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Familienfeiern als Corona-Superspreader-Event

25. September 2020

Dass nur einzelne COVID-19-Infizierte für lokale Infektions-Cluster verantwortlich sind, klingt dramatisch, erleichtert aber eine zielgerichtetere Pandemie-Bekämpfung.

Silvester
Bild: picture-alliance/dpa/D. Mauer

Oftmals kommt es zu lokalen Infektions-Clustern nach Partys oder großen Familienfeiern: Geselliges Zusammensein in geschlossenen Räumen oder auch zum Teil im Freien. Küsschen hier, Umarmung dort. Lebhafte Gespräche im Kreise der Verwandten, Freunde und Vertrauten. Gemeinsames Feiern, Singen, Tanzen. All das sind liebgewonnene Rituale, die unsere Leben lebenswert machen und auf die einige auch in Corona-Zeiten nicht verzichten wollen.

Eine große Hochzeit an mehreren Tagen und an mehreren Orten soll auch den jüngsten schweren Corona-Ausbruch in Hamm ausgelöst haben. Ähnliches gilt für die Großfamilienfeiern in Göttingen im Juni.

 

Nach mehreren Familienfeiern mussten rund 700 Menschen in Göttingen unter Quarantäne gestellt werden.Bild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Sehnsucht nach Gemeinsamkeit

Grundsätzlich konnten Infektions-Cluster weltweit nachgewiesen werden. Zu solchen "Superspreading-Events" zählen etwa die explosionsartige Infektionshäufung nach Gottesdiensten, Clubbesuchen oder Zumba-Kursen in Südkorea, nach den Après-Ski-Partys im österreichischen Ischgl, nach Karnevalsfeiern im nordrhein-westfälischen Gangelt oder nach Starkbierfesten in Bayern - das Muster solcher "Corona-Superspreader-Events" ähnelt sich immer: es gibt einen Anlass, dadurch Dutzende Ansteckungen und dann Hunderte Folgefälle. 

Zwar sind Großveranstaltungen in vielen Ländern weiterhin verboten, aber auf den bekannten Partymeilen, in einigen Kneipen oder bei privaten Feiern werden die gebotenen Abstandsregeln längst nicht immer eingehalten.

Die Menschen suchen die Gemeinschaft, es drängt sie zu Freunden und Verwandten, zu Sport- und Kulturveranstaltungen oder zu lieb gewonnenen Festen. Bald schon stehen Weihnachten und Silvester vor der Tür. Endlich wollen wir alle unser altes Leben zurück.

Wenn sich das gesellige Leben witterungsbedingt in den kommenden Wochen wieder nach drinnen verlagern wird, steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass es viel häufiger zu lokalen Infektions-Clustern kommt.

Geisterspiele ohne Jubel und Umarmungen machen keinen Spass, aber wie viele Zuschauer sind vertretbar?Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Wie wird man zum Superspreader?

Als "Superspreader" bezeichnet die Epidemiologie einen Infizierten, der besonders viele Menschen ansteckt. Dafür kann die Person nichts: Jeder Infizierte kann zum Superspreader werden, wenn er zum falschen Moment mit vielen Menschen Kontakt hatte.

Entscheidend ist aber auch der Zeitpunkt, denn ein Infizierter kann offenbar auch schon hochansteckend sein, bevor sich bei ihm die ersten Symptome zeigen. In dieser Phase scheint die Virenlast im Rachen besonders hoch zu sein.

Allerdings haben viele Infizierte keine oder kaum Symptome und merken deshalb gar nicht, dass sie sich angesteckt haben und selber ansteckend sind.

Hinzu kommt außerdem, dass bestimmte Menschen offenkundig mehr und länger Viren verbreiten als andere. Möglicherweise hängt dies mit ihrem Immunsystem oder auch mit der Verteilung von Virusrezeptoren in ihrem Körper zusammen.

Wer ist ein "typischer Superspreader"?

Oftmals ist der "eine verantwortliche Superspreader" nachträglich gar nicht mehr auszumachen. Für Aufsehen sorgte eine Studie des japanischen Virologen Hitoshi Oshitani, der 61 Infektions-Cluster mit über 3000 Infizierten untersucht hat. Untersucht wurden auch Fälle in Restaurants, Konzerthallen und Fitnessstudios, die als besonders riskante Orte gelten, an denen sich viele Menschen mit SARS-CoV-2 angesteckt hatten.

Geschlossene Party-Räume mit wenig Abstand und wenig Durchlüftung sind besonders gefährlich Bild: picture-alliance/dpa/S. Kembowski

Seine Erkenntnisse lassen Rückschlüsse auf den "typischen Superspreader" zu. Demnach seinen häufiger junge Frauen unter 30 ohne Symptome für die Verbreitung des Virus verantwortlich. Die Gründe konnte das Team um Oshitani zwar nicht benennen. Naheliegend ist aber, dass sich vor allem jüngere Personen in Clubs, Bars oder auf Partys aufhalten - an Orten also, wo es zum Teil zu wenig Abstand und zu wenig Durchlüftung gibt. Laute Musik und Alkohol sorgen außerdem dafür, dass die Menschen lauter sprechen oder näher aneinander heranrücken und dass Hemmungen fallen.

Berechnung des Risikos

Wie strikt die Beschränkungen sein müssen, hängt maßgeblich von der Zahl der Neuinfektionen ab. Entscheidend ist dabei die sogenannte Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Ein R-Wert von 2 bedeutet, dass ein Infizierter zwei weitere Personen infiziert. Ziel der Kontaktbeschränkungen ist es demnach, diese Zahl möglichst niedrig - unter 1 - zu halten.

Neben dem durchschnittlichen R-Wert ist aber auch der sogenannte Dispersionsfaktor k entscheidend, denn er gibt an, wie häufig eine Krankheit auftritt und wo sich möglicherweise Cluster bilden. Auch hier ist ein möglichst kleiner k-Wert besser, da die Streuung kleiner ist und sich die Infektionsausbreitung auf wenige oder sogar nur eine Person zurückführen lässt. 

Was bedeuten die Erkenntnisse für die Corona-Beschränkungen?

Dass die meisten Infizierten - wenn überhaupt - nur wenige Menschen anstecken, einige wenige Superspreader aber sehr viele, ist zunächst einmal eine sehr gute Nachricht, weil die Corona-Schutzmaßnahmen dadurch viel zielgerichteter gesteuert werden können.

In den meisten Ländern soll eine erneute Einschränkung der Lockerungen mögliche lokale Infektions-Cluster eindämmen und einen erneuten großflächigen Lockdown mit all den wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Folgeschäden abwenden. 

Die Abriegelung der vor allem einkommenschwachen Gebiete Madrids treibt die Menschen auf die Straßen Bild: David Obach/EUROPA PRESS/dpa/picture-alliance

Angesichts rasant ansteigender Infektionszahlen haben bereits viele Länder die Lockerungen etwa für die Gastronomie oder für Versammlungen zurückgenommen bzw. drastisch beschränkt. Manche Länder befinden sich sogar schon im zweiten Lockdown (wie etwa Israel) oder haben besonders betroffene Gebiete streng abgeriegelt (wie etwa in Madrid).

Vermeidung von "Superspreading-Events"

Für die Seuchenbekämfung ist es schwierig, einzelne Superspreader zu identifizieren und zu isolieren, zumal wenn die Infizierten kaum oder keine Symptome zeigen. Kontrollieren lassen sich allerdings die Begleitumstände, die ein "Superspreading-Event" begünstigen.

Wenn große Familienfeiern oder Partys, Sportveranstaltungen, Konzerte, Club- und Barbesuche und ähnliche Veranstaltungen, also größere Menschenversammlungen - vor allem in geschlossenen Räumen - verboten bleiben und die Masken-, Hygiene- und Abstandsregeln befolgt werden, müssen Gesellschaften nicht zwingend erneut komplett "runtergefahren" werden.

Auch in der kalten Jahreszeit mit den zusätzlichen Grippe- und Erkältungskrankheiten könnten so die Betriebe, Geschäfte, Schulen, Kitas etc. offen bleiben und noch dramatischere wirtschaftliche und soziale Folgen blieben uns erspart.

Eine erneute flächendeckende Schließung der Schulen und Kindergärten soll verhindert werdenBild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger

Und wenn es irgendwo einen neuen Infektions-Cluster gibt, müssen alle Kontaktpersonen schnellstmöglich gefunden und umgehend isoliert werden, bis ein negatives Testergebnis vorliegt.

Japan zum Beispiel hat mit dieser Methode nicht nur die Ausbreitung des Virus vergleichsweise erfolgreich eindämmen, sondern auch einen drastischen Lockdown verhindern können.

Auf das Sozialverhalten des Einzelnen kommt es an

Sicherlich können die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft solche Großveranstaltungen verbieten oder die Lockerungen wieder zurücknehmen, so können Auflagen für Betriebe oder die Gastronomie erlassen und auf eine Wahrung der Abstandsgebote drängen. Letztlich aber liegt es im Sozialverhalten des Einzelnen.

Einzelne missachten die geltenden Masken-, Hygiene- und Abstandsregeln aus Überzeugung oder Ignoranz Bild: picture-alliance/dpa/C. Soeder

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass Einzelne aus Überzeugung oder Ignoranz die geltenden Masken-, Hygiene- und Abstandsregeln nicht beachten. Wo keine Einsicht zu erwarten ist, haben die für das Gemeinwohl Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft entsprechende Möglichkeiten, eine Missachtung der Regeln durch empfindliche Strafen zu sanktionieren.

Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass sich die überwiegende Mehrheit um eine Einhaltung der Masken-, Hygiene- und Abstandsregeln bemüht - um sich selbst, aber eben vor allem auch andere zu schützen.

Und diese überwiegende Mehrheit versteht auch, dass mögliche Superspreading-Events verhindert werden müssen - auch wenn dies Verzicht bedeutet. Trotz aller Einschränkungen ist so immerhin eine gewisse Rückkehr zur Normalität möglich, bis ein Medikament oder eine Impfung gegen SARS-CoV-2 gefunden ist.

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