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PolitikSüdafrika

Südafrikas harte Kritik an Israel

Martina Schwikowski
2. Dezember 2023

Viele Südafrikaner sehen im Nahostkonflikt einen "Freiheitskampf" für Palästina und fühlen sich an ihre eigenen Erfahrungen während der Apartheid erinnert. Die Regierung spricht sogar von einem "Völkermord" in Gaza.

Nahostkonflikt | Ende der Waffenruhe | Luftangriff auf den Gazastreifen
Waffenruhe abgelaufen: Die Kämpfe zwischen den israelischen Soldaten und der Terrorgruppe Hamas in Gaza gehen weiterBild: Said Khatib/AFP/Getty Images

Südafrika sorgt mit einer äußerst kritischen Haltung gegenüber Israel für Aufsehen: Das Parlament in Kapstadt stimmte für die Schließung der israelischen Botschaft, alle diplomatischen Beziehungen zu Israel sollten ausgesetzt werden - bis zu einem dauerhaften Waffenstillstand im Krieg mit der Hamas. Die Hamas ist eine militante, islamistische, palästinensische Gruppe; die Europäische Union ebenso wie die USA, Deutschland und weitere Länder stufen sie als Terrororganisation ein.

Kaum ein afrikanisches Land unterstütze die Palästinenser im Nahen Osten in solch einem Ausmaß, sagte Ran Greenstein, politischer Analyst der Witwatersrand-Universität in Johannesburg. "Es gibt eine weit verbreitete Identifikation mit dem palästinensischen Kampf, weil viele Südafrikaner das Gefühl haben, dass die Palästinenser die gleichen Erfahrungen machen, die sie selbst unter der Apartheid erlebt haben", sagt er im Interview der Deutschen Welle (DW).

Kein Abbruch der Diplomatie

Dabei stehe aber nicht eine bestimmte Organisation, Bewegung oder Aktion im Mittelpunkt, sondern die allgemeine Übereinstimmung mit den Anliegen der Palästinenser, ihrem Streben nach nationaler Befreiung und ihrem Kampf gegen politische Unterdrückung. Die Entscheidung des Parlaments ist laut Greenstein ein "Ausdruck der Solidarität", die Umsetzung und die Außenpolitik bestimme jedoch die Regierung.

Südafrikas Politiker stimmten für die Schließung der israelischen Botschaft in Pretoria - hier ANC-Fraktionsführerin Pemmy Majodina bei der ParlamentsdebatteBild: Nardus Engelbrecht/AP/picture alliance

Für den Politologen ist es unwahrscheinlich, dass die südafrikanische Regierung ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel völlig abbricht. Solch ein Schritt hätte negative Auswirkungen auf ihre diplomatische Position gegenüber der Europäischen Union, dem Vereinigten Königreich und den USA, so dass die Regierung stark zwischen symbolischen Erklärungen und tatsächlicher Politik unterscheide, so Greenstein.

Mit der Zuspitzung des Israel-Hamas-Krieges haben Südafrika und Israel jeweils ihre Botschafter abberufen. In einem weiteren Schritt forderte die südafrikanische Regierung zudem den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) auf, gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl wegen Völkermordes zu erlassen.

Diesen Vorwurf wies Israels Regierungssprecher Eylon Levy entschieden zurück: Am 7. Oktober habe ein Genozid verursacht durch die Hamas stattgefunden, Israel kämpfe den moralischsten Kampf, den man sich vorstellen könne, und wisse, dass es auf der richtigen Seite der Geschichte stehe.  

Haftbefehl wegen Völkermord 

Insbesondere afrikanische Kritiker werfen dem IStGH schon länger vor, Menschenrechtsverbrechen lediglich auf dem afrikanischen Kontinent, nicht aber in anderen Teilen der Welt nachzugehen. Auch ANC-Politiker forderten mehrmals Südafrikas Austritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof und stellen seine Neutralität infrage.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besucht Soldaten im Gazastreifen - Südafrika wirft ihm Völkermord vorBild: Avi Ohayon/GPO/Handout via REUTERS

"Wenn der IStGH jetzt nicht handelt, haben wir keinen Grund, an diese Institution zu glauben", sagt der Politologe Kwandile Kondlo. Dies sei der Moment für den IStGH, eine der Wahrheit verpflichtete Institution zu sein, eine internationale Institution der Justiz.

Der harte Kurs gegenüber Israel signalisiert einen Tiefpunkt in den Beziehungen beider Länder. Der Vorwurf des südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosas lautet: "Die kollektive Bestrafung der palästinensischen Zivilbevölkerung durch die unrechtmäßige Anwendung von Gewalt durch Israel ist ein Kriegsverbrechen. Die Verweigerung von Medikamenten, Treibstoff, Lebensmitteln und Wasser für die Bewohner des Gazastreifens kommt einem Völkermord gleich." 

In der hitzigen Parlamentsdebatte vergangene Woche schlossen sich auch Mitglieder der Regierungspartei des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) dem Antrag der populistischen "Ökonomischen Freiheitskämpfer" (EFF) an, die diplomatischen Beziehungen zu Israel ganz abzubrechen. In diesem Fall müsste Pretoria seine Botschaft im Großraum Tel Aviv schließen, die derzeit auch den Kontakt zu palästinensischen Organisationen hält.

BRICS fordert Ende der Kämpfe

Fast gleichzeitig beriet sich Präsident Ramaphosa auf einem kurzfristig einberufenen virtuellen Gipfel der BRICS-Staaten, zu denen Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gehören. Sie forderten ein Ende der Kampfhandlungen in Gaza und eine Zwei-Staaten-Lösung in Nahost.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa (Mitte) war Gastgeber des BRICS-Gipfels im August in JohannesburgBild: GIANLUIGI GUERCIA/AFP

Auf eine gemeinsame Abschlusserklärung zum Nahostkonflikt konnten sich aber die Vertreter der Staatengruppe, die sich als globale Stimme des Südens versteht, nicht einigen. Südafrika - und vielen anderen Ländern des Südens - gehe es letztendlich um einen strategischen Balanceakt, schreibt dazu Priyal Singh, Analyst des Instituts für Sicherheitsstudien (ISS).

In den muslimischen und jüdischen Gemeinden Südafrikas - laut der Daten-Plattform Statista leben knapp eine Million Muslime und 60.000 Juden im Land - werden der Nahostkonflikt und der Antrag der EFF kontrovers diskutiert. Für Greenstein ist das Vorpreschen der EFF Teil einer Gesamtstrategie der einst vom ANC abgespaltenen populistischen Partei.

"Sie zeigen, dass sie radikaler sind als der ANC, nach dem Motto: Wir gehen den ganzen Weg, zeigen eine Haltung." Normalerweise spiele die EFF diese Rolle vor allem bei lokalen Wahlkampfthemen.

Südafrika - kein Friedensvermittler

Viele Mitglieder der größten Oppositionspartei in Südafrika, der Demokratischen Allianz (DA), lehnen die Forderung nach dem Abbruch diplomatischer Beziehungen ab. So sagte auch Parlamentsmitglied Emma Louise Powell: "Dieser Antrag widerspricht den erklärten Zielen des ANC, ein echtes Interesse an der Aushandlung einer friedlichen Lösung dieser Krise zu haben."

Aus israelischer Sicht könne Südafrika nicht mehr als Vermittler in Nahost auftreten, glaubt auch Analyst Greenstein: "Israel würde eine südafrikanische Initiative zu diesem Zeitpunkt nicht begrüßen. Außerdem gibt es bereits andere, die diese Rolle spielen: Katar, Ägypten und die Türkei sind schon involviert."

Die Außenpolitik Südafrikas steht in der Nachfolge des früheren Freiheitskämpfers und späteren Präsidenten Nelson Mandela, der enge Beziehungen zu Jassir Arafat, dem Ex-Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, unterhielt. Und diese PLO, so Greenstein, "war auch Teil des Bündnisses, das der ANC mit anderen Bewegungen in den siebziger und achtziger Jahren als Teil des globalen Kampfes gegen den Imperialismus unter Führung der damaligen Sowjetunion und China auf internationaler Ebene gebildet hat".

Mitarbeit: Thuso Khumalo, Johannesburg