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Politik

Was befeuert den Krieg um Berg-Karabach?

Mikhail Bushuev
28. September 2020

Und wieder eskaliert der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach. Alle Zeichen stehen auf Krieg, und einen einfachen Ausweg gibt es auch diesmal nicht.

Aserbaidschan Konflikt um Berg-Karabach
Aserbaidschanische Soldaten bringen einen Granatwerfer in StellungBild: Azerbaijan's Defense Ministry/dpa/picture-alliance

Es ist die nächste Eskalationsstufe im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan: Seit Sonntag liefern sich die verfeindeten Nachbarn schwere Gefechte, und zum ersten Mal seit dem Waffenstillstand vom Jahr 1994 wird entlang der Konfliktlinie gekämpft. Es gibt Tote und Verletzte. 

Zuerst verhängte Armenien das Kriegsrecht, später folgte auch Aserbaidschan, wobei dort der Kriegszustand nur für einige Landesteile gilt. Für die schwerste Eskalation seit Jahren machen sich beide Seiten gegenseitig verantwortlich. Und es könnte noch schlimmer kommen im Südkaukasus. Was aber heizt die Gewalt an?

"Stimmung in Aserbaidschan: die Diplomatie ist gescheitert" 

Das Wiederaufflammen des Konflikts um Berg-Karabach, der zwischen Baku und Eriwan seit über 30 Jahren schwelt, hat sich bereits im Sommer angedeutet. Am 12. Juli begannen etwa zehn Tage andauernde Gefechte zwischen armenischen und aserbaidschanischen Soldaten, allerdings nicht in Berg-Karabach, sondern an der international anerkannten Grenze zwischen beiden Staaten. Etwa zwei Dutzend Menschen fielen der Auseinandersetzung zum Opfer, auch Zivilisten.

Der Start einer aserbaidschanischen Rakete an der Kontaktlinie der selbsternannten Republik Berg-KarabachBild: Azerbaijan's Defense Ministry/dpa/picture-alliance

Die Eskalation im Südkaukasus hängt auch mit einer gewissen Frustration in Baku zusammen. Selbst nach 30 Jahren und ungeachtet zahlreicher Friedensverhandlungen hat man das Territorium, das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, nicht zurückbekommen. "Unsere Priorität war immer, diese Frage innerhalb der anerkannten Grenzen zu lösen. Seit 28 Jahren versuchen wir es friedlich zu lösen, aber es klappt nicht", sagt Farhad Mamedow, aserbaidschanischer Politologe und Chef der Beratungsfirma Strategic Consultancy Group. Deshalb führe man jetzt den "Gegenangriff" durch.

Auch in Aserbaidschan erklärt Laurence Broers, Direktor des Kaukasusprogramms der britischen Denkfabrik Chatham House, die Diplomatie für gescheitert. "Eine legitime Frage ist: was hat Baku aus den Jahren der Friedensverhandlungen vorzuzeigen? Auf der anderen Seite konnte Armenien seine Kontrolle über Berg-Karabach konsolidieren, während sich der Friedensprozess unendlich hinzieht."

Eriwan wird versuchen, den Krieg für Baku "zu teuer" zu machen

Armenien habe jetzt zwei Optionen, sagt der armenische Politikbeobachter und Präsident des Pressclubs in Eriwan, Boris Navasardjan: "Maximale Mobilisierung, um den aserbaidschanischen Angriff zu erwidern und dem Gegner möglichst viele Verluste beizubringen. Oder in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft versuchen, die aserbaidschanische Führung zu besänftigen."

Eriwan wolle Baku aufzeigen, welch überaus hoher Preis für die Eskalation im Sinne von militärischen Verlusten und Menschenleben gezahlt werden müsse, sagt Broers von Chatham House. Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan sei "gegenüber einer Eskalation weniger zurückhaltend" als sein Vorgänger Sersch Sargsjan.

Stabile Waffenruhe? Kaum vorstellbar

In Aserbaidschan hofft man auf militärische Erfolge und kann sich eine weitere Waffenruhe nur unter "absolut neuen Bedingungen" vorstellen, "mit einem festen Zeitplan des Waffenabzugs aus besetzten aserbaidschanischen Gebieten, alles streng nach vier früheren Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates", erklärt Farhad Mamedow die Position Bakus.

In Eriwan steht man einem neuen Abkommen ebenfalls skeptisch gegenüber. Eine Waffenruhe wäre "schwer vorstellbar, denn es setzt ein hohes Maß an Vertrauen zwischen Vertragspartnern und Vermittlern voraus", sagt der Armenier Boris Navasardjan. Und im Moment "gibt es null Vertrauen zwischen Eriwan und Baku".

"Armenien beharrt darauf, dass sich die Sicherheitslage zunächst verbessern soll, bevor die Gespräche beginnen, während Aserbaidschan keinen anderen Hebel hat, außer die Lage zu destabilisieren", kommentiert Laurence Broers. Es wäre auch vermessen, die Verantwortung für die Eskalation allein einer Seite zuzuschieben, denn beide Länder hätten massiv in defensive und offensive Aufrüstung investiert.

Internationale Lage begünstigt kriegerische Auseinandersetzung

Ein gewichtiger Grund für die Eskalation liegt auch in der internationalen Lage, die sich seit dem Waffenstillstand 1994 dramatisch verändert hat. "Der Minsker Prozess (Friedensverhandlungen unter Obhut der Minsker OSZE-Gruppe – Anm. der Red.) war in hohem Maße ein Produkt der unipolaren Welt in den ersten Jahren nach dem Ende des kalten Krieges", meint Broers. Die Idee damals sei gewesen, der Konflikt werde "irgendwie im Rahmen eines liberalen Friedens" gelöst, doch heute seien die USA "abgemeldet", und an ihre Stelle rückten andere geopolitische Spieler wie Russland und die Türkei.

Gemeinsame internationale Bemühungen, die Eriwan und Baku genug Sicherheit versprechen könnten, um in einen friedensrelevanten Dialog einzusteigen, seien "abwesend". Da suche man lieber einen "geopolitischen Patron", als einen diplomatischen Weg ohne "solide internationale Basis", so Broers.

Eskalationspotenzial ist da

Der Kaukasusexperte hält die Situation auch deshalb für so gefährlich, weil es international derzeit keine Kräfte gebe, die genug Druck für einen Waffenruhe aufbauen könnten. Es bleibe auch zu prüfen, wie weit die Türkei bei ihrer Unterstützung Aserbaidschans gehen werde: "Empathie und Solidarität mit Aserbaidschan waren schon immer da, aber nun wachsen sie zu aktiveren Formen der Unterstützung, einschließlich militärischer Hilfe."

Das Potenzial für weitere Eskalation und die Einmischung anderer Staaten in den Konflikt sei vorhanden, warnt Broers. Es sei denn, beide Seiten könnten ihre Auseinandersetzung nach wenigen Tagen mit einem "Erfolgsnarrativ" beenden.

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