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Warum wir weiter die Luft verschmutzen

Oleg Ködding-Zurmühlen17. Juni 2016

Deutschland ist der größte Luftverschmutzer in der EU. Neun weitere Mitgliedsstaaten überschreiten regelmäßig die Emissionsgrenzwerte - obwohl die Gefahr für Mensch und Umwelt längst bekannt ist. Was muss sich ändern?

Weit in den von noch Regenwolken verhangenen Himmel ragen die Wasserdampf-Fahnen des Kohlekraftwerks Staudinger bei Großkrotzenburg in Hessen (Foto: picture alliance).
Bild: picture-alliance/dpa

Ein ganz normaler Tag in Deutschland: Wir fahren mit dem Auto zur Arbeit, vorbei an Fabriken, Kraftwerken, bewirtschafteten Feldern. Bei offenem Fenster spüren wir den unangenehmen Reiz der Abgase oder riechen den beißenden Geruch des Düngers.

Der Schmutz in der Luft, die wir einatmen, ist mit bloßem Auge nicht erkennbar. Wir können ihn nicht in die Hand nehmen und begutachten, wir können ihn nicht einfangen und wegsperren. Wir könnten nur aufhören, ihn zu produzieren.

Zehn EU-Staaten - angeführt von Deutschland - pusten jedoch weiter zu viele Schadstoffe in die Luft. Laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur (EEA) haben Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, Irland, Luxemburg, Dänemark, Finnland, die Niederlande und Spanien die Grenzwerte für den Ausstoß von Schadstoffen im Jahr 2014 überschritten. Seit 2010 gilt die sogenannte NEC-Richtlinie der Europäischen Union, die nationale Emissionsbegrenzungen für vier Luftschadstoffe vorgibt. Deutschland hat die Grenzwerte seitdem kein einziges Mal eingehalten - und ist das einzige Land, das bei drei der vier Richtwerte durchfiel.

Gefahr durch Feinstaub

Gemessen wurden Werte für Stickoxide (NOx), Nichtmethan-flüchtige organische Verbindungen (NMVOCs), Schwefeldioxid (SO2) und Ammoniak (NH3) - Schadstoffe, die für die Bildung von Feinstaub in der Luft verantwortlich sind.

Kleine Partikel, große Gefahr für die Gesundheit.

Feinstaub besteht aus Partikeln mit einem Durchmesser von weniger als zehn Mikrometer (µm). Die Partikel gelangen in Bronchien und Lungenbläschen - je nach Größe sogar bis in das Lungengewebe und den Blutkreislauf.

Die damit verbundenen Gesundheitsrisiken sind schon lange bekannt: Sie reichen von Schleimhautreizungen bis hin zu chronischer Bronchitis, Herzkreislauferkrankungen und Lungenkrebs. 2013 warnte eine Greenpeace-Studie nach Auswertung der Daten der EEA, dass die Summe aller deutschen Feinstaubemissionen zu rund 28.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr führt. Doch warum halten sich gleich zehn EU-Staaten nicht einfach an die vorgegebenen Grenzwerte?

Schmutzfinke aus Verkehr und Landwirtschaft

Antworten finden sich mit Blick auf die Herkunft der Schadstoffe. Stickoxide (NOx) und Schwefeldioxid (SO2) gelangen durch Verbrennungsprozesse in die Luft: zum einen im Straßenverkehr und zum anderen durch Verbrennung von fossilen Brennstoffen, etwa in Kohlekraftwerken zur Stromgewinnung. Ammoniak (NH3) wird zu 95 Prozent durch die Landwirtschaft emittiert, insbesondere aufgrund von Massentierhaltung und Düngung.

Sowohl der Verkehr als auch die Tierhaltung sind gerade in Deutschland zwei stark wachsende Sektoren:

Jeder zweite Deutsche besitzt ein Auto. Nach einer Prognose des Bundesverkehrsministeriums wird der PKW-Bestand bis zum Jahr 2025 um mindestens zehn Prozent steigen. Die Fleischproduktion in Deutschland erreichte laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2014 mit 8,2 Millionen Tonnen einen Rekordwert - vor allem aufgrund des Geflügelsektors: Die Produktion hat sich in den letzten 20 Jahren verdreifacht.

Durch Massentierhaltung gelangt Ammoniak in die LuftBild: picture alliance/dpa

Ammoniak: ein besorgniserregender Trend

Während die gefährliche Rolle von Stickoxiden bei der Bildung von Feinstaub bereits von der Politik erkannt wurde - die Einführung der Blauen Plakette soll den Ausstoß in Städten verringern - wird Ammoniak noch kaum Beachtung geschenkt. Dass sich das ändern muss, macht Martijn Schaap, Gastprofessor für Luftchemie bei der Freien Universität Berlin und Experte für Ammoniak, gegenüber der DW deutlich: "Für die Reduktion von Stickoxiden und Schwefeldioxid wurde viel getan, doch bei Ammoniak gibt es noch Nachholpotenzial, um effektiv Feinstaub zu verringern."

Deutschland hat die Emissionsgrenzwerte für Ammoniak zuletzt um 34,5 Prozent überschritten - Tendenz steigend

Dieser Trend spiegelt sich auch in den Zahlen der Europäischen Umweltagentur (EEA) wider: Der Ausstoß von Stickoxid aus Verkehr, Haushalten und Industrie hat seit 2010 abgenommen, während die Ammoniak-Emissionen aus Düngung und Massentierhaltung gestiegen sind.

Lösungen aus der Wissenschaft

Bei der Bildung des gesundheitsgefährdenden Feinstaubs spielt Ammoniak eine entscheidende Rolle. "Ammoniak ist eine Base und reagiert in der Luft mit den Säuren, die aus Stickoxiden und Schwefeldioxid gebildet werden. Dabei entstehen Ammoniumsalze, die zu Spitzenzeiten im Frühling die Hälfte des Feinstaubs ausmachen", erklärte Martijn Schaap der DW und mahnt: "Am effektivsten ist es, die Emissionen der drei Vorläufergase von Feinstaub in der Luft zu verringern."

Doch wie gelingt das bei Ammoniak? "Es gibt technische Maßnahmen für geschlossene und offene Ställe, um das Entweichen von Ammoniak in die Atmosphäre zu verringern, und bei der Düngung sollte die Gülle schneller eingearbeitet werden."

Die richtige Technik bei der Ausbringung von Gülle kann die Emissionen von Ammoniak verringernBild: picture alliance/F. May

Laut einem Bericht des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam, an dem auch Martijn Schaap mitgearbeitet hat, gibt es sogar eine noch kosteneffizientere Lösung: proteinarmes Tierfutter.

Das vermindert den Gehalt von Stickstoff in den Exkrementen der Tiere und damit auch das Entweichen von Ammoniak. In Betracht gezogen werden solle außerdem die Reduzierung unseres Fleischkonsums.

Wie reagiert die Politik?

Während die Wissenschaft schon konkrete Lösungsvorschläge zur Verringerung der Emissionen der stickstoffhaltigen Schadstoffe Ammoniak und Stickoxide bereithält, befindet sich die Politik noch im Dialog.

In einer Stellungnahme ließ das Bundesumweltministerium gegenüber der DW verlauten: "Es gilt, das verfügbare Regelinstrumentarium weiterzuentwickeln, um übermäßige Stickstoffeinträge schneller und wirksamer senken zu können. Die Frage nach weiteren geeigneten Maßnahmen wird auch ein wichtiges Thema eines ergebnisoffenen Dialogs mit den Akteuren, Ressorts und Ländern sein, den wir Ende Juni einleiten."

Bis hier konkrete Pläne und Vorschriften folgen, bleibt Deutschland also wohl erst einmal der größte Luftverschmutzer der EU.

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