Was bedeutet ein Kanzler Friedrich Merz für die EU?
5. Mai 2025
"Wir sind bereit zu liefern und in Deutschland eine Regierung zu bilden, die einer der stärksten europäischen Unterstützer sein wird, den Sie je aus meinem Land gesehen haben," verspricht Friedrich Merz seinen europäischen Parteikollegen bei einer Rede im spanischen Valencia.
Auf dem Parteikongress der konservativen Europäischen Volkspartei Anfang letzter Woche gibt Merz - zu dem Zeitpunkt noch Kanzler in Warteschleife - einen Vorgeschmack auf seinen europapolitischen Kurs: Stärkung der europäischen Einheit und Verteidigungsfähigkeit, Unterstützung neuer Freihandelsabkommen, Neujustierung von Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Senkung der Zahl von in Europa ankommender Migranten.
Merz verspricht mehr deutsche Führung in der EU
Er wisse, betont Friedrich Merz, dass sich in den letzten Jahren viele mehr deutsche Führung in der EU und auf internationaler Ebene gewünscht hätten und wolle neue Initiativen anstoßen und mehr Energie investieren, um die EU voranzubringen.
Auf europäischer Ebene wolle niemand, dass Deutschland - das Land mit den meisten Einwohnern und als größte Volkswirtschaft in der EU - seine zentrale Position ausspiele und versuche, seine Interessen mit Druck durchzusetzen, so Rafael Loss, Politikwissenschaftler am European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin. Vielmehr würde es sich von Deutschland gewünscht, zusammenführende Impulse zu geben, die innerhalb der EU ausgleichend wirken, und auch den kleineren Mitgliedstaaten Gehör zu verschaffen.
Merz will Europa im Bereich Verteidigung stärken
In Sachen Verteidigung müsse Europa mit einer Stimme sprechen "vor allem dadurch, dass wir unsere Verteidigung in einer viel effektiveren Art und Weise organisieren, die unsere Verteidigungsfähigkeit auf ein neues Level hebt," so Friedrich Merz. Dafür müsse man "pragmatisch" sein, was gemeinsame militärische Beschaffung und die Entwicklung gemeinsamer Rüstungsprojekte angeht. Grundsätzlich solle dies im Rahmen der NATO geschehen. Aber die Europäer müssten in der Lage sein, sich besser zu verteidigen als in der Vergangenheit. "Das ist nicht optional, sondern eine Voraussetzung, um Freiheit und Frieden auf dem europäischen Kontinent zu bewahren," so Merz.
Unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und den deutlichen Signalen aus Washington, Europa müsse mehr für seine Verteidigung tun, hatte die EU-Kommission kürzlich eine neue Verteidigungsstrategie vorgestellt, sowie Pläne, wie sie die europäische Aufrüstung finanzieren will. Diese Pläne müssen nun umgesetzt werden.
Am Wahlabend im Februar ging Merz weiter, als er es als "absolute Priorität" benannte, Europa so zu stärken, dass es "Schritt für Schritt" unabhängig von den USA werde.
Wiederbelebung des deutsch-französischen Motors?
Beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron dürften diese Worte gut angekommen sein. Für den Tag nach dem voraussichtlichen Amtsantritt ist ein Besuch in der französischen Hauptstadt geplant. Die Beziehung zwischen Emmanuel Macron und Friedrich Merz ist auch für die EU von Bedeutung. Denn traditionell gilt das deutsch-französische Verhältnis als die treibende Kraft für die Weiterentwicklung der Europäischen Union.
Nach wie vor seien Deutschland und Frankreich, trotz neuer Gewichtungen in Osteuropa, die beiden größten EU-Mächte, sagt Paul Maurice, Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen am französischen Institut für internationale Beziehungen (IFRI). Dies liege insbesondere an ihrer wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Bedeutung.
In Friedrich Merz hoffe der französische Präsident Emmanuel Macron nun einen Partner für die Verwirklichung seines Projektes der strategischen Autonomie zu finden, sagt Maurice im Gespräch mit der DW.
Unter diesem Stichwort versteht der französische Präsident, Europa grundsätzlich souveräner und unabhängiger von anderen Staaten zu machen, nicht nur in Sachen Verteidigung, sondern etwa auch was Rohstoffe, Technologie oder Energie angeht.
Vor allem in den Bereichen Energiepolitik und Verteidigungspolitik erwartet Maurice neue Impulse von Deutschland und Frankreich für die EU. Gerade der Bereich Energiepolitik sei mit der letzten Regierung, in denen auch die Grünen saßen, ein Streitpunkt zwischen beiden Ländern gewesen, sagt Maurice der DW. Mit der neuen Regierung, davon geht er aus, werde es einfacher werden.
Insbesondere denkt Maurice, dass Frankreich in Fragen der Atomenergie von Deutschland in Zukunft weniger ausgebremst werde, denn auch Deutschland brauche billigen Strom für seine Wirtschaft und Bürger.
Auch das Thema einer europäischen nuklearen Abschreckung werde wohl künftig zwischen Frankreich und Deutschland diskutiert, sagt Politikanalyst Rafael Loss. Während die Vorgängerregierungen mit Verweis auf den bestehenden amerikanischen Schutzschirm eine solche öffentliche Diskussion ausgeschlossen hätten, habe Friedrich Merz angekündigt, das Thema mit dem französischen Präsidenten besprechen zu wollen.
Spannungspotenzial in den deutsch-französischen EU-Beziehungen
Auch wenn sowohl Maurice als auch Loss bessere deutsch-französische Beziehungen unter dem neuen Kanzler Merz im Vergleich zu seinem Vorgänger Olaf Scholz erwarten, gibt es Bereiche, in denen Frankreich und Deutschland auseinanderliegen.
Im Gespräch mit der DW weist Maurice auf die französische Ablehnung des Mercosur-Freihandels-Abkommens hin, welches Deutschland wiederum befürwortet. Auch ist Frankreich für die sogenannten Eurobonds, also die Aufnahme gemeinsamer EU-Schulden zur Finanzierung von Verteidigungsausgaben. Deutschland lehnt traditionell eine gemeinsame Schuldenaufnahme ab. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, Deutschland werde weiterhin nicht für die Schulden anderer Mitgliedstaaten haften und Finanzierungen außerhalb des Haushaltes müssten die Ausnahme bleiben.
Brüssel wartet auf eine handlungsfähige Regierung
Auch in Brüssel wartet man auf die neue deutsche Regierung. Dabei gehe es vor allem erst einmal darum, dass Deutschland die Leerstelle fülle, die nach dem Kollaps der vorherigen Regierung entstanden war, so Rafael Loss zur DW.
Die Ampelkoalition - benannt nach den Farben der Regierungsparteien, also den Sozialdemokraten (rot), den liberalen Freien Demokraten (gelb) und den Grünen - brach am Tag nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten auseinander. In Brüssel hätte man damit zu kämpfen gehabt, dass Deutschland bei vielen wichtigen Entscheidungen nicht "sprechfähig" gewesen sei, so Loss. Entscheidungen seien auf europäischer Ebene nur angestoßen worden und hätten eigentlich längst bearbeitet werden sollen, vor allem im Bereich der europäischen Verteidigungsfähigkeit.
Mit der Merz-Regierung werde in Brüssel zudem auf ein Ende des sogenannten "German Vote" gesetzt. Darin sind sich beide Analysten einig. "German Vote" steht emblematisch für die Europapolitik der Ampelregierung und beschreibt eine, manchmal kurzfristig anberaumte, Enthaltung bei der Abstimmung über EU-Gesetzesakte, die auf Meinungsverschiedenheiten unter den Koalitionspartner zurückgeht.
Auch für die Festlegung des langfristigen EU-Haushaltes ab 2028 sei Deutschland von Bedeutung, sagt Rafael Loss. Dort gehe es nun in die heiße Verhandlungsphase. Bei der Migration, sei es fraglich inwiefern Friedrich Merz das Thema als eine "europapolitische Ambition" sehe oder bereit sei, im Notfall seine Vorstellungen auch gegen den europäischen Rechtsrahmen durchzusetzen, so der Politikanalyst. Weitere Themen die sowohl Berlin als auch Brüssel in der kommenden Zeit beschäftigen werden, seien außerdem die Beantwortung der amerikanischen Zollpolitik und der Handel mit China.