorea durch eine unmittelbare Beteiligung seiner Soldaten an den Feindseligkeiten zur Konfliktpartei.
In diesem Fall, so Kreß, dürfte die Ukraine sich "im Rahmen des Erforderlichen und Verhältnismäßigen" auch auf nordkoreanischem Staatsgebiet verteidigen – also militärisch gegen Nordkorea vorgehen. Wenn der Gewalteinsatz eine gewisse Intensität erreiche, wäre das nämlich ein bewaffneter Angriff Nordkoreas gegen die Ukraine.
Was bekommt Nordkorea für diesen Einsatz?
Mit 1,3 Millionen Soldatinnen und Soldaten verfügt Nordkorea über eine der größten Armeen der Welt. Der Einsatz der Truppen könnte der nordkoreanischen Armee Kampferfahrung verschaffen, was das Drohpotential gegenüber dem Nachbarn Südkorea noch einmal erhöhen würde.
Vor der Entsendung von Truppen hatte Nordkorea bereits mehrere Millionen Schuss Munition und zahlreiche ballistischen Raketen an Russland geliefert, dessen Munitionsdepots sich im Ukraine-Krieg schnell geleert hatten. Zu den russischen Gegenleistungen sollen Nahrungsmittel, Treibstoff und möglicherweise auch Satellitentechnologie gehören.
Nach der Entsendung von Truppen könnte Diktator Kim Jong Un versuchen, seine Forderungen noch einmal hochzuschrauben, mutmaßt Korea-Experte Victor Cha vom US-amerikanischen Thinktank CSIS. Kim sei sehr interessiert an militärischer Spitzentechnologie, insbesondere für Interkontinentalraketen und Atom-U-Boote. "Kim ist nicht dumm. Er weiß, dass Putin sowohl die Munition als auch die Truppen aus Nordkorea braucht. Also warum keinen höheren Preis dafür verlangen?" Ob Putin diesem Wunsch dann auch entspreche, stehe auf einem anderen Blatt.
Was verbindet Russland und Nordkorea?
Schon in Zeiten des Kalten Krieges pflegten Moskau und Pjöngjang enge Beziehungen. Daran haben Putin und Kim nach dem Beginn des Ukraine-Krieges wieder angeknüpft.
Nordkoreas Unterstützung für Russland wurde früh deutlich, als das Land in der UN-Generalversammlung Anfang März 2022 gegen die Resolution stimmte, die den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilte – als eines von nur fünf Ländern.
Durch den Schulterschluss mit Russland konnte das international isolierte Nordkorea an dringend benötigte Waren und Technologie gelangen, während Putin Munition und Waffen für seine Armee bekam.
Die Zusammenarbeit gipfelte im Juni 2024 in einem gegenseitigen Verteidigungspakt.
Wie reagiert die Nato auf die Verlegung der nordkoreanischen Soldaten?
Nato-Generalsekretär Mark Rutte fand deutlich Worte: "Die Nato fordert Russland und Nordkorea auf, diese Handlungen unverzüglich einzustellen", erklärte er am 28. Oktober in Brüssel. Die Entsendung nordkoreanischer Truppen sei "eine weitere Verletzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und eine gefährliche Ausweitung des russischen Krieges".
Die Stationierung nordkoreanischer Truppen in Kursk wertet Rutte auch "als Zeichen für die wachsende Verzweiflung von Putin". Die Nato werde die Ukraine weiter unterstützen.
Die Nato müsse auf diese "unvorstellbare Provokation" reagieren, forderte Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Abgeordnete im Europaparlament, in der Rheinischen Post. "Die Achse des Bösen ist aktiv. Wer garantiert uns denn, dass nicht in wenigen Jahren nordkoreanische Soldaten im Baltikum eingesetzt werden oder die Chinesen diese einkaufen, um Taiwan anzugreifen?"
Was bedeutet das für Europa?
Für die Beziehungen Nordkoreas zu Europa werde dieser Schritt langfristige Folgen haben, warnt Korea-Experte Victor Cha vom Thinktank CSIS. "Europa war traditionell Nordkoreas Tor zum Westen und wurde von Pjöngjang als 'neutraler' angesehen als die Vereinigten Staaten."
Nordkoreanische Diplomaten seien in den meisten europäischen Hauptstädten präsent. Cha weiter: "Die Entscheidung Nordkoreas, Truppen zu entsenden, um Europäer zu töten, wird in den europäischen Hauptstädten nicht so schnell vergessen werden."