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Politik

Warum Russlands Umweltschützer in den Untergrund gehen

Mikhail Fedotov
20. November 2025

Noch wagen Russen Protestaktionen zu Umweltfragen. Doch immer mehr Organisationen werden verboten und Aktivisten verfolgt. Parallel schafft der Staat seine eigene Umweltagenda. Die DW hat mit Beobachtern gesprochen.

Überquellende Müllcontainer vor einem großen Wohnblock in Tscheljabinsk
Überquellende Müllcontainer in TscheljabinskBild: picture-alliance/dpa/TASS/D. Sorokin

Auf der diesjährigen, mittlerweile 30. UN-Klimakonferenz (COP30) im brasilianischen Belém ist auch Russland mit einer eigenen Delegation vertreten. Große Impulse für den gemeinsamen, globalen Kampf gegen den Klimawandel gehen von ihr jedoch nicht aus. Geleitet wird die russische Delegation von Ruslan Edelgerijew. Er ist der russische Sonderbeauftragte für Klima und Wasserressourcen. - und ein enger Vertrauter Wladimir Putins. Bei einem gemeinsamen Treffen kurz vor der COP Anfang November erklärte der Kremlchef  laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS, Russland solle sich im Dialog mit westlichen Ländern über die Klimaagenda vor allem "auf seine eigenen Interessen konzentrieren". Umwelt- und Klimaschutz spielen bei diesen Interessen keine große Rolle - im Gegenteil.

Verbot internationaler Umweltorganisationen

Schon vor über zwei Jahren, zwischen April und Juni 2023, hatten die russischen Behörden einige der größten internationalen Umweltorganisationen wie Greenpeace, den World Wildlife Fund (WWF) und Bellona zu "unerwünschten Organisationen" erklärt und ihre Arbeit in Russland unmöglich gemacht. Doch Bellona berichtet weiterhin über Umweltprobleme in Russland. Für eigene Analysen nutze man meist offen zugängliche Quellen, so die Organisation gegenüber der DW. Der WWF teilte auf Anfrage der DW mit, "in Russland nicht mehr aktiv" zu sein.

Allein im Herbst 2023, so der Verband "Russische Sozial-Ökologische Union", seien 38 Umweltorganisationen in Russland als "ausländische Agenten" eingestuft worden. 25 von ihnen mussten ihre Arbeit einstellen. Eine dieser Organisationen ist Ecodefense. Sie wurde bereits 2014 in Russland als "ausländischer Agent" gebrandmarkt und später per Gericht für aufgelöst erklärt.

Umweltaktivisten gehen in den Untergrund

Wladimir Sliwjak, Mitbegründer von Ecodefense, sagt im Gespräch mit der DW, dass einzelne Ökologen in Russland zwar noch in einem gewissen Rahmen auf Umweltprobleme aufmerksam machen könnten, Ecodefense aber aufgrund des Verbots nicht mehr offen arbeiten könne. "Es gibt Umweltschutzaktivitäten in Russland, aber sie finden im Untergrund statt", so der Aktivist. Ein Teil seiner Organisation ist daher vom Ausland aus aktiv und hilft bei Kampagnen gegen russische fossile Brennstoffe mit. "Es gibt Instrumente, mit denen man die Umweltsituation auch aus der Ferne überwachen kann. Man muss nicht vor Ort Proben sammeln. Es gibt Satelliten und viele Analysemethoden. Daher ist es kein Problem, herauszufinden, was mit der Umwelt in Russland geschieht", erläutert der Ökologe.

"Alle internationalen Umwelt-NGOs wurden verdrängt, lokale Aktivisten aus dem Land vertrieben, inhaftiert oder eingeschüchtert. Nur wer sich der militärischen und politischen Lage anpasst, ist noch aktiv", heißt es von Bellona. Der Organisation zufolge sei der Druck auf Umweltaktivisten in Russland schon seit Jahren "inakzeptabel hoch".

Ein Mann in Schutzkleidung auf dem Gelände eines stillgelegten Chemiewerks in der Region IrkutskBild: Tass/dpa/picture alliance

Nail Farchatdinow koordiniert die Analysen der Organisation Arctida, die sich dem Schutz der russischen Arktis verschrieben hat. Auch die Arbeit dieser Organisation ist in Russland blockiert. Es gebe aber noch Aktivisten, mit denen Arctida in Kontakt stehe, sie seien jetzt nur weniger präsent, so die Organisation gegenüber der DW. "Die Menschen versuchen, auf lokaler Ebene aktiv zu werden, um andere zu Veränderungen zu motivieren. Diese Arbeit ist von außen vielleicht nicht sichtbar, aber es gibt weiterhin vereinzelte Aktivitäten", so Farchatdinow.

Unterdessen würden verbotene Organisationen durch "staatsnahe zivilgesellschaftliche Strukturen" ersetzt. Es sind NGOs, die auf staatliche Initiative und mit Hilfe der Behörden gegründet wurden. Sie würden eher zu Greenwashing neigen - also Aktivitäten russischer Unternehmen umweltfreundlicher darstellen als sie tatsächlich sind. Farchatdinow zufolge würden solche Organisationen oft von Rohstoffkonzernen finanziert. "Das stellt ihre Unabhängigkeit infrage", so der Experte.

"Alternative Umweltagenda" in Russland

Durch die Schwächung unabhängiger Organisationen und die zunehmende Rolle des Staates entsteht laut Farchatdinow eine "alternative Umweltagenda", die den wirtschaftlichen Interessen der russischen Machthaber untergeordnet ist. Als Beispiel nennt er Russlands Umgang mit der Schmelze des arktischen Eises: Russlands Führung sehe hierin keine Umweltgefahr, sondern eine Chance, ganzjährig Handelsschifffahrt auf der Nordostpassage zu betreiben - der kürzesten Meeresverbindung zwischen dem europäischen Teil Russlands und dem Fernen Osten. "Der Staat sieht im Klimawandel keine Gefahr, sondern eine Ressource", so der Experte.

Der russische Atom-Eisbrecher Sibir in MurmanskBild: Lev Fedoseyev/TASS/picture alliance

"Die russischen Behörden geben nicht einmal länger vor, sich um Umweltfragen zu kümmern", heißt es auf DW-Anfrage in einem Statement der Umweltschutzorganisation Bellona. Russland täusche auf globaler Ebene starkes Engagement für Klima- und Umweltfragen vor. In Wirklichkeit verfolge Moskau jedoch Ziele, die die ökologischen Probleme eher verschärfen würden - etwa durch den Abbau fossiler Rohstoffe in der Arktis. 

"Die Situation hat sich drastisch verschlechtert", meint Wladimir Sliwjak. Er sagt, die Regierung habe in den letzten Jahren offen gezeigt, dass Umweltschutz für sie keine Bedeutung hat. "Die russischen Behörden sind faktisch Feinde des globalen Klimas", sagt der Ökologe und warnt zugleich, dass sich das Land "am Rande einer schweren Klimakrise" befindet. "Mit jedem Jahr gibt es mehr Extremereignisse als Folge des Klimawandels, die sowohl dem Staatshaushalt als auch der Gesundheit der Russen Schaden zufügen: Erdrutsche, Schlammlawinen, Starkregen, Dürren, Wüstenbildung, sinkende Ernteerträge, Epidemien", sagt Sliwjak. Aus seiner Sicht sabotiere Russland geradezu die internationalen Bemühungen zur Rettung des Klimas.

Wie viele Umweltproteste gibt es in Russland?

Laut dem russischsprachigen Online-Portal Activatica gab es im vergangenen Jahr 3850 Demonstrationen; von diesen standen 580 im Zeichen des Umweltschutzes. Zu den bekanntesten zählten die Proteste gegen den Kalksteinabbau am Kuschtau-Berg in der Teilrepublik Baschkortostan, gegen Bauarbeiten im Tomilino-Wald bei Moskau sowie gegen den Bau einer Mülldeponie in Nowosibirsk.

Wladimir Sliwjak führt die relativ zahlreichen Proteste gerade in diesem Bereich darauf zurück, dass Umweltfragen traditionell als unpolitisch gelten. Dieses Phänomen bestehe seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. "Vielleicht ist dies der Grund, warum es immer noch Proteste gibt und warum die Menschen versuchen, etwas für den Naturschutz zu tun, um die Abholzung von Bäumen oder den Bau gefährlicher Anlagen zu verhindern", vermutet er. Seiner Meinung nach ist dies aber nur eine Illusion. Sich im heutigen Russland für den Umweltschutz einzusetzen, sei genauso gefährlich wie jede andere Form von politischen Aktivismus. Die russischen Machthaber würden an einer Diktatur mit einer absolut hörigen Gesellschaft arbeiten. "Jeder, der sich an Aktivitäten beteiligt, die von den Behörden nicht genehmigt sind, wird automatisch zum Feind des Regimes", so Sliwjak.

Laut der Environmental Crisis Group, einer russischen Initiative, die gegründet wurde, um unter Druck geratene Umweltaktivisten zu unterstützen, sahen sich in den Jahren 2022 und 2023 insgesamt 487 Umweltschützer und Umweltaktivisten in Russland politischen Repressionen ausgesetzt. Im Jahr 2024 kamen weitere 95 Fälle hinzu.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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