Warum Selenskyj die Regierung in der Ukraine umbildet
16. Juli 2025
Gerüchte über eine Regierungsumbildung gab es in der Ukraine in den letzten drei Jahren immer wieder, nun sind sie Wirklichkeit geworden. Am Mittwoch genehmigte das ukrainische Parlament den Rücktritt des Regierungschefs Denys Schmyhal. Daraufhin wurde das Kabinett automatisch aufgelöst. Schmyhal war zuvor mehr als fünf Jahre im Amt - länger als jeder andere ukrainische Regierungschef vor ihm.
Zwei Tage zuvor hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj die bisherige Wirtschaftsministerin Julija Swyrydenko als neue Regierungschefin vorgeschlagen. Die 39-Jährige war bislang Schmyhals Stellvertreterin. Größere Bekanntheit erlangte sie im Rahmen der wochenlangen Verhandlungen über ein Rohstoffabkommen mit den USA, das Ende April in Washington unterzeichnet wurde. Dabei zeigte sie sich als zähe Verhandlungspartnerin.
Selenskyj sagte, es sei notwendig, die Exekutive jetzt umzubauen, um die mit den internationalen Partnern getroffenen Vereinbarungen umzusetzen. Der ukrainische Präsident erklärte, er rechne schon bald mit einem neuen Regierungsprogramm.
Geht eine Regierungsumbildung unter Kriegsrecht?
Über die neue Regierung soll das ukrainische Parlament bereits am Donnerstag (17.7.) abstimmen. Jedoch besagt Artikel 10 des Gesetzes über das Kriegsrecht, dass während seiner Verhängung die Befugnisse des Präsidenten, des Parlaments, der Regierung, der Nationalbank und einer Reihe weiterer Staatsorgane nicht beendet werden dürften.
Vertreter der Opposition zweifeln deshalb an der Legitimität des bevorstehenden Regierungswechsels. "Das Parlament hat erst vor Kurzem den Kriegszustand verlängert und könnte nun gegen Artikel 10 verstoßen, obwohl sich alle einig sind, dass die Gesetzgebung erst präzisiert oder geändert werden müsste", erklärte Jaroslaw Schelesnjak, Abgeordneter der oppositionellen Fraktion "Holos" (Stimme).
Zudem wird Selenskyj dafür kritisiert, dass er Julija Swyrydenko den Posten der Premierministerin öffentlich angeboten und so die geltende Ordnung verletzt habe. Derzufolge kann ein Regierungschef nur auf Empfehlung des Parlaments vom Präsidenten ernannt werden. Dieser Empfehlung muss jedoch ein Vorschlag der Regierungskoalition im Parlament vorausgehen. Derzeit stellt die Präsidenten-Partei "Diener des Volkes" die Mehrheit im Parlament.
War der Präsident mit der Regierung unzufrieden?
Der Politikwissenschaftler und Mitbegründer der Nationalen Plattform für Nachhaltigkeit und Zusammenhalt, Oleh Saakjan, geht dennoch davon aus, dass das Parlament aus politischer Opportunität für diesen Beschluss stimmen und dabei die Rechtsnorm ignorieren wird. Saakjan meint, es handele sich um eine "verspätete Regierungsumbildung", die eigentlich schon 2024 geplant war.
Grund hierfür seien vor allem anhaltende Spannungen innerhalb der Regierung und "eine Reihe offensichtlicher Managementprobleme" in verschiedenen Politikfeldern - vom Verteidigungssektor über die Infrastruktur bis hin zur Sozialpolitik. "Die Regierung möchte einen Teil dieser Spannungen öffentlichkeitswirksam abbauen. Man will sich sozusagen rechtzeitig einen neuen 'Vertrauenskredit' verschaffen", so der Experte.
Innenpolitisch keine Änderungen erwartet
Der Politologe und Leiter des ukrainischen Zentrums für angewandte Politikforschung "Penta", Wolodymyr Fesenko, bezweifelt jedoch, dass allein der Wechsel des Regierungschefs große innenpolitische Veränderungen mit sich bringen werde. "Die zentralen politischen Entscheidungen werden weiterhin im Präsidialamt getroffen, und Swyrydenko wird sie - ebenso wie die Regierung - umsetzen", so Fesenko
Swyrydenko, die früher stellvertretende Leiterin des Präsidialamts unter Andrij Jermak war, gilt als Vertraute Selenskyjs, und als junge und dynamische Politikerin, die womöglich neue Lösungsansätze mitbringen könnte. Fesenko weist darauf hin, dass Swyrydenko die nötige "Erfahrung im Arbeiten unter Kriegsbedingungen sowie im Umgang mit internationalen Institutionen“ besitze.
Wird sich die Arbeit der Regierung verändern?
Petro Oleschtschuk, Politologe an der Taras-Schewtschenko-Universität in Kyjiw, glaubt, dass Selenskyj trotz mehrerer Korruptionsskandale im Regierungskabinett zeigen wolle, dass er nach wie vor ein Team hat, das weiter mit ihm zusammenarbeite - umso mehr, da die Regierung eben nicht komplett neu besetzt werde und eine Reihe von Ministern im Amt verblieben.
Auch Denys Schmyhal soll die Regierung nicht komplett verlassen, sondern Verteidigungsminister werden. "Schmyhals Versetzung auf einen anderen Posten innerhalb der Regierung soll zeigen, dass es intern keinen Streit gibt. Es sind nur personelle Veränderungen innerhalb eines Teams", so Oleschtschuk gegenüber der DW.
Oleh Saakjan hingegen findet, die begrenzte Regierungsumbildung zeige, dass ein akuter Mangel an qualifiziertem und vertrauenswürdigem Personal bestehe. Die neuen und bisherigen Minister seien gezwungen, schnell Ergebnisse vorzuweisen. Die langfristige Arbeit sieht er hingegen skeptisch. "Das ist eine Adrenalinspritze für die jetzige Regierung. Die Qualität wird sich dadurch aber nicht grundlegend ändern", befürchtet der ukrainische Politikexperte.
Unterdessen hat Präsident Selenskyj bereits die wichtigsten Prioritäten für die künftige neue Regierung dargelegt, darunter die Steigerung der inländischen Waffenproduktion, die Entwicklung von Verteidigungsprojekten und eine umfassende Deregulierung der Wirtschaft.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk