1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikUkraine

Warum Scholz "zügigen" Frieden in der Ukraine will

Lena Crohmal
11. September 2024

Bundeskanzler Olaf Scholz hält es für an der Zeit, über Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland nachzudenken. Die Reaktionen in Berlin sowie in Kiew und Moskau ließen nicht lange auf sich warten.

Bundeskanzler Olaf Scholz an einem Tisch im Gespräch mit dem ZDF
Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch mit dem ZDFBild: Thomas Kierok/ZDF/dpa/picture alliance

Im Kanzleramt in Berlin sieht man die Zeit für intensivere diplomatische Bemühungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine gekommen. In einem ZDF-Interview sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am 8. September: "Ich glaube, das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen als das gegenwärtig den Eindruck macht." Konkrete Vorschläge dazu machte der Sozialdemokrat allerdings nicht. Er sprach sich aber dafür aus, dass am nächsten Friedensgipfel in der Schweiz auch Russland teilnehmen solle.

Kritik von der Opposition und Unterstützung aus der Koalition

Die konservative Opposition in Berlin reagierte scharf auf Scholz' Worte. "Der Vorstoß des Bundeskanzlers war absehbar, denn er passt in die Strategie von Teilen der SPD, die Ukraine sehr subtil in einen von Russland festgelegten Scheinfrieden zu drängen, in dem die Unterstützung schrittweise zurückgefahren wird und stattdessen Scheinverhandlungen gefordert werden", sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter der "Bild"-Zeitung. Sein Parteikollege Jürgen Hardt betonte gegenüber der Berliner Zeitung, "man könnte Putin keinen größeren Gefallen tun, als die Ukraine an den Verhandlungstisch zu zwingen, während er weiter im Donbass mordet". "Verhandlungen wünschen wir uns alle, aber es liegt am Aggressor, die Aggression zu beenden", so Hardt.

Roderich Kiesewetter warnt vor einem "Scheinfrieden"Bild: Kai-Uwe Heinrich/TSP/IMAGO

Auch die Grünen, die Teil der Regierungskoalition sind, zeigen sich skeptisch. Die Bereitschaft im Kreml zu "Gesprächen auf Augenhöhe" sei nicht besonders groß, sagte in Berlin Omid Nouripour nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa. Trotzdem brauche es Verhandlungen mit Russland, auch in Form von Friedenskonferenzen, so der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.

Auch die Liberalen sind skeptisch. Der außenpolitische Sprecher der FDP, Ulrich Lechte, sagte der Berliner Zeitung, für seine Partei könne es zwar "sicherlich nie zu viel Diplomatie geben", doch er halte es für unwahrscheinlich, dass Putin bereit sei, sich mit der Ukraine an einen Tisch zu setzen und seine Truppen abzuziehen. "Ein erneuter Scheinfrieden, wie er letztlich mit dem Minsk-II-Abkommen vereinbart wurde, ist aus meiner Sicht vollkommen inakzeptabel", so Lechte.

Landtagswahlen in Deutschland und der Krieg in der Ukraine

Scholz' Idee, die Ukraine und Russland an den Verhandlungstisch zu bringen, kommt für Beobachter nicht unerwartet. Die herben Niederlagen der Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Thüringen dürfte einer der Gründe für die Äußerungen des Kanzlers sein, wie auch die bevorstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, ebenfalls im Osten Deutschlands, die am 22. September stattfinden. Das Bundesland wird derzeit von Scholz' Parteifreund Dietmar Woidke regiert.

Alex Yusupov, Leiter des Russlandprogramms der Friedrich-Ebert-Stiftung, glaubt, dass Scholz damit Woidke den Rücken stärke und signalisieren will, dass man auch in Berlin darüber nachdenkt, "dass der Krieg lieber früher als später beendet werden sollte - auch mit Verhandlungen und nicht nur mit militärischen Mitteln". Im Gespräch mit der DW betont der Politikwissenschaftler, dass populistische Parteien es zu ihrem Vorteil ausnutzen würden, wenn der Kanzler das Thema Russlands Krieg gegen die Ukraine ignoriere.

Der ukrainische Politologe Wolodymyr Fesenko vermutet, dass Scholz versucht, eine gewisse politische Balance zu finden. "Er hat einen Trend aufgegriffen. Derzeit wird das Thema Friedensgespräche aktiv diskutiert und daher hat sich Scholz, insbesondere nach dem jüngsten Treffen mit Selenskyj, entschieden, sich dazu zu äußern", so Fesenko. Er ist davon überzeugt, dass der Kanzler sich innenpolitischen Stimmungen anpassen und so seine eigene Position vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr stärken will.

Wolodymyr Fesenko rechnet mit Friedensgesprächen nach den US-PräsidentschaftswahlenBild: Amalia Oganjanyan

Fesenko sieht aber auch, dass Scholz neue Akzente setzt. Bisher sei die Position vertreten worden, dass allein die Ukraine entscheiden solle, wann und unter welchen Bedingungen Verhandlungen mit Russland aufgenommen werden. "Nun hat es Scholz etwas anders formuliert. Aber seine Äußerung enthält nichts Konkretes und auch nichts Sensationelles", so Fesenko. Er glaubt, dass die Debatten über Friedensverhandlungen nach den Präsidentschaftswahlen in den USA im November spürbar zunehmen werden.

Hat Deutschland noch Einfluss auf Russland?

Andrij Melnyk, ehemaliger Botschafter der Ukraine in Deutschland, sagte kürzlich der Berliner Zeitung: "Ganz persönlich glaube ich, dass Bundeskanzler Olaf Scholz kreativ werden und die bestehenden diplomatischen Kanäle Deutschlands nutzen könnte, um auszuloten, ob Gespräche mit Putin sinnvoll wären."

Doch was heißt das konkret? Der Politikwissenschaftler Alex Yusupov meint, Berlin könne nicht Waffen an die Ukraine liefern und gleichzeitig als neutraler Vermittler in Verhandlungen auftreten. "Deutschland hat jeglichen Einfluss auf Russland verloren. Der Kreml sieht Berlin nicht als unabhängigen Akteur", so der Experte. Deutschland stehe auf der Seite Kiews, deshalb werde Berlin definitiv kein "Minsk-III" initiieren.

Alex Yusupov sieht keine Vermittlerrolle DeutschlandsBild: DW

Der Kreml reagierte unterdessen zurückhaltend auf Scholz' Vorschlag, die diplomatischen Bemühungen zu verstärken. Laut Dmitrij Peskow, dem Sprecher des russischen Präsidenten, gibt es derzeit keine Voraussetzungen für den Beginn eines Friedensprozesses zwischen Russland und der Ukraine. Es fehlten Erklärungen "des Landes, das diesen ganzen Prozess und den kollektiven Westen dirigiert", womit er die USA meinte.

Ukraine erinnert an Friedensformel

Premierminister Denys Schmyhal versicherte vor Journalisten am 10. September, Kiew wolle einen Vertreter Russlands zur Teilnahme am nächsten Friedensgipfel gewinnen, um "Manipulationen seitens der Russischen Föderation zu verhindern und allen Teilnehmern entweder ihre Fähigkeit oder Unfähigkeit zu Friedensverhandlungen zu demonstrieren". Im Juli hatte Moskau eine Teilnahme mit der Begründung abgelehnt, dass Russland "keine Ultimaten akzeptiere", die der "Formel" des ukrainischen Präsidenten folgen.

Unterdessen erinnerte Andrij Jermak, Leiter des Büros von Präsident Wolodymyr Selenskyj, auf Telegram daran, dass der einzige Weg zur Gerechtigkeit "ausschließlich die ukrainische Friedensformel, die Normen des Völkerrechts sowie die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine" seien.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen