Christos letzte große Kunstaktion "Floating Piers" am italienischen Iseosee hinterlässt auch in Deutschland ihre Spuren. Doch die verlaufen sich allmählich im wahrsten Sinne des Wortes "im Sande".
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Die Floating Piers, Christos jüngstes Kunstwerk am norditalienischen Iseosee, war ein riesiger Erfolg. Über eine Millionen Besucher wandelten auf schwimmenden Stegen übers Wasser. Drei Kilometer lange und 16 Meter breite Kunststoffpontons hatte Christo mit dahlienfarbenem Stoff überziehen lassen. Ein wahrer Touristenboom für das kleine Städtchen Sulzano.
Einen Monat ist das jetzt her. Die Stege sind längst abgebaut, die Stoffe wieder eingerollt. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass zukünftig mehr Touristen den italienischen See besuchen werden.
In Deutschland hingegen ist die Arbeit mit Christos Projekt noch nicht abgeschlossen. Erst jetzt verschwinden die letzten Reste der "Floating Piers". Genauer gesagt: die letzten Stoffreste. "Christo will seine Projekte immer bis zur Unkenntlichkeit vernichten", sagt Karsten Stienemann, Geschäftsführer der Recycling-Firma Altex im westfälischen Gronau. Deshalb laufen bei ihm in dieser Woche die Maschinen heiß. Die gelb-orangefarbenen Stoffe werden zerschnitten und zerfasert und dann mit anderen synthetischen Fasern gemischt. Mit anderen Worten: Sie werden recycelt.
Christos Kunst soll vergänglich bleiben
Für den amerikanischen Verhüllungskünstler Chisto ist die Vergänglichkeit seiner Kunst ein Ausdruck von Freiheit, wie er immer wieder betont: "Dass die Kunstwerke verschwinden ist ein Teil des ästhetischen Konzeptes. Dadurch sind sie tief verwurzelt mit der Freiheit." Die Freiheit ist für Christo, der aus dem damals kommunistischen Bulgarien floh, ein großes Anliegen. Dauerhaftigkeit sei gleichbedeutend mit Besitz, und Besitz sieht der Künstler als einen Feind der Freiheit.
Dass die Stoffe, die Christo seit Jahren für die Verhüllung seiner Objekte verwendet, nicht einfach auf dem Müll landen, ist ihm ebenso wichtig, denn seinen Kunstwerken dienen die Materialien nur gerade einmal zwei Wochen. So war es auch in Italien.
Es sei gar nicht so einfach gewesen, erzählt Karsten Stienemann, die losen Stoffe wieder einzupacken, nach Deutschland zu bringen und dort erst einmal wieder zu Ballen zu pressen. Die Recycling-Firma Altex hat die Stoffe zwar nicht selbst hergestellt, wohl aber ein Gewebe, das als Untervlies zwischen den Pantons und dem Stoff lag. Um vor dem Abbau alles zu prüfen, war Stienemann selbst vor Ort und gespannt, was ihn dort erwartete. "Es war total beeindruckend, als ich dann barfuß auf den schwankenden Pontons stand", erzählt er. "Wir waren fast alleine da, weil es am vorletzten Tag auch wieder Sturmwarnungen gab."
Die Floating Piers landen auf dem Reitplatz
Trotz des emotionalen Erlebnisses: Das Schreddern der Stoffe bleibt für Stienemann reine Routine. Aus Kunst wird einfach wieder Materie: "Das sind 100.000 Quadratmeter Stoff und insgesamt 45 Tonnen Gewebe." Für Altex keine große Aktion, denn das Unternehmen verarbeitet und recycelt im Monat rund 3000 Tonnen Textilien.
Aus den Fasern der Dahlienstoffe wird ein sogenannter Nadelfilz hergestellt. Der wird zur Dämmung verwendet oder dient als Schutz unter Plastikfolien, wie etwa beim Teichbau. Aus dem firmeneigenen Untervlies, das in Italien verwendet wurde, werden kleine Textilschnipsel hergestellt, die auf Reitplätzen mit der obersten Sandschicht vermischt werden. "Die Textilschnipsel stabilisieren die Tretschicht, damit der Huf stabilisiert wird und der Pferdefuß im Sand nicht wegbricht", erklärt Karsten Stienemann.
Ein Stück Stoff bleibt – nicht nur in der Erinnerung
Ganz in Christos Sinne ist der Stoff dann also vollkommen unkenntlich gemacht. "Christo will nicht, dass neue Einzelartikel entstehen oder Nachahmer die Stoffe verwenden", weiß Stienemann, der schon öfter mit dem Künstler zusammengearbeitet hat. So etwa bei der Verhüllung des Berliner Reichtstags 1995 oder auch 1998 bei der Umhüllung der Bäume in der Schweiz, den "Wrapped Trees".
Doch ganz ohne Andenken an die Kunstaktion bleiben die Besucher und Liebhaber von Christos Kunstaktionen nicht. Wie schon während der Reichstagsverhüllung und seiner anderen Projekte, wurden auch am Iseosee umsonst fünf mal fünf Zentimeter große Stoffreste verteilt. Und die sind über Online-Versteigerungsportale noch immer zu haben. Gegen Geld natürlich. Auch Stofffetzen vom Berliner Reichstag oder von den "Wrapped Trees" findet man da. Ganz vergänglich werden Christos Werke wohl nie sein.
Wasser unter den Füßen spüren: "Floating Piers" von Christo
Seit den 70er Jahren träumt der amerikanische Künstler Christo davon, über das Wasser zu gehen. "The Floating Piers" machen es jetzt möglich. Ein Kunstprojekt, das viele Mitarbeiter ein Jahr lang in Atem gehalten hat.
Bild: Getty Images/F.Monteforte
Besucher-Magnet
Gleich nach der Eröffnung kamen tausende Besucher mit Fähre, Bahn und Bussen nach Sulzano, um das einzigartige Kunstwerk zu bewundern - und auf ihm zu wandern. Die Spaziergänger können die Kunst "mit allen Sinnen" genießen, sagt Christo. "Man spürt die Wellen im Gehen, ein ganz tolles Gefühl", schwärmt eine Besucherin, die extra an den Iseo-See gereist ist.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler
Sulzano: Museum auf Zeit
Der Bürgermeister von Sulzano, Fiorello Turla, kann sich freuen. Vom 18. Juni bis zum 3. Juli 2016 rechnet der kleine Ort in Norditalien mit rund 800.000 Besuchern. Sie alle reisen an, um das neuste Großprojekt "The Floating Piers" des amerikanischen Künstlers Christo zu sehen und zu begehen. Drei Kilometer lange Stege auf dem Iseo-See verbinden den Ort Sulzano mit zwei umliegenden Inseln.
Bild: Getty images/F.Monteforte
Die Skizze...
Ein Besuch der schwimmenden Installation ist umsonst. Christo will, dass alle Menschen an seiner Kunst teilhaben können. Von der Kommerzialisierung der Kunst hält er nichts. Deshalb sind seine Werke nur für begrenzte Zeit zu sehen. Das rund 13 Millionen teure Projekt finanziert er über den Verkauf seiner Skizzen und Fotos. Auf diese Weise bleibt Christo unabhängig von Sponsoren.
Der Bürgermeister bezeichnet das Kunstprojekt "The Floating Piers" als "Wunder von Christo". Die 16 Meter breiten Stege sind aus schwimmenden Pontons gefertigt, so dass Besucher vom Festland zu den Inseln Monte Isola und San Paolo spazieren können. Ein Ersatz auf Zeit für die Fähre, die die 2000 Menschen von Monte Isola bislang zum Festland gebracht hat.
Bild: Getty Images/F.Monteforte
Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude
Christo hatte das Projekt "The Floating Piers" noch mit seiner Frau Jeanne-Claude entwickelt, die 2009 gestorben ist. Die Idee einer Installation, die es möglich macht, über Wasser zu gehen, hatte Christo bereits in den 70er Jahren. An den Wunschorten in Argentinien und Japan gab es keine Erlaubnis für das Projekt. Der Iseo-See in Norditalien bot letztendlich ideale Bedingungen für das Kunstwerk.
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Die Produktion der Textilplanen
Stoffe Made in Germany: Die Textilfirma Setex aus dem westfälischen Hamminkeln hat die goldgelb schimmernden Nylonstoffe hergestellt, mit denen die Piers überspannt sind. Die 90 Quadratkilometer Stoff überziehen aber nicht nur die drei Kilometer langen Stege auf dem Wasser, sondern auch Straßen in Sulzano und den umliegenden Dörfern.
Bild: Wolfgang Volz
Die Bearbeitung der Stoffe
Ein Jahr lang hatte die Firma "geo-Die Luftwerker" aus Lübeck Zeit, die jeweils fünf Meter breiten und 200 Kilo schweren Stoffbahnen zu bearbeiten. Allein die Lagerung und der Transport der Stoffballen erforderte eine ausgeklügelte Logistik. Zum Transport kamen die Stoffe in Spezialtaschen, die einen Kubikmeter groß sind. 200 Stück davon wurden per Zug und LKW nach Sulzano transportiert.
Bild: Wolfgang Volz
Spezialgeräte nähen vor Ort
Weil die Stoffe so schwer sind, mussten jeweils zwei Näherinnen an einer Maschine arbeiten, um die Bahnen zu vernähen. Mit einem Ultraschalllaser wurden die Stücke dann passgenau zugeschnitten. Auf den Pontons vor Ort kamen noch einmal spezielle Maschinen zum Einsatz, die die einzelnen Stücke wieder zu einer großen Fläche vernähten.
Bild: Getty Images/AFP/F. Monteforte
Die Schwimmkörper für die Piers
Christos gigantische Installation ist nicht nur ein beeindruckendes Kunstwerk, sondern für alle Beteiligten auch eine besondere logistische Herausforderung. 220.000 Kuben ließ Christo aus Polyethylen herstellen. Die Schwimmkörper wurden zu einer etwa 75.000 Quadratmeter großen und drei Kilometer langen Seebrücke zusammengefügt und erst ganz zum Schluss mit dem dahliengelben Stoff überzogen.
Bild: picture-alliance/dpa/Wolfgang Volz
Christo testet sein Werk
Christo beim Test der Seebrücke im Oktober 2015. Der Künstler ist zufrieden. Er freut sich, dass man die Wellenbewegung durch die Pontons unter den Füßen spüren kann.
Bild: picture-alliance/dpa/Wolfgang Volz
Neues Kunstwerk auf Zeit
Die dahliengelben Planen liegen perfekt, jetzt werden Spaziergänger die Haltbarkeit testen. Vom 18.6. - 3.7. 2016 können kunstsinnige Besucher auf dem goldgelben Stoff die Wasserbewegung unter den Füßen spüren. Bis zu 20.000 Menschen dürfen sich gleichzeitig auf den Stegen befinden, das halten die "Floating Piers" aus. Voraussetzung für eine erfolgreiche Begehung ist allerdings: gutes Wetter.