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Die Uberisierung Portugals

Jochen Faget Lissabon
26. Juli 2019

Internetplattformen wie Airbnb und Uber machen in Portugal immer mehr Gewinn. Die 'Sharing Economy' blüht wie kaum anderswo in Europa. Aber warum ist das so?

Portugal - "Ascensor da Bica" in Lissabon
Bild: picture alliance / J. Woitas

Teilen ist in Portugal groß in Mode: Airbnb vermittelt dort mehr Ferienwohnungen als in China oder in Deutschland. Und die Uber-Südeuropa-Chefin Giovanna D‘Esposito hat vor kurzem Portugal zum "Goldenen Modell" ihres Unternehmens erklärt. Die Sharing Economy ist nicht nur zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden - die Portugiesen machen auch voller Begeisterung mit. Als Uber-Fahrer, Touristen-Beherberger oder Essensausfahrer - und das, obwohl sie gar nicht so viel dabei verdienen. Darum bezweifeln Wissenschaftler und einige wenige Politiker, dass das Geschäft mit dem Teilen auch wirklich funktioniert.

Mehr als zwei Milliarden Euro haben zum Beispiel Airbnb-Touristen laut Zahlen des Unternehmens im vergangenen Jahr in Portugal gelassen: 115 Euro am Tag, angeblich fast zur Hälfte in den Stadtteilen ausgegeben, in denen sie wohnten. Das macht das Land zum zehntwichtigsten Airbnb-Markt auf der Welt, auch wenn die Einheimischen bei rund 3,4 Millionen Airbnb-Touristen im vergangenen Jahr immer lauter über die "Rollkoffertouristeninvasion" schimpfen. Trotzdem hat die Vermiet-Plattform sich für die Mittelschicht zu einer Art Geschäftsmodell entwickelt: Sie zieht aus der Stadt in die billigeren Vororte, um das Apartment in Lissabon über Airbnb zu vermieten.

Der ungebrochene Tourismus-Boom - wie hier am Camões-Platz in Lissabon - lässt die Sharing Economy in Portugal blühenBild: DW/J. Faget

Zusatzeinkommen dringend benötigt

"Viele brauchen das Zusatzeinkommen, um ihre Familie über die Runden zu bringen", stellt José Soeiro, der wirtschaftspolitische Sprecher der Linkspartei Bloco da Esquerda, trocken fest. Weil sie die gestiegenen Lebenshaltungskosten anders nicht stemmen könnten, vermieteten selbst Hochschullehrer und leitende Beamten ihre Wohnungen über Internetplattformen. Es gehe nicht darum, eine Wohnung mit Menschen aus anderen Ländern zu teilen, sondern ganz einfach ums wirtschaftliche Überleben.

Der Soziologe Elísio Estanque sieht Portugals Boom der Sharing Economy eher kritischBild: DW/J. Faget

"Ein Großteil der Portugiesen verdient nur den staatlich garantierten Mindestlohn von 600 Euro im Monat. Da haben sie am Monatsende als Uber-Fahrer eben etwas mehr in der Tasche", erklärt der Soziologe Elísio Estanque vom Zentrum für soziale Studien der Universität Coimbra. Er forscht über die 'Uberisierung' der Arbeitsverhältnisse in Portugal.

Hoher Preis

Der Preis des Booms der Sharing Economy sei hoch: Von ihrem leicht höheren Einkommen müssten die Fahrer selbst Sozialabgaben und Betriebskosten bestreiten, rechnet Estanque vor. Obendrein trügen sie auch die volle Verantwortung für Unfälle und andere mögliche Probleme. "Viele fahren auch in ihrer Freizeit, haben eigentlich einen anderen Beruf. Selbst mir wurde schon angeboten, das zu tun. Man muss sich nur einschreiben, alles ist unglaublich leicht." Darüber hinaus propagiere Portugals Regierung ständig innovatives Unternehmertum und Internetunternehmen. Ergebnis: In den Großstädten gibt es inzwischen mehr Uber- als Taxifahrer.

Und die Sharing Economy in Portugal hat für Estanque einen gefährlichen Haken: die Verschlechterung der sowieso schon schlechten Arbeitsverhältnisse. "Feste Arbeitszeiten, ein garantiertes Einkommen, soziale Absicherung gibt es nicht. Die Arbeitsgesetze werden aufgeweicht." Während ein angestellter Taxifahrer vierzehn Monatsgehälter knapp unter 1000 Euro netto verdient, bleiben bei einem gut verdienenden Uber-Fahrer nach Schätzungen am Monatsende zwar rund 750 Euro mehr in der Tasche. Davon muss er aber noch Steuern und Sozialabgaben zahlen; einen Kündigungsschutz hat er natürlich auch nicht.

Uber-Autos müssen in Portugal einen kleinen Aufkleber mit der Aufschrift TVDE haben - mehr Vorschriften gibt es kaumBild: DW/J. Faget

Arbeitsrechtlicher Freiraum

Der Linkspolitiker José Soeiro hält die 'Sharing-Industrie' eher für einen Fluch als für einen Segen. Darum fordert seine Partei als eine der wenigen, das Geschäft der Internetplattformen gesetzlich zu Regeln: "Der Boom der Sharing Economy in Portugal geht vor allem darauf zurück, dass sie sich in einem fast gesetzlosen Raum abspielt." Und die Regierung traue sich nicht, das Problem anzupacken. "Wir hatten die große Krise und jetzt ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, da will sich niemand mit Uber oder Airbnb anlegen", meint Soeiro. Selbst wenn dadurch prekäre Arbeitsverhältnisse entstehen und die Scheinselbstständigkeit gefördert wird. Eines jedoch hat die Regierung sich in den ansonsten sehr großzügigen Verträgen mit Uber und Airbnb ausgebeten: Die Einkünfte von deren portugiesischen Dienstleistern müssen dem Finanzamt gemeldet werden.

Die Internet-Plattformen dagegen loben das Stillhalten der Regierung und machen dank des anhaltenden Tourismusbooms immer größere Geschäfte. Auch der Uber-Fahrer Nuno, der nur seinen Vornamen nennen will, ist von der Sharing Economy begeistert. Er fährt für ein Unternehmen, das für Uber arbeitet, vorher arbeitete er für ein Sicherheitsunternehmen. Er verdiene gut, der zehnstündige Arbeitstag mache ihm nichts aus. "Ich ausgebeutet?", fragt er eher überrascht. "Das haben doch alle anderen Arbeitgeber vorher auch mit mir gemacht."

Vielleicht klappt das mit dem Teilen in Portugal ja schon länger nicht so gut.

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