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Warum verfehlt Deutschland seine Klimaziele?

6. Juli 2018

Deutschland war Pionier bei den Erneuerbaren Energien, Atomausstieg und Energiewende galten als ein weltweites Vorbild. Nun droht ein Scheitern der gesteckten Klimaziele. Ist der Lobbydruck gegen die Regierung zu groß?

Deutschland Merkel besucht den Windpark Baltic 1
Bild: Getty Images/G. Bergmann

"Es ist bitter für mich Ihnen sagen zu müssen, dass wir unser selbstgestecktes Ziel für 2020 verfehlen werden", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze im Juni auf dem Petersberger Klimadialog, dem diplomatischen Vorbereitungstreffen für die nächste Klimakonferenz.

"Das Vertrauen, das Paris zum Erfolg geführt hat, das darf niemand verspielen", fügt Schulze hinzu. "Deshalb haben wir jetzt wirklich eine Menge zu tun". 

Laut dem Klimaschutzbericht der Bundesregierung steuert Deutschland bis 2020 auf eine CO2-Minderung von etwa 32 Prozent gegenüber 1990 zu und emittiert voraussichtlich rund 100 Millionen Tonnen CO2 mehr als lange versprochen. 

Unter Bundeskanzlerin Merkel hatten sich die verschiedenen Regierungen auf eine CO2-Reduktion von mindestens 40 Prozent festgelegt und das Festhalten an dem Ziel wiederholt betont. Warum scheitert die Regierung mit ihrer Politik?  

Braunkohle torpediert Klimaziele

Das größte Problem für den Klimaschutz in Deutschland sind die Braunkohlekraftwerke. Obwohl der deutsche Strombedarf schon zu über 40 Prozent aus Erneuerbaren Energien gedeckt werden kann, produzieren Braunkohlekraftwerke weiter möglichst viel Strom und emittieren so jedes Jahr noch rund 160 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre. 

Die Braunkohle ist in der Erzeugung günstig und verdrängt so vor allem die etwas klimafreundlichere Stromerzeugung mit Gas und Steinkohle. Darüber hinaus sorgt der Strom aus Braunkohle für einen starken Stromexport, rund neun Prozent des deutschen Stroms flossen so im letzten Jahr in die Nachbarländer, so viel wie nie zuvor. 

Würde Deutschland auf diesen großen Stromexport verzichten und den Strom aus fossilen Energien vorrangig mit Gas und Steinkohle erzeugen, ließen sich "über 80 Prozent des Braunkohlestroms und die damit verbundenen Emissionen einsparen", erklärt Energieexperte Bruno Burger vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Die deutschen Klimaziele würden mit einer veränderten Stromproduktion so klar erreicht. 

Mehr dazu: Klima: Vom Musterschüler zum Sünder

Lobby kämpft gegen Energiewende

"Die Bundesregierung steht voll und ganz zum Klimaabkommen von Paris", sagte Angela Merkel auf internationalen Konferenzen wie dem Petersberger Klimadialog und betont zugleich auch die Chancen der Energiewende. "Eine ambitionierte Klimaschutzpolitik hilft nicht nur die schlimmsten Folgen des Klimawandels einzudämmen, sie bietet auch neue Chancen für Innovationen und damit für Wachstum und Wohlstand weltweit." 

Doch trotz klarem Bekenntnis fällt es der Regierung nach Ansicht von Experten schwer sich gegen die Lobby der etablierten Energiewirtschaft durchzusetzen.

Diese will mit ihrem alten Geschäftsmodell noch möglichst lange viel Geld verdienen, erklärt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Jeder Tag, den ein Kohlekraftwerk noch weiter läuft, sei für sie "bares Geld", so Kemfert im DW-Interview.

"Die Kosten für erneuerbare Energien sinken immer weiter und weltweit fließen sehr viele Investitionen in die erneuerbaren Energien. Das alles gefällt den Industrien nicht, die mit konventionellen Energien und Atomenergie Geld verdienen", so Kemfert, die die Bundesregierung als Sachverständige berät.

Kohlestrom ist in der Gesamtbetrachtung zu teuer

Klimaschutz fällt zurück

Hans-Josef Fell, Präsident der Energie Watch Group, kennt den Einfluss der fossilen Wirtschaft auf die Politik ebenfalls sehr gut. Zu den starken Lobbygruppen zählt in Deutschland neben der Autoindustrie die Energie- und Kohlewirtschaft. 

Gesetze für Klimaschutz und den Ausbau von Erneuerbaren Energien wurden laut Fell in den vergangenen Jahren deutlich abgebremst: "Wir haben seit vielen Jahren Gesetzgebungen, im Erneuerbare-Energien-Gesetz, in dem Energiewirtschaftsgesetz. Sie alle standen unter einem Diktat: Rückgang des jährlichen Zubaus der Erneuerbaren Energien. Und diese Entwicklung hatten wird nicht nur im Stromsektor. Auch im Verkehrs- und im Wärmebereich gab es keine positive Entwicklungen." 

Laut Fell hätten beim Umbau zur klimafreundlichen Energieversorgung aber auch die Gewerkschaften eine negative Rolle eingenommen. Zwar sei deren Einsatz für die rund 22.000 Beschäftigten in der Kohleindustrie legitim, zugleich hätten sie jedoch den Verlust von über 45.000 Jobs in der deutschen Solarindustrie ohne Protest einfach hingenommen. "Das Hören auf die alte Wirtschaft, auf deren Konzernchefs und Gewerkschaften ist zu stark und damit hat es auch Frau Merkel schwer", lautet Fells Resümee.

Andreas Scheidt vom Vorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verteidigt sich gegen den Vorwurf der einseitigen Interessenvertretung nur zugunsten der Kohlejobs und gibt diesbezüglich den Medien die Schuld. "Wir haben kritisiert, dass unsere Arbeitsplätze in der Solarindustrie verloren gegangen sind. Darauf haben wir aufmerksam gemacht. Aber das sind Themen für Insider und die bringen keine Schlagzeilen", so Scheidt im DW-Interview. 

"Klimaziele noch möglich"

Die Einhaltung des deutschen Klimaziels, eine CO2-Reduktion um 40 Prozent bis 2020, hält Fell für noch möglich bei einer entschiedenen Politik. Erneuerbare Energien ließen sich bei Gesetzesänderungen wieder schneller ausbauen und Kohlekraftwerke könnten sehr schnell abgeschaltet werden: "Wir wären in der Lage innerhalb von zwei Jahren die Klimaschutzziele noch einzuhalten. Die Möglichkeiten hätten wir sehr wohl."

Skeptisch gegenüber einem schnellen Kohleausstieg und ambitioniertem Klimaschutz zeigt sich jedoch weiterhin auch die energieintensive Industrie in Deutschland. Sie verbraucht rund ein Viertel des deutschen Stroms und zudem noch viel Kohle, Öl und Gas in der Produktion. Sie will weiter möglichst wenig Geld für Energie und Klimaverschmutzung zahlen und sich so eine gute Position im internationalen Wettbewerb bewahren. 

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