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PolitikTschad

Warum Ungarn ausgerechnet im Tschad militärisch aktiv wird

17. März 2024

Ein ungarischer Plan für eine eigene Militärmission im Sahel wirft Fragen auf. Vordergründig geht es um Vermeidung von Migration, doch viele Details passen nicht zusammen - angefangen bei einer prominenten Personalie.

Straßenszene im Tschad
Im Tschad halten sich mehr als eine Million Flüchtlinge auf - Ungarn will dafür sorgen, dass sie nicht in Richtung Europa weiterziehenBild: David Allignon/MAXPPP/dpa/picture alliance

Man dürfte wohl weder den Menschen im Tschad noch jenen in Ungarn zu nahe treten, wenn man sagt: Viele von ihnen würden das jeweils andere Land auf der Landkarte erst nach einiger Suche finden. Kein Wunder, denn das eher kleine mitteleuropäische Ungarn und der riesige, aber wesentlich dünner besiedelte Sahelstaat Tschad hatten bislang wenig miteinander zu tun. Ungarn unterhält im Tschad noch nicht einmal eine diplomatische Vertretung, umgekehrt ist es genauso.

Und doch kommt seit dem vergangenen Herbst Bewegung in die Beziehungen beider Länder: Ungarn will 200 Soldaten in den Tschad schicken, dazu kommen Entwicklungs- und humanitäre Hilfe. Anfang des Jahres eröffnete die staatliche Organisation "Hungary Helps" ihr erstes Repräsentationsbüro in Afrika - in Tschads Hauptstadt N'Djamena. Das Büro werde von einem seriösen Profi geleitet, sagt András Rácz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Gespräch mit der DW: "Natürlich hängt es davon ab, wie viel Geld bereitgestellt wird. Aber die zivile Mission hat das Potenzial, einen bedeutsamen Beitrag zu leisten."

Größere Fragen wirft hingegen die Militärmission auf.

Das Flüchtlingslager Dschabel im Osttschad - die strukturschwache Region grenzt an Sudans Krisenprovinz DarfurBild: Michael Knief/AP Content Services for Global Partnership for Education/picture alliance

Flüchtlinge im Tschad in schwieriger Lage

Im Oktober würdigte Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovniczky den Tschad als "einzigen stabilen Staat der Region", um gleich danach zu warnen, welche Folgen eine Destabilisierung hätte: "Wenn auch der Tschad instabil würde, könnten wir beobachten, dass sich die Fluttore öffnen und sich hunderte Millionen weiterer Migranten auf den Weg nach Europa machen", zitierte die regierungsfreundliche englischsprachige Onlinezeitung "Hungary Today" den Minister.

Nun ist die Größenordnung "hunderte Millionen" maßlos übertrieben. Dennoch hat der Tschad mit rund 1,1 Millionen Flüchtlingen in Relation zu den 18 Millionen Einwohnern so viele Flüchtlinge aufgenommen wie kein anderes afrikanisches Land. Die Hälfte von ihnen stammt aus dem benachbarten Sudan, wo seit 11 Monaten rivalisierende Militäreinheiten einander bekämpfen und weitere Menschen in die Flucht treiben. Die Versorgungslage ist schlecht; im osttschadischen Grenzgebiet zur Krisenregion Darfur ist laut UN-Angaben seit über einem Monat überhaupt keine Hilfslieferung mehr angekommen.

Wie stabil ist der Tschad noch?

Zur Lage der Flüchtlinge kommen andere innenpolitische Probleme hinzu: Anfang Mai soll im Tschad gewählt werden. Spätestens mit dem Mord an einem Oppositionspolitiker vor zwei Wochen hat sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert; Beobachter befürchten, dass Übergangspräsident Mahamat Déby den Tschad in eine Diktatur verwandeln könnte.

Bislang war Déby - anders als die Putschisten in Niger, Mali und Burkina Faso - ein treuer Verbündeter des Westens inklusive der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Allerdings ließ er sich im Januar im Kreml in Moskau empfangen - und Ungarn gibt sich manchmal pro-russischer, als es der restlichen EU lieb ist.

Dieses Foto von Mahamat Idriss Déby Itno veröffentlichten staatliche russische Medien - der tschadische Übergangspräsident im Kreml, das könnte auch als Signal an den Westen zu verstehen seinBild: Mikhail Metzel/dpa/AP/picture alliance

Der tschadische Politikwissenschaftler Evariste Ngarlem Toldé glaubt, dass Ungarn mit seiner Mission nur seine eigenen Ziele im Blick hat: "Es ist schwer vorstellbar, dass Frankreich die ungarische Präsenz im Tschad unterstützen könnte. Dasselbe gilt für Russland, das ebenfalls beschlossen hat, den Tschad bei der Stabilisierung zu unterstützen", sagt Toldé im Gespräch mit der DW. "Die ungarische Präsenz im Tschad lässt sich einfach mit dem Ziel Ungarns erklären, die Zahl der ihm von der Europäischen Union auferlegten Flüchtlinge zu reduzieren."

Trotzdem bleibt Tschad ein zentrales Land bei den geopolitischen Interessen von Paris, Budapest und Brüssel. "Tschad ist für die Europäer ein bisschen der wunde Punkt", meint Ulf Laessing, der die Projekte der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Sahelregion leitet. Während Europa immer wieder Kritik an den Militärregimes in Mali, Niger und Burkina Faso übe, gebe es trotz Defiziten in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte keine Kritik in Richtung Tschad. Und doch, sagt Laessing zur DW: "Es macht sicherlich Sinn, den Tschad zu stabilisieren, weil das Land so bedeutend ist für Zentralafrika; umgeben von Nachbarn, in denen Russland expandiert."

Mit 200 Soldaten in ein riesiges Land

Die Frage ist nur, was 200 ungarische Soldaten im Tschad bewirken können. "Ich glaube nicht, dass irgendjemand realistisch erwarten kann, dass man mit 200 Personen etwas in einem Land mit 1,2 Millionen Quadratkilometern Fläche ausrichten kann", sagt der Ungarn- und Sicherheitsexperte Rácz. "Allein mit Blick auf die Größenordnung hat diese Mission praktisch keine Chance, einen signifikanten Wandel zu bewirken." Schließlich hätten auch Frankreichs Streitkräfte mit einem wesentlich größeren Kontingent das Land nicht entscheidend stabilisieren können.

Auch im Tschad sind französische Soldaten nicht durchweg willkommen - hier eine anti-französische Demonstration im Mai 2021Bild: AFP

Frankreichs Streitkräfte sind mit mehr als 1000 Soldaten vor Ort, die sie auf Druck der Juntas in Mali und Niger von dort in den Tschad verlegt haben.

Warum geht Ungarn ausgerechnet in den Tschad?

Dem Startschuss der ungarischen Mission stehen noch ein paar bilaterale Formalitäten im Wege. Somit ist offen, ob der Einsatz noch vor oder erst nach der Wahl am 6. Mai beginnt. So oder so wäre es das erste Mal, dass Ungarn ganze Einheiten nach Afrika in einen potenziell gefährlichen Einsatz schickt - noch dazu ohne internationales Mandat.

Ungarische Spezialkräfte haben sich bei der NATO-Mission in Afghanistan (hier ein Bild von 2012) offenbar die Anerkennung der Amerikaner erarbeitetBild: Szilard Koszticsak/dpa/picture alliance

Was sind also Ungarns Motive neben der vordergründig genannten Vermeidung von Migration? Eine wirklich schlüssige Erklärung dafür hat auch András Rácz nicht. Nur eine Theorie, die ihm nach seiner Darstellung immer wieder begegnet. Sie hängt zusammen mit dem Ende des NATO-Einsatzes in Afghanistan 2021, an dem auch ungarische Spezialkräfte beteiligt waren und die seitdem nur noch Trockenübungen abhalten können: "Um diese Art von Fähigkeiten unter den Spezialkräften aufrecht zu erhalten, braucht es reale Einsätze in hochintensiven Umgebungen. Diese grundsätzliche Logik ergibt Sinn. Aber sie erklärt nicht, warum ausgerechnet Tschad", sagt der DGAP-Wissenschaftler im DW-Gespräch.

Die mysteriöse Mission des Herrn Orban

Quell zusätzlicher Irritationen ist eine Personalie: Unter den ungarischen Diplomaten, die in den letzten Monaten mehrmals in N'Djamena verhandelten, war Gáspár Orbán. Der Sohn von Ministerpräsident Viktor Orbán ist zwar erst 32 Jahre alt, sein englischsprachiger Wikipedia-Artikel listet jedoch schon Karrieren in den Bereichen Fußball, Religion, Militär und nun eben Diplomatie auf. Er ist einer der wenigen Ungarn, die an der britischen Militärakademie Sandhurst studiert haben.

Gáspár Orbáns Präsenz im Tschad haben ungarische und französische Investigativjournalisten unter anderem mithilfe eines Videos nachgewiesen, das die tschadische Flüchtlingsbehörde auf Facebook posteteBild: Cnarr-Tchad/Facebook

Welche Rolle der Orbán-Sohn in der Tschad-Mission genau einnimmt, ist unklar. Aus Sicht von Sicherheitsexperten Rácz wirft das einige Fragen auf - zum Beispiel nach den Risiken, einen Prominenten wie den Sohn des Ministerpräsidenten in einen solchen Einsatz zu entsenden. Geht es am Ende auch um dessen persönliche Karriere? Rácz zufolge sei das zumindest "eine der möglichen Erklärungen, die im Raum stehen".

Mitarbeit: Blaise Dariustone, N'Djamena

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