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GesellschaftSüdafrika

Südafrikas Anti-Israel-Politik besorgt Juden im Land

29. November 2023

Südafrika beheimatet die größte jüdische Gemeinde Afrikas - insbesondere in Johannesburg findet viel jüdisches Leben statt. Doch auch hier hinterlässt der Krieg in Nahost seine Spuren.

Die Türme und Kuppeln der Synagoge heben sich vor der Felswand des Tafelberg ab; im Vordergrund sind grüne Laubbäume zu sehen
Die Große Synagoge in Kapstadt vor der beeindruckenden Kulisse des TafelbergsBild: Reinhard Kaufhold/ZB/picture alliance

Auf der Long Avenue ist alles fußläufig zu erreichen: Ein koscherer Delikatessenladen direkt neben dem koscheren Supermarkt, gegenüber gibt es einen koscheren Burgerladen.

Die nächste Synagoge ist nur wenige hundert Meter entfernt. Schon nach einem Blick auf eine Onlinekarte ist offensichtlich: In Glenhazel, einem Randbezirk der südafrikanischen Wirtschaftsmetropole Johannesburg, lebt eine aktive jüdische Gemeinde.

Das bestätigt auch Karen Milner, die Vorsitzende des South African Jewish Board of Deputies (SAJBD): "Die koscheren Restaurants in Glenhazel sind voll, genauso wie die koscheren Läden. Auch die Synagogen sind gut besucht - und an jedem Wochenende hat man 20 Veranstaltungen zur Auswahl. Für eine kleine jüdische Gemeinschaft ist das bemerkenswert!"

Karen Milner leitet das South African Jewish Board of Deputies (SAJBD)Bild: Privat

Nach Schätzungen des SAJBD, der gewissermaßen der Dachverband des organisierten Judentums in Südafrika ist, leben zwischen 56.000 und 60.000 Jüdinnen und Juden in Südafrika.

In einem Land mit 62 Millionen Einwohnern ist das nur eine kleine Fraktion, aber dennoch handelt es sich um die größte jüdische Gemeinschaft auf dem afrikanischen Kontinent und die zwölftgrößte weltweit.

Der Großteil von ihnen lebt in Glenhazel und anderen Gebieten Johannesburgs. In Kapstadt gibt es ebenfalls eine jüdische Gemeinde. In Durban und andernorts hingegen geht die jüdische Bevölkerung zurück.

Flucht aus Europa

Am Südzipfel Afrikas begann die Geschichte der jüdischen Einwanderung schon vor Jahrhunderten. Denn unter den portugiesischen Entdeckern und den niederländischen Händlern waren auch Juden. So richtig Fahrt nahm die Entwicklung jedoch erst während der britischen Kolonialherrschaft auf.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts flüchteten immer mehr osteuropäische Juden, hauptsächlich aus dem damals vom zaristischen Russland besetzten Litauen, vor dortigen Pogromen nach Südafrika. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gelang auch noch einigen Juden die Flucht aus dem Deutschen Reich. Während des Zweiten Weltkriegs soll die jüdische Gemeinschaft in Südafrika mit 120.000 Personen ihren zahlenmäßigen Höhepunkt erreicht haben.

Eine Postkarte der Neuen Synagoge Johannesburgs, ca. 1905Bild: gemeinfrei

1948 errichteten weiße Nationalisten schließlich das Apartheidsregime in Südafrika. Juden wurden als "weiß" klassifiziert, was mit dem höchsten Level an Bürgerrechten einherging.

Unter den weißen Gegnern dieses Unrechtssystems fanden sich überproportional viele Juden, sagt SAJBD-Chefin Milner im DW-Interview: "Viele der Anti-Apartheid-Aktivisten standen unter dem Eindruck ihrer eigenen Erfahrung oder der ihrer Eltern während der Pogrome in Osteuropa oder dem Holocaust."

Zu den bekanntesten jüdischen Gegnern der Apartheid zählen die Schriftstellerin Nadine Gordimer, der spätere Verfassungsrichter Albie Sachs und der Bürgerrechtler Denis Goldberg, dessen Großeltern aus Litauen stammten. 

Der 2020 verstorbene Goldberg war Mitglied der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) und Mitbegründer des South African Congress of Democrats, einer Organisation aus überwiegend weißen linksdemokratisch orientierten Mitgliedern. 1963 wurde er verhaftet und zu viermal lebenslänglich verurteilt.

Goldberg gehörte als technischer Offizier dem bewaffneten Flügel des African National Congress (ANC) an. Seine antizionistische Grundhaltung veranlasste ihn auf Distanz zur israelischen Siedlungspolitik zu gehen.

Er empfand diese als vergleichbar mit der Apartheidpolitik in Südafrika. Israels Regierungen wiesen derartige Vorwürfe stets zurück und verwiesen auf eigene Bekenntnisse zum Völkerrecht.

Der ANC und der Nahostkonflikt

1994 brach das Apartheidsregime unter dem in- und ausländischem Druck zusammen. In freien Wahlen gelangten Nelson Mandela und der ANC an die Macht.

In der modernen Republik Südafrika waren jüdische Stimmen weniger laut - Milner erklärt das mit der "unglaublich starken Verfassung", die die Bürgerrechte sehr gut schütze.

Der ANC indes zog seitdem immer stärkere Parallelen zwischen dem einstigen Apartheidsregime und dem Umgang Israels mit der palästinensischen Bevölkerung im besetzten Westjordanland und dem Gazastreifen.

In seinen letzten Lebensjahren trat Denis Goldberg auch als Redner der BDS-Initiative auf, die Israel Apartheid vorwirftBild: Hassan Isilow/AA/picture alliance

Der ANC unterhielt stets auch Verbindungen mit Palästinenserorganisationen wie der PLO unter Yassir Arafat. Anders als Israel, Deutschland, die USA und die EU stuft Südafrika die Hamas nicht als Terrororganisation ein.

Gerüchten zufolge soll die Hamas sogar ein Büro in Kapstadt unterhalten. Naledi Pandor, Außenministerin im ANC-Kabinett von Präsident Cyril Ramaphosa, zog laute internationale Kritik auf sich, als sie ein Telefonat mit Hamas-Funktionären kurz nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober einräumen musste.

Das südafrikanische Parlament stimmte am 21. November dafür, die israelische Botschaft zu schließenBild: Nardus Engelbrecht/AP/picture alliance

Auf eine Verurteilung des Hamas-Angriffs mit 1300 Todesopfern in Israel ließ die Regierung in Pretoria lange warten - obwohl auch südafrikanische Staatsangehörige unter den Ermordeten sowie unter den Entführten waren.

Inzwischen hat die Hamas zwei als Geiseln gehaltene Südafrikanerinnen freigelassen. Die diplomatischen Beziehungen zu Israel will Südafrika nach einem Parlamentsbeschluss hingegen suspendieren.

"Schockstarre" in Johannesburg

Die jüngste Eskalation im Nahen Osten hat auch in der jüdischen Gemeinschaft in Südafrika ihre Spuren hinterlassen. Dies bekommt Kathy Kaler, Leiterin des Radiosenders ChaiFM - laut eigener Aussage das einzige jüdische Radio Afrikas und das einzige jüdische Talk-Radio außerhalb Israels - zu spüren.

Kathy Kaler hat den jüdischen Sender ChaiFM vor 15 Jahren gegründetBild: Privat

"Nach dem Schwarzen Sabbat, dem 7. Oktober, haben wir unser Programm komplett verändert, in unserer internationalen Berichterstattung wollten unsere Hörer kein anderes Thema, außer, was in Israel und mit der Hamas passiert", sagt sie im Gespräch mit der DW. Binnen weniger Tage habe man 26 Freiwillige zusammengezogen, um Nachrichtenmeldungen verifizieren zu können.

Kaler vermutet, dass jede Jüdin, jeder Jude weltweit jemanden kennt, der in irgendeiner Form direkt von der Eskalation betroffen ist. Auch in Johannesburg habe sich eine Schockstarre breit gemacht.

"In den ersten zwei Wochen nach dem 7. Oktober ist niemand nach draußen gegangen. Koschere Restaurants und Cafés blieben leer, wir taumelten und fanden erst langsam zurück in ein einigermaßen normales Leben."

Neuer Antisemitismus auch in der Regenbogen-Nation

Die neue Vorsicht vieler südafrikanischer Juden ist wohl auch gerechtfertigt: Zuvor hätten sich antisemitische Vorfälle auf dem Niveau von wenigen Graffitis oder Online-Kommentaren pro Monat bewegt, sagt Karen Milner vom SAJBD.

Die Dachorganisation ist auch für das Antisemitismus-Monitoring in Südafrika zuständig. Ihren aktuellen Zahlen zufolge wurden seit Jahresbeginn 180 antisemitische Vorfälle registriert - jedoch 110 davon nach dem 7. Oktober. Und eine neue Qualität: Fünf davon waren direkte Angriffe.

Zerrissene Geisel-Poster und Israel-Fähnchen nach einer Demo in Kapstadt: auch in der südafrikanischen Gesellschaft ist der Nahostkonflikt angekommenBild: Gianluigi Guercia/AFP

Milner befürchtet, dass die einseitige Positionierung der Regierung weitere Täter ermutigen könnte. In diesem Zusammenhang wurden die Sicherheitsvorkehrungen rund um jüdische Einrichtungen erhöht.

Milner ist allerdings auch davon überzeugt, dass der Antisemitismus in Südafrika auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in Europa präsent sei. "Rabbiner und Religiöse tragen weiter ihre Jarmulkes und Kippas. Die Leute sind etwas nervöser und vorsichtiger, aber wir haben bislang nicht dazu aufgerufen, jüdische Erkennungszeichen zu verstecken. Wir glauben nicht, dass die Bedrohung so groß ist, dass man sich in der Öffentlichkeit nicht als Jude zu erkennen geben sollte."