1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Warum war das Beben in Afghanistan so zerstörerisch?

1. September 2025

In Afghanistan hat ein "nur" mittelstarkes Beben enorme Schäden angerichtet. Das liegt an der Verkettung von drei Faktoren: der geringen Tiefe des Bebens, der Bodenbeschaffenheit und der verbreiteten Bauweise.

Zerstörte Häuser eines Dorfes am Fuß eines Hügels nach einem Erdbeben in Afganistan
Bei identischer Magnitude hängt die Zerstörung entscheidend davon ab, wie erdbebensicher gebaut wurde und wie der Boden beschaffen istBild: Wahidullah Kakar/AP Photo/dpa/picture alliance

Für die Wissenschaft ist die sogenannte Richterskala wichtig, die die physikalische Stärke eines Erdbebens anhand der maximalen Bodenbewegung angibt. Auf diese Weise lassen sich die freigesetzten Energien objektiv vergleichen. Die Skala allein sagt allerdings wenig über die tatsächlichen Schäden vor Ort aus, da diese außerdem von der Tiefe des Bebens und lokalen Bedingungen abhängen.

Warum war das Beben so zerstörerisch?

Das jüngste Erdbeben in Afghanistan in den Provinzen Kunar und Nangarhar hatte eine Stärke von 6,0 auf der Richterskala  – das ist zwar nicht extrem stark, aber drei weitere Faktoren sorgten für Verheerungen: die geringe Erdbebentiefe, die Bodenbeschaffenheit und die häufige Verwendung einfacher Baustoffe sowie eine mangelhafte Bauweise.

Flache Tiefe der Erdbebenherde

Das aktuelle Erdbeben ereignete sich in nur acht Kilometern Tiefe – solche "Flachbeben", die in weniger als 70 Kilometern Tiefe stattfinden, gelten als besonders gefährlich, da die Energie direkt und unvermittelt an die Oberfläche gelangt. Dies führt zu maximalen Bodenbewegungen und erhöht das Zerstörungspotenzial für Gebäude und Infrastruktur enorm.

Die Wahrscheinlichkeit für starke Schäden steigt in Subduktionszonen, wenn die Erdbebenherde nahe an der Oberfläche liegen. Subduktionszonen sind geologische Bereiche, in denen eine tektonische Platte unter eine andere gedrückt wird, wodurch häufig starke Erdbeben und Vulkanismus entstehen.

Afghanistan liegt zwar nicht direkt in einer solchen ozeanischen Subduktionszone, aber in einer komplexen Kollisions- und Deformationsregion, in der ein alter Rest der indischen Platte tief unter dem Hindukusch langsam in den Erdmantel sinkt und schwere Erdbeben auslöst.

Bodenbeschaffenheit

In vielen Regionen Afghanistans sind die Böden locker oder von Sedimenten und Lehmschichten geprägt. Lockere, wassergesättigte Lehmböden oder sandige Böden können sich bei einem Beben "verflüssigen" – sie verlieren ihre Festigkeit und sinken ab. Dadurch können ganze Gebäude wegrutschen und zusätzliche Schäden entstehen. Besonders nach starken Regenfällen nimmt die Feuchtigkeit zu und mindert die Stabilität der Bauwerke weiter.

Bauweise und Gebäudestruktur

Afghanische Häuser werden oft aus Lehm, Stein und ungebrannten Ziegeln gebaut – meist ohne metallische Stützstrukturen oder Betonfundamente. Diese Bauweise gilt als besonders erdbebengefährdet, da Wände kaum Erschütterungen standhalten und beim kleinsten Ruck kollabieren können.

In ländlichen Gebieten fehlen zudem Bauvorschriften und erdbebensichere Konstruktionen vollständig. In Ballungszentren werden auch gemauerte Häuser ohne Stahlträger errichtet. Nach wissenschaftlichen Schätzungen ist daher bereits bei mittleren Erdbeben mit schweren Schäden zu rechnen.

Alte Forderung nach neuer Forschung in Afghanistan

Bereits die verheerenden Erdbeben 2023 im afghanischen Herat unterstrichen nach Ansicht der Experten des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) in Potsdam "die dringende Notwendigkeit einer gründlichen wissenschaftlichen Untersuchung der Region".

Afghanistan ist in den vergangenen Jahren weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Die jahrzehntelangen Unruhen im Land und die Herrschaft der regierenden Taliban erschweren eine wissenschaftliche Arbeit vor Ort zusätzlich.

"Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von seismischen Stationen und überhaupt keine zusätzlichen GNSS-Satellitenmessungen am westlichen Ende der Herat-Verwerfung", hieß es von Seiten des GFZ bereits nach dem Beben in Herat. "Dies stellt eine erhebliche Herausforderung für die genaue Modellierung dieser afghanischen Erdbeben und das Ziehen zuverlässiger Schlussfolgerungen dar."

Afghanen aus dem Iran kehren heim

03:02

This browser does not support the video element.

Ab wann merken wir Erdbeben, wann wird es gefährlich?

Neben dem Wert auf der Richterskala hängt die Gefahr durch ein Erdbeben entscheidend davon ab, wie erdbebensicher gebaut wurde und wie der Boden beschaffen ist. 

Zum Vergleich: Erst ab Stärke 3,5 beginnen Menschen, Erschütterungen in besiedelten Gebieten wahrzunehmen, sie bemerken Vibrationen und leichte Bewegungen. Ab Stärke 5 wackeln lose Möbel und Gegenstände. Schlecht gebaute Gebäude bekommen sichtbare Risse in den Wänden oder lose Steine fallen heraus.

Ab Stärke 6 stürzen viele der schlecht gebauten Häuser zusammen, Brücken können brechen, Menschen werden verschüttet oder von herabstürzenden Gegenständen verletzt. Ab Stärke 7 kollabieren auch robustere Gebäude, ganze Stadtteile können zerstört werden. Ab Stärke 8 sind die Zerstörungen sehr massiv und in einige hundert Kilometer vom Epizentrum entfernt muss noch mit vielen Toten gerechnet werden. 

 

Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit