Hitler-Abbildungen in Kirchen
22. Januar 2022Die Keplerstadt Weil der Stadt, so der offizielle Name, liegt im Südwesten Deutschlands und zählt fast 20.000 Einwohner. Die nächstliegende größere und bekanntere Stadt ist Stuttgart. Unweit des Kepler-Museums, gewidmet dem berühmten deutschen Astronom und Mathematiker Johannes Kepler, befindet sich die katholische Stadtkirche St. Peter und Paul. Seit elf Jahren heißt dort Pfarrer Anton Gruber Gläubige und Interessierte willkommen: "Wir haben ganz viele Besucher, unsere Kirche liegt am Würmtal-Radweg, das ist praktisch. Manche wissen, dass es das Fenster gibt, andere schauen es sich zum ersten Mal an und sagen: Ach ja, die Züge von Hitler sind erkennbar. Die Mehrheit zeigt sich interessiert, nicht mehr und nicht weniger", so der Geistliche.
Hitler als Personifizierung des Bösen
Das erwähnte Fenster stammt aus dem Jahr 1939/40 und befindet sich auf der rechten Seite der Kirche hinter dem Taufstein. Es ist Teil eines größeren Glasfensters, das aus neun Tafeln besteht und Szenen aus dem Leben Jesu darstellt. Ganz oben rechts wird die Versuchung thematisiert, bei der der Teufel die Glaubensfestigkeit von Jesus auf die Probe stellt. Der Künstler JoKarl Huber hat in dieser Szene dem Teufel, der ein gelbes Kleid trägt, klar die Gesichtszüge Hitlers verliehen. Die Farbe Gelb steht für Neid und Besitz.
Auf die Darstellung des Diktators als Personifizierung des Bösen reagieren die meisten Besucher interessiert und pragmatisch, sagt Pfarrer Gruber: "Die Mehrheit kann das gut einschätzen und verstehen." Ein konkreter Kommentar des Künstlers zu seinem Werk liegt allerdings nicht vor - man kann also nur vermuten, dass er Hitler als Versucher und Teufel seiner Zeit darstellen wollte. Das Werk ist 1939 entstanden, auf dem Höhepunkt des NS-Regimes.
Ein solches Bildnis könne nur interpretiert werden, wenn die Hintergründe, Biografien und Umstände der damaligen Zeit bekannt sind, sagt Anton Gruber. "Der Künstler, JoKarl Huber, wurde mit Berufsverbot belegt und 1936 von den Nationalsozialisten als einer, der angeblich entartete Kunst gemacht haben soll, abgestempelt. Asyl hat er in der Kirche beim damaligen Pfarrer August Uhl gefunden, der ihn mit der Renovierung beauftragt hat", erzählt Gruber. Auch Pfarrer August Uhl hatte sich in seinen Predigen offen gegen das NS-Regime positioniert, weswegen ihn die Gestapo oft zuhause aufgesucht haben soll.
Umstrittene Kunstwerke und ihre Entstehungsgeschichten
Für den Historiker und Autor Michael Kuderna gibt es keinen Zweifel, dass "das Kirchenfenster ein eindeutiges und mutiges Statement gegen den Nationalsozialismus und dessen Führer darstellt".
In seinem neuesten Buch "Grenzüberschreitungen: Ein deutsch-französischer Architekt, sein Meisterwerk und Hitler-Bilder in Kirchen" (erschienen im Geistkirch Verlag) beschreibt der Autor die Geschichte einer Kirche im französischen Vasperviller und setzt sich auch mit Hitler-Abbildungen in anderen Kirchen auseinander. "Im Zuge meiner Recherche habe ich fünf sogenannte Hitler-Abbildungen, die vor 1945 entstanden sind, gefunden und neun, die auf nach 1945 datieren. Jedes einzelne der frühen Bilder ist schwierig nachzuweisen, wir haben da meist keine 100-prozentige Sicherheit, dass dort jeweils Hitler abgebildet wurde. Die Darstellung Hitlers in Kirchen nach dem Krieg war nicht mehr so problematisch wie die vor 1945, wo man Repressalien zu befürchten hatte", sagt Michael Kuderna.
Bei den Bildern nach 1945 sei es relativ klar, dass Hitler dargestellt werden sollte - meistens als Folterknecht oder als Bösewicht, der schon in der Hölle schmort. "Mit zunehmendem Zeitabstand zum Krieg und zur Diktatur veränderte sich auch das Bild. Hitler wurde zunehmend auch in andere Bezüge gestellt und distanzierter behandelt, bis hin zur Karikatur."
Seine Recherche begann Michael Kuderna vor 20 Jahren, als er die Kirche in Vasperviller besuchte. Das Bildnis Hitlers dort entstand - im Gegensatz zu dem in der Kirche in Weil der Stadt - nach 1945. Es stellt eine biblische Geschichte aus dem alten Testament dar: Rahel, die Tochter Labans, stiehlt die Hausgötzen ihres Vaters. Einem der Götzenbilder verlieh die Künstlerin Gabriele Kütemeyer das Gesicht Hitlers. "Der Vater der Künstlerin war ein entschiedener Nazigegner, er war zeitweise in Berlin in Gestapo-Haft. Von ihm hat sie öfters gehört, die Deutschen seien den falschen Idolen nachgelaufen. Das hat sie auf die Idee gebracht, diese Verbindung in dem Bild zu suchen."
Michael Kuderna hat insgesamt 14 Abbildungen gefunden, auf denen nachweislich Hitler dargestellt wird. Eine davon, auf der Hitler und Hindenburg gemeinsam zu sehen sind, wurde nach 1945 entfernt. "Die aktive Auseinandersetzung mit diesen Abbildungen hat spät eingesetzt. Man hat nach dem Krieg nicht gern über diese Dinge geredet, und zwar von allen Seiten. Man fühlte sich peinlich berührt, wenn man mit Hitler in den bildlichen Kontakt treten musste. Und das hat dazu geführt, dass diese Abbildungen zum Teil verschämt versteckt oder eben sofort angegriffen wurden", sagt Kuderna.
Schwierige Aufarbeitung
Der Historiker erwähnt einen Fall in München: "Da hat ein Maler Hitler als eine Art Folterknecht dargestellt. Kurz darauf wurde das Bildnis mit Tinte bespritzt. Seitdem ist es durch ein Gitter abgetrennt - damit wurde es praktisch der Diskussion und Auseinandersetzung entzogen. Der gleiche Maler hat in Landshut ein viel bekannteres Bild geschaffen: ein Fenster, auf dem Hitler, Goebbels und Göring vorkommen, die den Heiligen Kastulus foltern. Und auch hier gab es über Jahre hinweg Auseinandersetzungen", so Kuderna.
Nach dem Krieg hätten die Amerikaner zunächst die Entfernung des Bildes gefordert. Als sie dann erfahren hätten, dass dieser Maler in den letzten Wochen des Krieges noch ein Widerstandskämpfer war, hätten sie die Sache plötzlich ganz anders gesehen. "Derartige Erfahrungen sprechen eigentlich dafür, dass man solche Bilder nicht verschwinden lassen sollte, sondern dass man sich anhand von ihnen mit der Vergangenheit auseinandersetzt. Auch wenn es schwierig ist, weil da noch sehr viel Unverarbeitetes ist. Bis heute."
"Zeugnis der Zeitgeschichte"
Eine offene und transparente Auseinandersetzung mit solchen Abbildungen wünscht sich auch Pfarrer Anton Gruber. "Die Bilder, die während der NS-Zeit entstanden sind, sind ein Zeugnis der Zeitgeschichte. Warum soll ich Adolf Hitler nicht in der Kirche haben? Das sollte man als ein künstlerisches Darstellungsprinzip sehen. Als Pfarrer ist mir ganz wichtig, dass Kirche immer eine lebendige Kirche ist, in der Kunstwerke aus allen Zeiten vorhanden sein sollten. Also nicht nur ein Museum, das rückwärtsgewandt ist. In meiner Kirche etwa finden sich Dinge von 1500, 1750, von 1939/40, aber auch Kunstwerke von 2020."
Eine solche neuere Abbildung von Hitler steht seit 2018 in der Kirche von Anton Gruber. Auf der Rückseite der Flügel vom Dreikönigsaltar ist Jesus Christus als Narr dargestellt, hinter ihm eine Narrenschar von weniger bekannten und bekannten Gesichtern - darunter Donald Trump als Obernarr und weiter hinten Hitler.
Kritische Einordnung
Der Künstler Dieter Groß bewegt sich hier zwischen Erzählung, Illustration und Cartoon. "Das Bild sollte man sicherlich nicht relativieren. Es stellt sich die Frage: Wie kann ich Hitler neben all den anderen zu einem einfachen Narren unter vielen machen? Für mich als Pfarrer ist es wichtig, dass die Menschen das Bild anschauen und sich ihre Gedanken machen. Im Prinzip geht es ja darum, ihnen einen Denkanstoß zu geben: Wo würde ich auf dem Bild in der Menge der Narren stehen? Wie viel und welcher Narr steckt in mir?"
Für Michael Kuderna ist diese Hitler-Darstellung die Seltsamste, die er während seiner gesamten Recherche gesehen hat. "Das ist zwar witzig und schön, aber da muss man als Betrachter schon überlegen. Das beschäftigt mich innerlich bis heute: Ob das wirklich noch legitim ist und ob eine derartige Darstellung Hitler nicht letztlich stark verharmlost", fragt sich Kuderna. Pfarrer Gruber überlässt die Interpretation und Auseinandersetzung den Kirchenbesuchern.