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Warum Siemens nicht zur Ruhe kommt

Klaus Ulrich
19. Januar 2018

Joe Kaeser, Vorstandschef der deutschen Industrie-Ikone Siemens, versteht sich in erster Linie als Lobbyist des Finanzmarktes und schadet damit der Belegschaft, meint der Gewerkschafter Reinhard Hahn im DW-Interview.

Berlin Siemens-Beschäftigte protestieren
Bild: Imago/Zumapress/M. Heine

Deutsche Welle: Immer wieder Aufregung bei Siemens. Stellenabbau und Pläne zur Schließung ganzer Standorte, trotz eines Rekordgewinns von sechs Milliarden Euro - ist das die gängige Unternehmenskultur?

Reinhard Hahn: Im Moment muss man das bejahen. Natürlich kommt Siemens aus einer anderen Tradition, aber genau die zerbricht jetzt und befindet sich im radikalen Umbruch. Das führt zu Unsicherheit, teils auch zu Ängsten in der Belegschaft. Vor allen Dingen trifft das den Nerv von Siemens, denn der Stolz und die Identität der Mitarbeiter gehen so auf Dauer verloren. Natürlich bleibt die Zeit nicht stehen, die wirtschaftliche Dynamik treibt auch Siemens vor sich her. Aber die Belegschaft versteht nicht, wo die Unternehmensführung gerade hin will und was mit Siemens passiert. Man hat Angst, dass Siemens am Ende zerschlagen wird.

Was können Sie als Mitglied des Aufsichtsrats von Siemens und als Gewerkschafter da tun?

Wir haben den klaren Auftrag, die Interessen unserer Mitglieder konsequent zu vertreten. Wir kämpfen dafür, dass die Jobs auf die Zukunft ausgerichtet und damit auch sicher sind. Wir stellen uns dem Strukturwandel und wollen ihn mitgestalten. Dazu gehört auch, dass das Management dazu bereit ist, die Menschen in diesen Prozessen mitzunehmen. Unser Selbstverständnis steht unter dem Motto: Mensch vor Marge. Wir entwickeln alternative Konzepte zusammen mit den Belegschaften, die von Schließungen bedroht sind und konfrontieren damit das Management. Leider finden unsere Argumente oft wenig Gehör. Deshalb müssen wir dem Nachdruck verleihen mit Protesten und Betriebsversammlungen.

Wie sehen denn ihre alternativen Konzepte zu betriebsbedingten Kündigungen aus?

Reinhard Hahn sitzt für die IG Metall im Siemens-AufsichtsratBild: IG Metall

Das hängt immer von dem jeweiligen Geschäftszweig ab. Beim Bau von großen Kraftwerken beispielsweise war Siemens Pionier, im Zeichen der Energiewende ist der Markt rückläufig. Der Trend geht zu einer dezentralen Energieerzeugung und Versorgung. Deshalb müssen die Beschäftigten die Kompetenz und das Know-how erwerben, um kleinere Einheiten zu bauen und am Markt zu platzieren. Das sind mehrjährige Prozesse, das geht nicht von heute auf morgen. Wichtig sollte dabei nicht die kurzfristige Rendite sein. Es gilt, industriepolitische und technologische Trends zu erkennen und rechtzeitig darauf zu reagieren.

Das ist ein Stichwort. Die Umschichtungen und Neuaufstellungen beim Personal sollen ja bei Siemens die Gewinne steigern. Joe Kaeser, der Vorstandschef, hat kürzlich in einem Interview gesagt, wirtschaftliche Kraft sei die Voraussetzung für verantwortungsvolle Umverteilung. Sehen Sie das nicht auch so?

Da hat er, glaube ich, nur die halbe Wahrheit gesagt. Es stimmt, wir brauchen am Ende wirtschaftliche Ertragskraft und auch wirtschaftliche Stärke. Man muss wettbewerbsfähig sein, um sich auch global die Märkte zu erschließen. Nur müssen dabei wirtschaftlicher Ertrag und sichere Jobs in Einklang gebracht werden. Das ist ja kein Widerspruch. Nur nur auf Personalkosten und nur auf die Marge fixiert zu sein, entspricht nicht unserem gesellschaftlichen Verständnis von Eigentumsverpflichtung und sozialer Balance. Vorstandschef Kaeser versteht sich aber eher als Lobbyist der Finanzmärkte. Das ist ein gewaltiger Druck, das Geld zu vermehren. Das ist der erkennbare Kurs mit der Holdingstruktur von Siemens: Die Geschäfte sollen filetiert werden, um sie dann auf den Altar des Finanzmarktes für möglichst viel neues Kapital zu opfern.

Sie kritisieren also dieses Kapitalmarkt getriebene Geschäftsgebaren?

Ja.

Besteht nicht auch die Gefahr, dass die Belegschaft immer mehr verunsichert wird und irgendwann nicht mehr mitziehen könnte?

Richtig. Wenn ständig Bereiche ausgegliedert oder Joint Ventures im großen Stil eingegangen werden, hat das ja automatisch immer Rückwirkungen auf die verbleibende Belegschaft, der dann kleiner wird. Was passiert mit ihr? Es gibt dann keine Synergien mehr, von denen Siemens bisher gelebt hat. Der Pioniergeist von einst geht verloren, weil alles nur noch auf Marge und Finanzkennzahlen ausgerichtet ist. Dabei wird vergessen, dass Siemens eine der wesentlichen und wichtigsten Industrie-Ikonen Deutschlands ist. Mit deren Exportorientierung ist Deutschland bisher gut gefahren. Aus Deutschland heraus die Globalisierung zu gestalten führt ja letztendlich zu einer industriellen guten Basis hier bei uns. Das ist ja das Rückgrat für die Wirtschaft und den Wohlstand und gerät in Gefahr, wenn ein führender Konzern einen anderen Weg einschlägt.

Halten Sie es für möglich, dass bei Siemens eines Tages in einem positiven, konstruktiven Sinne wieder Ruhe einkehrt?

Das schließe ich nicht aus. Man soll ja nie "nie" sagen. Im Gegenteil. Wir hoffen, dass das Management sich mit dem Betriebsrat und uns an einen Tisch setzt und überlegt, wie man gemeinsam die Zukunft meistern kann und sich die Belegschaft auch mitgenommen fühlt.

Das Gespräch führte Klaus Ulrich.

Reinhard Hahn leitet das Siemens Team der IG Metall und ist als Unternehmensbeauftragter der Gewerkschaft seit 2015 Mitglied des Aufsichtsrates der Siemens AG.

 

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