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PolitikEuropa

Was bewirkt die Blockade des Bosporus?

Monir Ghaedi
1. März 2022

Die Türkei aktiviert das Abkommen von Montreux und schränkt damit für russische Kriegsschiffe die Durchfahrt vom Mittelmeer zum Schwarzen Meer ein. Welche Auswirkungen hat das auf den Krieg in der Ukraine?

Russisches U-Boot passiert in Istanbul auf dem Bosporus die Hagia Sophia
Die russische Marine kann künftig nicht mehr nach Belieben ins Schwarze Meer ein- und ausfahrenBild: Yoruk Isik/REUTERS

Angesichts des Krieges in der Ukraine reagiert auch die Türkei: Die türkische Regierung setzt ein internationales Übereinkommen in Kraft und schränkt damit die Durchfahrt von russischen Kriegsschiffen durch zwei strategisch wichtige Meerengen zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer ein. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu hatte sich am Sonntag zur Situation in der Ukraine geäußert und damit die Sanktion vorbereitet, die nun umgesetzt wird.

"Am Anfang war es ein russischer Angriff", sagte Cavusoglu in einem Interview mit dem türkischen Fernsehsender CNN. "Jetzt aber hat es sich in einen Krieg verwandelt." Die Einordnung der russischen Aggression in der Ukraine als Krieg ist wichtig, denn sie ermächtigt Ankara, das Übereinkommen von Montreux zu aktivieren und russischen Kriegsschiffen die Einfahrt ins Schwarze Meer durch die Meerengen Bosporus und Dardanellen zu verbieten.

Der Vertrag besagt, dass die Türkei als alleiniger Anrainer in Kriegszeiten unter bestimmten Umständen selbstständig über die Schließung der Passage entscheiden darf. "Wir haben alle Länder, ob Anrainer oder nicht, davor gewarnt, die Meerengen mit Kriegsschiffen zu passieren", sagte Cavusoglu laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Montag. 

Einzige Durchfahrt zum Schwarzen Meer

Die Meerengen von Bosporus und Dardanellen, die auch als türkische Meerengen oder Meerengen des Schwarzen Meeres bezeichnet werden, verbinden die Ägäis und das Schwarze Meer über das Marmarameer. Die insgesamt rund 260 Kilometer lange Passage, in der Bosporus und Dardanellen jeweils am Anfang und Ende ein Nadelöhr bilden, ist die einzige, über die die Häfen des Schwarzen Meeres Zugang zum Mittelmeer und darüber hinaus haben.

Mehr als drei Millionen Barrel Öl - etwa drei Prozent des täglichen weltweiten Angebots, das hauptsächlich in Russland, Aserbaidschan und Kasachstan gefördert wird - werden täglich über diese Wasserstraße transportiert. Über die Route werden auch große Mengen an Eisen, Stahl und landwirtschaftlichen Erzeugnissen von der Schwarzmeerküste nach Europa und in die übrige Welt verschifft.

Die Kontrolle über die Meerengen hat gemäß dem Vertrag von Montreux von 1936 die Türkei. Der Vertrag wurde damals im Zuge der Rücknahme von Restriktionen gegen das osmanische Reich nach dem Ersten Weltkrieg geschlossen. Unterzeichner waren Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Japan, Rumänien, die Türkei, die Sowjetunion und Jugoslawien. Zwei Jahre später trat mit Italien ein weiterer Mittelmeer-Anrainer dem Vertrag bei. Im Falle eines Krieges gibt der Pakt Ankara das Recht, die Durchfahrt von Kriegsschiffen zu regeln und die Meerengen für Kriegsschiffe der am Konflikt beteiligten Länder zu sperren.

Schlupflöcher in Richtung Heimathafen

Allerdings gilt das nicht ohne Einschränkung. Russland hat über die 2014 annektierte Krim und die Ostküste des Schwarzen Meeres zwischen den Grenzen zur Ukraine im Norden und zu Georgien im Süden direkten Zugang zum Schwarzen Meer - und das verkompliziert die Situation. Artikel 19 des Vertrags von Montreux enthält nämlich eine Ausnahmeregelung für alle Anrainerstaaten, die die Macht der Türkei bei der Blockade russischer Kriegsschiffe wirksam untergraben kann: "Kriegsschiffe kriegführender Mächte, die von ihren Stützpunkten getrennt worden sind, dürfen dorthin zurückkehren, gleichgültig, ob es sich um Schwarzmeer-Mächte handelt oder nicht", heißt es dort.

Das bedeutet, dass die Türkei russische Kriegsschiffe nicht daran hindern kann, durch die Passage zu ihren ursprünglichen Stützpunkten zurückzukehren. So dürfen beispielsweise Schiffe, die im Schwarzen Meer registriert sind, sich aber derzeit im Mittelmeer befinden, die Meerengen passieren und zu ihrem Heimathafen zurückkehren. Diese Bedingung gilt auch für Schiffe oder Flottenverbände, die zu einem Stützpunkt im Mittelmeer oder in der Nord- oder Ostsee gehören und das Schwarze Meer verlassen wollen.

Eingeschränkte Bewegungsfreiheit: Russlands Marine kann nicht mehr nach Belieben verlegt werdenBild: Russian Navy/dpa/picture alliance

Im Mittelmeer befindet sich der einzige russische Marinestützpunkt in der syrischen Hafenstadt Tartus. In der Ostsee ist die Flotte in Baltijsk bei Kaliningrad stationiert. Die russische Nordseeflotte hat mehrere Basen, von denen Murmansk die bekannteste und größte ist. Die offizielle Zuweisung eines Schiffes zu einem Hafen bestimmt, ob es das Recht hat, die Meerengen auch in Kriegszeiten zu durchfahren oder nicht. Eine solche Zuweisung ist bei der der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) registriert. 

Keine direkten Auswirkungen, aber langfristige Folgen

Wegen dieser Ausnahmerechte, die Russland aufgrund seiner Lage am Schwarzen Meer genießt, waren bereits im Vorfeld der türkischen Entscheidung Zweifel aufgekommen, ob die Inkraftsetzung des Paktes tatsächlich signifikante militärische Auswirkungen auf den laufenden Konflikt in der Ukraine haben würde. Dem Vertrag zufolge müssen Schiffe, die Russland ins Schwarze Meer bringt oder aus dem Meer holt, bis zum Ende des Krieges auch dort bleiben. Darüber hinaus "dürfen Kriegsschiffe, einschließlich Hilfsschiffe, die sich derzeit nicht im Schwarzen Meer befinden und dort nicht traditionell stationiert sind, auf keinen Fall ins Schwarze Meer einlaufen", schrieb Cornell Overfield, Analyst am Center for Naval Analyses, auf Twitter. "Dies mag kurzfristig irrelevant sein, könnte aber von großer Bedeutung sein, wenn sich der Konflikt in die Länge zieht."

Sinan Ülgen: "Russland muss sich entscheiden"Bild: Kaan Saganak, Cumhuriyet daily

Sinan Ülgen, ehemaliger türkischer Diplomat und Forscher bei der Carnegie-Stiftung in Brüssel, glaubt, dass es für Russland schwieriger wird, seine militärische Präsenz im Schwarzen Meer und im östlichen Mittelmeer auszugleichen. "Früher war Russland in der Lage, seine Schwarzmeerflotte, einschließlich der U-Boote, flexibel einzusetzen", schrieb Ulgen auf Twitter. "Das ist vorbei. Es muss sich entscheiden, welche Kräfte im Schwarzen Meer und welche im Mittelmeer verbleiben sollen."

"Was die Türkei tut, ähnelt eher dem, was Länder tun, die ihren Luftraum für russische Flüge sperren", schrieb Overfield. Die Schließung der Meerenge werde vielleicht nie eine militärische Auswirkung im Russisch-Ukrainischen Krieg haben, fügt er hinzu. "Aber es ist die einzige Möglichkeit der Türkei, Russland für sein Verbrechen der Aggression zu bestrafen und sein Engagement für das Völkerrecht zu zeigen."

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.