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Was bleibt von Christos Floating Piers?

Gaby Reucher8. August 2016

Christos letzte große Kunstaktion "Floating Piers" am italienischen Iseosee hinterlässt auch in Deutschland ihre Spuren. Doch die verlaufen sich allmählich im wahrsten Sinne des Wortes "im Sande".

Christo The Floating Piers auf dem Lago d'Iseo Copyright: picture-alliance/dpa/M. Kappeler
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Die Floating Piers, Christos jüngstes Kunstwerk am norditalienischen Iseosee, war ein riesiger Erfolg. Über eine Millionen Besucher wandelten auf schwimmenden Stegen übers Wasser. Drei Kilometer lange und 16 Meter breite Kunststoffpontons hatte Christo mit dahlienfarbenem Stoff überziehen lassen. Ein wahrer Touristenboom für das kleine Städtchen Sulzano.

Einen Monat ist das jetzt her. Die Stege sind längst abgebaut, die Stoffe wieder eingerollt. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass zukünftig mehr Touristen den italienischen See besuchen werden.

Die Stoffbahnen werden aus Italien in Gronau angeliefertBild: Altex

In Deutschland hingegen ist die Arbeit mit Christos Projekt noch nicht abgeschlossen. Erst jetzt verschwinden die letzten Reste der "Floating Piers". Genauer gesagt: die letzten Stoffreste. "Christo will seine Projekte immer bis zur Unkenntlichkeit vernichten", sagt Karsten Stienemann, Geschäftsführer der Recycling-Firma Altex im westfälischen Gronau. Deshalb laufen bei ihm in dieser Woche die Maschinen heiß. Die gelb-orangefarbenen Stoffe werden zerschnitten und zerfasert und dann mit anderen synthetischen Fasern gemischt. Mit anderen Worten: Sie werden recycelt.

Christos Kunst soll vergänglich bleiben

Für den amerikanischen Verhüllungskünstler Chisto ist die Vergänglichkeit seiner Kunst ein Ausdruck von Freiheit, wie er immer wieder betont: "Dass die Kunstwerke verschwinden ist ein Teil des ästhetischen Konzeptes. Dadurch sind sie tief verwurzelt mit der Freiheit." Die Freiheit ist für Christo, der aus dem damals kommunistischen Bulgarien floh, ein großes Anliegen. Dauerhaftigkeit sei gleichbedeutend mit Besitz, und Besitz sieht der Künstler als einen Feind der Freiheit.

Ein Stück Stoff der Floating Piers: geschnitten, gerissen und verfilztBild: Altex

Dass die Stoffe, die Christo seit Jahren für die Verhüllung seiner Objekte verwendet, nicht einfach auf dem Müll landen, ist ihm ebenso wichtig, denn seinen Kunstwerken dienen die Materialien nur gerade einmal zwei Wochen. So war es auch in Italien.

Es sei gar nicht so einfach gewesen, erzählt Karsten Stienemann, die losen Stoffe wieder einzupacken, nach Deutschland zu bringen und dort erst einmal wieder zu Ballen zu pressen. Die Recycling-Firma Altex hat die Stoffe zwar nicht selbst hergestellt, wohl aber ein Gewebe, das als Untervlies zwischen den Pantons und dem Stoff lag. Um vor dem Abbau alles zu prüfen, war Stienemann selbst vor Ort und gespannt, was ihn dort erwartete. "Es war total beeindruckend, als ich dann barfuß auf den schwankenden Pontons stand", erzählt er. "Wir waren fast alleine da, weil es am vorletzten Tag auch wieder Sturmwarnungen gab."

Zunächst mussten die Bahnen wieder zu Ballen gepresst werden. Fast schon ein eigenes Verpackungskunstwerk, ganz in Christos SinneBild: Altex

Die Floating Piers landen auf dem Reitplatz

Trotz des emotionalen Erlebnisses: Das Schreddern der Stoffe bleibt für Stienemann reine Routine. Aus Kunst wird einfach wieder Materie: "Das sind 100.000 Quadratmeter Stoff und insgesamt 45 Tonnen Gewebe." Für Altex keine große Aktion, denn das Unternehmen verarbeitet und recycelt im Monat rund 3000 Tonnen Textilien.

Aus den Fasern der Dahlienstoffe wird ein sogenannter Nadelfilz hergestellt. Der wird zur Dämmung verwendet oder dient als Schutz unter Plastikfolien, wie etwa beim Teichbau. Aus dem firmeneigenen Untervlies, das in Italien verwendet wurde, werden kleine Textilschnipsel hergestellt, die auf Reitplätzen mit der obersten Sandschicht vermischt werden. "Die Textilschnipsel stabilisieren die Tretschicht, damit der Huf stabilisiert wird und der Pferdefuß im Sand nicht wegbricht", erklärt Karsten Stienemann.

Die letzten Schnipsel des Kunstwerks werden im Sand der Reitplätze landenBild: Altex

Ein Stück Stoff bleibt – nicht nur in der Erinnerung

Ganz in Christos Sinne ist der Stoff dann also vollkommen unkenntlich gemacht. "Christo will nicht, dass neue Einzelartikel entstehen oder Nachahmer die Stoffe verwenden", weiß Stienemann, der schon öfter mit dem Künstler zusammengearbeitet hat. So etwa bei der Verhüllung des Berliner Reichtstags 1995 oder auch 1998 bei der Umhüllung der Bäume in der Schweiz, den "Wrapped Trees".

Doch ganz ohne Andenken an die Kunstaktion bleiben die Besucher und Liebhaber von Christos Kunstaktionen nicht. Wie schon während der Reichstagsverhüllung und seiner anderen Projekte, wurden auch am Iseosee umsonst fünf mal fünf Zentimeter große Stoffreste verteilt. Und die sind über Online-Versteigerungsportale noch immer zu haben. Gegen Geld natürlich. Auch Stofffetzen vom Berliner Reichstag oder von den "Wrapped Trees" findet man da. Ganz vergänglich werden Christos Werke wohl nie sein.


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