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Warum viele Politiker zum Katholikentag nach Erfurt kamen

2. Juni 2024

Zum Katholikentag in Erfurt kamen auffallend viele Politikerinnen und Politiker. Es waren Auftritte jenseits des politischen Alltags. Mit Hoffnung auf Hoffnung.

Kanzler Scholz sitzt an einem Biertisch mit einigen Helferinnen und Helfern des Katholikentags in Erfurt zusammen.
Bundeskanzler Scholz (M.) im Gespräch mit Helferinnen und Helfern des KatholikentagsBild: Kai Pfaffenbach/Pool Photo via AP/picture alliance

Mehr als 30 Minuten vor Beginn der Veranstaltung stehen hunderte Gäste vor der Tür und kommen nicht mehr rein. Die Zentralheize, ein ehemaliges Heizkraftwerk in Erfurt aus dem 19. Jahrhundert, ist voll. Auf der Bühne der hippen Eventlocation steht die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Die 43-jährige Grünen-Politikerin ist der letzte politische Spitzengast, der auf dem diesjährigen Katholikentag spricht - mal im munteren Plauderton, mal im Schlagabtausch mit dem gleichaltrigen Marc Frings, dem Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).

Sie erzählt von Besuchen in Kiew und Charkiw, von einer privaten Radtour zum Badesee und dann wieder von der Lage in Nahost, dem Krieg in Gaza, dem Terror der Hamas, den schrecklichen Bilder der vielen getöteten Kinder.

Kirchenlose auf dem Kirchentag 

Insgesamt waren sieben der 17 Mitglieder des Bundeskabinetts zu Gast beim gut viertägigen Katholikentag in der thüringischen Landeshauptstadt, Mitglieder der SPD und der Grünen. Auch CDU-Chef Friedrich Merz und mehrere Ministerpräsidenten schauten vorbei. FDP-Politiker kamen wie seit längerem üblich nicht.

Außenministerin Annalena Baerbock diskutierte mit dem Geschäftsführer des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Marc Frings, unter anderem über den NahostkonfliktBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Auffallend viele von ihnen betonten die Bedeutung der Kirchen und kirchlicher Großtreffen - darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, die allesamt keiner Kirche (mehr) angehören. Scholz nannte die Christen "besonders gut darin, die Hoffnung als Thema zu haben"; das sei wichtig in Zeiten der Verunsicherung. Habeck, der erstmals bei einem Katholikentreffen zu Gast war, lobte den Beitrag der Kirchen zu einer gesellschaftlichen Zukunftsvision. Und Kühnert sagte: "Diese Gesellschaft braucht auch starke Kirchen." Baerbock, Mitglied der evangelischen Kirche und nach eigenem Bekunden "nicht gläubig", sagte, sie sei beeindruckt von der "Kraft der Gemeinschaft".

Die Politiker stellten also vor allem positive Aspekte der Kirche heraus - in Zeiten, in denen die beiden großen Kirchen in Deutschland (die katholische und die evangelische) schwächeln: Zahlreiche Skandale von sexuellem Missbrauch und vielfach als unzeitgemäß empfundene Positionen haben ihre Mitgliederzahlen sinken lassen.

Mehr als politisches Schaulaufen

Dabei klang der Zuspruch nicht nach hohlen Phrasen, wie sie meist auf Pflichtterminen zu hören sind, sondern nach aufrichtigem Lob. Dies könnte damit zu erklären sein, dass die Politiker angesichts der aktuellen Häufung von Krisen einen wachsenden Bedarf an ehrenamtlichem Engagement und spirituellem Sinn in der Gesellschaft erkennen.

Sprach wie alle Politiker auch über seine Themen: Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck war erstmals bei einem Katholikentag zugegenBild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Wie üblich setzten die Politiker auf dem Katholikentag auch ihre eigenen Themen. Kanzler Scholz blickte sorgenvoll auf die russische Aggression und mahnte: "Wir müssen den großen Krieg vermeiden." Baerbock sprach über feministische Außenpolitik und ihre WhatsApp-Vernetzung mit mehr als 50 politischen Akteurinnen in diversen Ländern. Habeck sprach vom Kampf gegen den Klimawandel, der notwendigen Transformation, der Frage der Gerechtigkeit.

Aber alle gingen mit ihren Auftritten weit über einen politischen Schaulauf hinaus. Und das Publikums dankte es ihnen, hörte aufmerksam zu und gewichtet seinen Beifall deutlich.

Zwischenfälle bei Scholz und Steinmeier

Oder zumindest die große Mehrheit des Publikums. Denn die gut einstündige Veranstaltung mit dem Bundeskanzler wurde lautstark unterbrochen. Sechs Mitglieder der radikalen Klimaschutzbewegung "Extinction Rebellion" wurden von Helfern und Vertretern des veranstaltenden Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) hinausgeleitet, nachdem sie ihre Zwischenrufe nicht beenden wollten. Polizisten in Uniform kamen nicht in den Saal. Doch als Scholz später einige Informationsstände von katholischen Verbänden und Initiativen in der Innenstadt von Erfurt besuchte, schirmten Bereitschaftspolizisten ihn großräumig ab.

Schon beim Bundespräsidenten war es zu einem Zwischenfall gekommen, noch bevor er den Katholikentag am Mittwoch eröffnete: Frank-Walter Steinmeier reiste mit seinem Tross im ICE von Berlin nach Erfurt. Der Zug, so er denn planmäßig fährt, verbindet beide Städte weit schneller als jedes Auto. Doch schon auf dem Bahnsteig in Berlin wurde Steinmeier, begleitet von Leibwächtern und uniformierten Polizeibeamten, laut Medienberichten von einem Bahnmitarbeiter strafrechtlich relevant beleidigt.

Extremismus lastet auch auf Katholikentag

Protest hatten die Veranstalter beim Katholikentag in Erfurt von einer anderen Seite erwartet. Thüringen ist eines der Bundesländer, in denen die rechte Partei Alternative für Deutschland (AfD) besonders stark und - mit Björn Höcke als Vorsitzendem des Landesverbands - besonders rechts ist. Der Verfassungsschutz stuft die AfD in diesem Bundesland als rechtsextrem ein. Und so sieht man in Erfurt des Öfteren Plakate "Unser Kreuz hat keinen Haken", mit dem sich Kirchengemeinden bei AfD-Veranstaltungen von der Partei distanzieren. Damit spielen sie auf das Hakenkreuz an, das unter anderem auf der Flagge des Dritten Reichs unter Adolf Hitler zu sehen war und bei Teilen der AfD-Wählerschaft beliebt ist. Das Hakenkreuz zu zeigen, ist in Deutschland in vielen Fällen strafbar.

Bei der Eröffnung des Katholikentages trug Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) den Schal mit dem diesjährigen Motto "Zukunft hat der Menschen des Friedens“Bild: Jan Woitas/picture alliance/dpa

Auf dem Katholikentag dankten mehrere Politiker den deutschen Bischöfen nachdrücklich für deren Erklärung gegen "völkischen Nationalismus" und Rechtsextremismus, in der sie Ende Februar sich auch deutlich gegen die AfD aussprachen. 

Ob es nun um Kritik an der Haltung zum Nahostkonflikt, an der Klimapolitik oder um Attacken von Rechtsaußen geht: Vieles von der Lockerheit, die ein kirchliches Großtreffen auch für Spitzenpolitiker früher bedeutete, scheint dahin. 

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