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Warum Strömungsabrisse so gefährlich sind

11. März 2019

Immer wieder stürzen Flugzeuge wegen eines plötzlichen Strömungsabrisses ab. Wenn Sensoren falsche Daten über Anstellwinkel und Geschwindigkeit liefern, treffen gestresste Piloten oder Maschinen falsche Entscheidungen.

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Bild: Reuters/T. Negeri

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02:05

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Grundsätzlich stürzen Verkehrsflugzeuge auch bei niedrigen Geschwindigkeiten nicht einfach ab. Sie sind so gebaut, dass sie selbst bei Geschwindigkeiten von nur 280 Kilometern pro Stunde schon Auftrieb haben. Der Auftrieb entsteht durch die besondere Flügelform. Vereinfacht gesagt: Der Flügel lenkt die Luft nach unten ab und erzeugt dadurch den eigenen Auftrieb nach oben.

Das geht so lange gut, wie die Luft an der Oberfläche sauber nach hinten abfließt. Im hinteren Flügelbereich entsteht ein größeres Luftvolumen und damit ein Unterdruck, der den Flügel quasi nach oben zieht. 

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Hoher Anstellwinkel – Wirbel auf der Flügeloberseite

Aber das funktioniert nur, wenn der Flügel im richtigen Anstellwinkel zur umströmenden Luft steht. Wird der Winkel zu steil (etwa ab 15 Grad), lösen sich zunächst die Stromlinien am hinteren Flügelende. Es entstehen Wirbel. Das ist schon ein erstes Warnsignal.

Noch schlimmer wird es, wenn jetzt nicht gegengesteuert wird: Der Pilot muss die Nase des Flugzeuges herunterdrücken, um den Anstellwinkel zu verringern. So vermeidet er die Wirbel und kann einen Auftrieb sicherstellen. Tut er das nicht und das Flugzeug liegt immer steiler in der Luft, kommt es ab etwa 18-20 Grad Anstellwinkel zum gefährlichen Strömungsabriss. Das bedeutet, die Luft oberhalb des gesamten Flügels verwirbelt sich.

Der Flügel verliert den Auftrieb und damit seine gesamte Funktion. Das Flugzeug kippt nach vorne und geht in den Fall über. Beim Kurvenflug kann der Strömungsabriss auch nur an einem Flügel auftreten. Das Flugzeug kommt dann ins Trudeln und fällt wie ein Stein nach unten. Nur bei sehr hohen Flughöhen kann es geübten Piloten noch gelingen, die Kontrolle über ein so fallendes Flugzeug zurückzugewinnen.

Auch die Geschwindigkeit spielt eine Rolle

Gerade im Steigflug enden solche Situationen fast immer mit einem Absturz. In dieser Flugphase kommt es bei Verkehrsflugzeugen am häufigsten zu Unfällen. Denn neben dem Anstellwinkel geht es auch um die Geschwindigkeit des Flugzeugs: Je langsamer ein Flugzeug fliegt, desto höher muss der Anstellwinkel sein, damit das Flugzeug genug Auftrieb hat. Erreicht es nicht die notwendige "Abreißgeschwindigkeit", kommt es zum Strömungsabriss.

Kurz nach dem Start braucht ein Flugzeug erheblichen Schub, um gleichzeitig seine Geschwindigkeit zu steigern und Höhe zu gewinnen. Lässt der Schub im Steigflug nach, führt das zwangsläufig zu einem erheblichen Geschwindigkeitsverlust.

Auf welchen Sensor soll sich der Pilot verlassen?

Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Piloten ihre Geschwindigkeit und den Anstellwinkel der Flügel kennen. Ist ein Sensor, der solche Daten liefert, defekt, müssen die Piloten auf einen zweiten – redundanten - Sensor umschalten. Allerdings müssen sie auch erkennen können, welcher der beiden Sensoren sich denn nun irrt. Verlassen sie sich jetzt auf den defekten Sensor, führt das schnell in die Katastrophe.

Den Flugschreiber von Air France Flug 447 hoben die Ermittler aus der Tiefe des Antlantischen OzeansBild: picture alliance / dpa

Bei drei Flugunglücken der letzten Jahrzehnte war eine fehlerhafte Geschwindigkeitsmessung mit einem sogenannten Pitotrohr ursächlich für den Absturz: Birgenair-Flug 301 stürzte 1996 noch während des Steigfluges in der Dominikanischen Republik ab. Dort hatte sich vermutlich Staub in dem Geschwindigkeitsmesser angesammelt. Eine sehr ähnliche Ursache hatte der Absturz desAeroperu-Fluges 603 im selben Jahr. Nur war der Geschwindigkeitsmesser dort nicht verdreckt, sondern vorsorglich abgeklebt worden. Das Problem: Niemand hatte vor dem Start die Klebestreifen entfernt. 

In beiden Fällen signalisierte das Geschwindigkeits-Messrohr den Piloten eine viel zu hohe Geschwindigkeit. Im Fall des Birgenair-Fluges versuchte der Pilot dem gegenzuwirken, indem er die Nase des Flugzeuges hoch zog – ein verheerender Fehler. Die richtigen Daten eines zweiten Geschwindigkeitsmessgeräts und ein Warnsignal über den drohenden Strömungsabriss ignorierte der Pilot, weil er wahrscheinlich durch die falschen Geschwindigkeitsangaben verwirrt und überfordert war.

Beim Aeroperu-Flug konnte die Mannschaft noch ein Landemanöver einleiten. Erst während des Landeversuches kam es zum Strömungsabriss und in der Folge zum Absturz. 

Bei Air France Flug 447 vereiste 2009 das Pitotrohr wahrscheinlich. Allerdings war hier das Flugzeug bereits auf Reiseflughöhe. Als der Autopilot sich daraufhin ausschaltete, waren die Piloten vermutlich durch ein auftretendes abruptes Kippen des Flugzeuges abgelenkt und versuchten, den Jet durch ein - zu starkes - Überziehen wieder unter Kontrolle zu bringen. So lösten sie ebenfalls einen Strömungsabriss aus, der zum Absturz über dem Atlantik führte. 

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Der indonesische Chefermittler Nurcahyo Utomo berichtet über Erkenntnisse zum Lion Air Absturz 2018Bild: Reuters/D. Whiteside

Sind Roboter wirklich die Lösung?

Flugzeughersteller versuchen auf zwei Wegen, mit der bekannten Gefahr umzugehen: Einerseits werden Piloten gezielt geschult, auch mit fehlerhaften Messdaten aus Sensoren zurecht zu kommen und diese trotz Verwirrung und möglicher Panik richtig zu interpretieren.

Andererseits soll die Technik besser werden und auch dann eingreifen, wenn gestresste Piloten falsche Entscheidungen treffen. So hat Boeing ein "Maneuvering Characteristics Augmentation System" (MCAS) eingeführt, das bei den 737 Max-Modellen kritische Flugsituationen erkennen kann und bei einem drohenden Strömungsabriss selbst eingreift, allerdings nur bei abgeschaltetem Autopiloten. Das kann zum Beispiel kurz nach dem Start im Steigflug der Fall sein, aber auch, wenn Sensoren unzuverlässige Messdaten liefern – wie es bei dem Air France Flug der Fall war.

Das MCAS System wird allerdings auch mit dem Absturz von Lion Air Flug 610 im Oktober 2018 in Verbindung gebracht. Hier waren offenbar nicht die Geschwindigkeitsmesser fehlerhaft, sondern die Sensoren, die den Anstellwinkel der Flügel bestimmen. Die beiden Sensoren wichen bis zu 20 Grad voneinander ab. Auch dieses Unglück ereignete sich kurz nach dem Start in der kritischen Steigphase.

Zwar sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen, aber einiges deutet darauf hin, dass das MCAS vor dem Absturz immer wieder versuchte, einen Sinkflug einzuleiten, während der Pilot 26 Mal versucht hat, die Nase des Flugzeugs wieder hochzuziehen.

Auch beim Absturz des Ethiopian Airlines Fluges 302 am 10. März 2019 gibt es zumindest einen Hinweis auf eine Verbindung zum MCAS-System. Der Flugmonitordienst "Flightradar 24" verzeichnet eine "instabile vertikale Geschwindigkeit". Das könnte bedeuten, dass Piloten und Roboter vielleicht gegeneinander gearbeitet haben. Klarheit wird es aber frühstens geben, wenn die Flugschreiber gefunden und ausgewertet worden.

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