1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

80 Jahre P.E.N.

Susanne Dickel11. November 2014

In der NS-Diktatur flüchteten tausende Künstler ins Exil. Doch viele verstummten in der Fremde. An sie erinnert das Symposium "Sprache ist Freiheit der Sprache" anlässlich der Gründung des Exil-PEN vor 80 Jahren.

Pen-Club
Bild: DW

Deutschland, 1933. In vielen Universitätsstädten wird "undeutsches Schrifttum" verbrannt. Bücher von Kurt Tucholsky, Heinrich Mann oder Bertolt Brecht. Und auch der Vorsteher von Günther Sterns jüdischer Gemeinde wird verhaftet. Stern ist damals erst elf, doch er weiß: In der Gemeindebibliothek stehen diese Bücher, die es dort nicht mehr geben darf. Wenn die Nazis sie finden, steht es noch schlechter um den Gemeindevorsteher. Also geht er mit einigen Freunden zu der Bibliothek. Sie holen die verbotenen Bücher und verbrennen sie selbst.

Noch heute erinnert sich der jüdische Literaturwissenschaftler Stern gut daran. "Diese Gewalttätigkeit gegen Bücher, an die wir glaubten, das wirkt sich unheilvoll auf Jugendliche aus. Für Jugendliche darf der Zugang zur freien Meinungsäußerung nicht eingeschränkt werden!", fordert er auf dem Symposium "Sprache ist Freiheit der Sprache". Das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien veranstaltet die Tagung in Berlin (10. und 11. November) aus Anlass der Gründung des deutschen PEN-Clubs im Exil vor 80 Jahren. Rund 150 Teilnehmer aus Deutschland, aber auch aus Albanien, Argentinien, China oder Russland sind angereist, um an die Erfahrungen des Exils zu erinnern.

Der Exil-PEN als Rückhalt

Tausende Künstler mussten während der NS-Diktatur das Land verlassen, manche wegen ihrer jüdischen Abstammung, andere wegen ihrer politischen Einstellung. Gerade den Schriftstellern fiel es schwer, sich im Exil zurecht zu finden. Es fehlte die vertraute Sprache, in der sie sich facettenreich ausdrücken konnten, aber auch die Leserschaft. Das Publikum im Ausland kannte die Werke der deutschen Autoren höchstens in der Übersetzung. Der Austausch mit Gleichgesinnten im deutschen Exil-PEN gab ihnen Rückhalt. Das bemerkte auch Stern: "Die Autoren, die aus ihrem deutschen Verband ausgeschlossen waren, wurden hier anerkannt, sie fanden Respekt."

DW-Autorin Susanne Dickel und der jüdische Literaturwissenschaftler Günther SternBild: DW/Adelheid Feilcke

Günther Stern selbst flüchtete 1937 mit 15 Jahren aus seiner Heimatstadt Hildesheim in die USA, wo er sich Guy Stern nannte. Als einziges Mitglied seiner Familie überlebte er die Nazi-Zeit. Immerhin hatte er im Gegensatz zu vielen Autoren kaum Probleme, in der Fremde anzukommen. "Ich hatte schon in meiner Heimat Privatunterricht bei einem Englischlehrer und habe viel gelernt", erzählt er. "Inzwischen bin ich zweisprachig. Wenn man mich fragt, ob ich einen Artikel auf Englisch oder auf Deutsch geschrieben habe, dann muss ich schon sehr überlegen." Aufgeben könnte er aber keine der beiden Sprachen: "Das wäre wie eine Selbstverstümmelung. Die deutsche Sprache ist für mich ein Heimatersatz, weil ich sie habe, bin ich an keinen Ort gebunden und ich kann mich damit nuancenreicher ausdrücken."

Wider das Vergessen

Die meisten Schriftsteller drückten ihre Wehmut über den Verlust der Heimat und die heimatliche Sprache in Gedichten aus. Solcher Exil-Literatur widmete sich Guy Stern. In den USA studierte er Germanistik und Romanistik, wurde Professor für Literaturwissenschaft. Doch sein Erfolg ist nicht typisch für die intellektuellen Flüchtlinge. Viele Autoren verstummten im Exil und wurden in ihrer ehemaligen Heimat vergessen. Wie zum Beispiel die Gerichtsreporterin Gabriele Tergit, die für den Exil-PEN als Sekretärin arbeitete. Ihr Nachlass wurde erst vor kurzem entdeckt und im Rahmen der Tagung ausgestellt.

Monika Grütters betonte die Bedeutung des Exil-PenBild: DW/A. Feilcke

Doch das Symposium dreht sich nicht nur um die Erinnerungen an die Exil-Erfahrungen von damals. Es geht auch darum, was Deutschland daraus gelernt hat. Darauf macht die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, in ihrer Eröffnungsrede aufmerksam: "Die Gesellschaft braucht verwegene Vordenker und Intellektuelle. Sie sind der Stachel im Fleisch, sie verhindern, dass Bequemlichkeit die Demokratie einschläfert." Grütters wirft den Blick über Deutschland hinaus: "Meinungs- und Kunstfreiheit, das ist für viele Nationen nicht selbstverständlich. Viele Künstler sind auch heute noch gezwungen, zu flüchten. Gerade mit Blick auf unsere Geschichte müssen wir ihnen Zuflucht gewähren."

Symposium anlässlich des 80-jährigen Bestehens des Pen-Clubs im Exil (vlnr): Christian Trippe (DW), Gyu Stern, Tienchi Lioa-Martin, Utz Rachowski, Thomas Krüger (Bundeszentrale für politische Bildung), Andreas Görgen (Auswärtiges Amt), Julius H. Schoeps (Direktor des Moses Meldelssohn Zentrum)Bild: DW/A. Feilcke

Der Blick nach außen

Dass das nicht vergessen wird, dafür sorgt Tienchi Martin-Liao. Ruhig, aber sehr bestimmt berichtet die Vorsitzende des PEN-Centers in Taipei in der ersten Diskussionsrunde, wie es Intellektuellen in China gerade ergeht. "Es ist ein erfreulicher Anlass, aber ich verfolge den Abend mit einer gewissen Bitterkeit. Was für euch Vergangenheit ist, ist für uns Chinesen die Gegenwart. Die Erniedrigungen gibt es bis heute und sie sind schlimmer denn je." Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo beispielweise müsse erneut für zehn Jahre ins Gefängnis - "wegen Wörtern!"

Kritisch merkt Martin-Liao an, dass sich die Berichterstattung vor allem dem chinesischen Wirtschaftswunder widme, aber selten auf die Bedrohungen und Einschränkungen für Intellektuelle hinweise. Zumindest gebe es durch die Digitalisierung heute mehr Möglichkeiten als früher, das freie Wort auch in Länder zu tragen, in denen die Meinungsäußerung unterdrückt wird. Andererseits kann sich aus dem Exil etwas Positives entwickeln: "Die Herausforderung, die Zerrissenheit ist literarisch sehr fruchtbar", findet die chinesische Autorin, die in Köln lebt.

Viele der deutschen Exilanten kehrten nicht zurück. Ihnen bietet der Exil-PEN bis heute eine geistige Heimat, als Vereinigung für deutschsprachige Autoren im Ausland. Staatsministerin Grütters erinnert an die Leistung dieser Schriftsteller zum Abschluss ihrer Eröffnungsrede: "Der Exil-PEN hat die lebendige Kraft des freien Wortes erhalten, als Deutschland ihr beraubt war. Dafür sind wir dankbar."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen