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Politik

Was bedeutet das Kriegsrecht für die Ukraine?

27. November 2018

In Teilen der Ukraine wurde das Kriegsrecht ausgerufen. Spitzt sich der Konflikt zwischen Moskau und Kiew weiter zu? Ukrainische Experten erläutern ihre Sicht darauf, welchem Zweck das Kriegsrecht dienen soll.

Ukraine
Proteste vor der russischen Botschaft in KiewBild: Getty Images/AFP/S. Supinsky

Dass im fünften Jahr des bewaffneten Konflikts mit Russland in Teilen der Ukraine das Kriegsrecht ausgerufen wird, hat so manchen Beobachter erstaunt. Auch im ukrainischen Parlament wurde darüber stundenlang heftig debattiert. In seinem Erlass reduzierte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko die Dauer des Kriegsrechts schließlich von 60 auf 30 Tage. Zudem wird es nur in zehn an Russland und Transnistrien grenzenden Regionen gelten und nicht landesweit. Damit zeigte sich das Parlament mit deutlicher Mehrheit einverstanden. Ferner versicherte Poroschenko, dass trotz des Kriegsrechts die Präsidentschaftswahlen wie von der Verfassung vorgesehen am 31. März 2019 stattfinden, woraufhin das Parlament einen entsprechenden Beschluss verabschiedete.

Ein militärischer Vorfall hatte am Sonntag die Spannungen zwischen Moskau und Kiew im Asowschen Meer verschärft. In der Straße von Kertsch, einer Meerenge vor der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim, hatte die russische Küstenwache Schiffen der ukrainischen Marine die Durchfahrt verweigert und eines der Boote gerammt. Während Kiew von einer militärischen Aggression spricht, drangen die Schiffe aus Moskaus Sicht illegal in russische Hoheitsgewässer ein. Deswegen das Kriegsrecht in der Ukraine auszurufen, wurde anfangs von Kritikern als Versuch gewertet, die Wahlen zu verschieben und die Rechte der Bürger zu beschneiden.

"Eine angemessene Reaktion"

Beobachter in Kiew sprechen im Zusammenhang mit der Verhängung des Kriegsrechts von einem rechtzeitigen und notwendigen Kompromiss. Das Kriegsrecht ermögliche, die Verteidigungsfähigkeit zu verbessern und Bedrohungen zu beseitigen, sagte Jurij Jakymenko vom Kiewer Rasumkow-Forschungszentrum der DW. Er betonte, der Kompromiss habe auch deutlich gemacht, dass die Ukraine nicht vom demokratischen Weg abkomme.

Jakymenko zufolge gibt es in der ukrainischen Gesellschaft aber Befürchtungen, vor dem Hintergrund der Gefahr einer militärischen Invasion könnten die verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten verloren gehen, die die Ukrainer vor fünf Jahren mit der Revolution der Würde auf dem Kiewer Maidan verteidigt hatten - nämlich Wahlfreiheit, Bewegungsfreiheit und Redefreiheit.

Das "hybride Kriegsrecht", so der Experte, sei eine angemessene Reaktion der Ukraine auf den hybriden Krieg Russlands. "Das ist eine starke Antwort an Russland, das gehofft hatte, mittels einer Verschiebung der Wahlen die Lage in der Ukraine zu destabilisieren", so Jakymenko. Die Bewahrung demokratischer Verfahren und die Garantie der Rechte und Freiheiten der Bürger auch unter Bedingungen des Kriegsrechts werden seiner Meinung nach die Position der Ukraine in der internationalen Arena stärken.

Test für einen Monat?

Aber wird das Kriegsrecht tatsächlich die Verteidigungsfähigkeit des Landes stärken? Weder im Beschluss des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates noch im Erlass des Präsidenten steht, wie das Kriegsrecht genau in den betroffenen Regionen des Landes angewandt werden soll.

Wolodymyr Horbatsch vom ukrainischen Institut für euroatlantische Zusammenarbeit meint, die ukrainischen Behörden sollten während der Dauer des Kriegsrechts die Kontrolle über wichtige Objekte der Energieinfrastruktur übernehmen. Das sei eine "Schwachstelle". "Der Staat sollte in diesen Regionen die direkte Kontrolle über das Energiewesen haben, über die Wärmekraftwerke, die Kohleindustrie, die Gasunternehmen, über die Bereiche der Wirtschaft, die heute von ukrainischen Oligarchen kontrolliert werden, die im Interesse Russlands handeln", so der Experte.

Mychajlo Hontschar vom ukrainischen Zentrum für Globale Studien "Strategie XXI" hält das in zehn Regionen für einen begrenzten Zeitraum verhängte Kriegsrecht für einen "Test" vor dem Hintergrund einer möglichen russischen Invasion. Die Ereignisse im Asowschen Meer hätten gezeigt, dass Moskau nur nach einem Anlass suche, in der Ukraine einzugreifen. "Deshalb müssen wir im kommenden Monat das Verteidigungssystem neu organisieren. Wie, steht in der Geheimklausel 12 des Präsidentenerlasses", so Hontschar. Der Experte vermutet, dass in den Regionen am Meer die militärische Aufklärung verstärkt wird. Auch könnte die logistische Bereitstellung von Waffen und Truppen sowie eine Militärverwaltung in den am stärksten bedrohten Regionen geübt werden.

Was erwartet die betroffenen Regionen?

Verkehrsminister Wolodymyr Omeljan erklärte, dass in den vom Kriegsrecht betroffenen zehn Regionen der Schutz von Bahnhöfen, Flughäfen, Häfen und anderen Infrastruktur-Objekten verstärkt werde. Außerdem würden besondere Regeln im Schienenverkehr gelten. Sie sollen nach Angaben des Ministers dafür sorgen, dass genügend Kapazitäten im Eisenbahnnetz gewährleistet sind, um notwendiges Material zum Zwecke der Verteidigung transportieren zu können.

Der ukrainische Minister für Sozialpolitik, Pawlo Rosenko, versicherte, das Kriegsrecht in einigen Regionen des Landes werde sich auf die Auszahlung von Renten, Löhnen und Sozialleistungen in keiner Weise auswirken. Der Chef der Nationalbank, Jakiw Smolij, unterstrich, auch das Bankwesen werde durch das Kriegsrecht nicht beeinträchtigt.

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