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Was bleibt von der "Netzpolitik.org"-Affäre?

Marcel Fürstenau, Berlin5. Oktober 2015

"Landesverrat" lautete der Vorwurf gegen die digitale Plattform "Netzpolitik.org". Die Ermittlungen wurden zwar eingestellt, dennoch bleiben Fragen. Journalisten und Juristen bewerten die Affäre unterschiedlich.

Das Wort "Landesverrat" als Aufschrift auf einer Mauer (Foto: picture-alliance/dpa/D. Karmann)
Bild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Nachrichtendienste mögen es verständlicherweise überhaupt nicht, wenn Interna ihrer Arbeit bekannt werden. Besonders groß war die Verärgerung beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), als auf der digitalen Plattform "Netzpolitik.org" im Februar und April dieses Jahres Einzelheiten über den geheimen Finanzetat der Behörde und Pläne für eine verstärkte Überwachung des Internets nachzulesen waren. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen erstattete Anzeige gegen unbekannt. Ins Visier der Ermittler gerieten aber vor allem die in netzaffinen Kreisen und auch den Nachrichtendiensten durchaus bekannten Autoren Markus Beckedahl und Andre Meister.

Der Vorwurf hatte es in sich: Landesverrat. Auf dieser Basis leitete der damalige Generalbundesanwalt Harald Range Ermittlungen gegen "Netzpolitik.org" ein. Nach bundesweiter Kritik versetzte ihn Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wenig später in den vorzeitigen Ruhestand. Die Ermittlungen wurden eingestellt.

Viel Solidarität für "Netzpolitik.org"

Die Affäre ist damit im engeren Sinne zwar beendet, die Diskussion über mögliche und nötige Konsequenzen geht aber weiter. Deshalb veranstaltete die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen am Montag in Berlin ein Fachgespräch mit Journalisten und Juristen. Schon im Titel der Veranstaltung klang die Stoßrichtung an, mit der die Runde das vielschichtige Thema beleuchtete: "Landesverrat? Pressefreiheit stärken - JournalistInnen schützen". In der Beurteilung des staatlichen Vorgehens gegen "Netzpolitik.org" war man sich einig: Die Ermittlungen seien unverhältnismäßig gewesen, doch letztlich hätten sie der Pressefreiheit eher genützt als geschadet. "Die Zivilgesellschaft hat funktioniert", freute sich "Spiegel"-Journalist Gunther Latsch unter dem Eindruck der großen Unterstützung für die unter Druck geratenen Blogger-Kollegen.

Der Vorwurf des Landesverrats dominierte im Sommer die SchlagzeilenBild: Arnd Riekmann (ARIK)

Die Ansichten über nötige Konsequenzen aus der Affäre waren hingegen erstaunlich kontrovers. Fast alle Journalisten hielten weitere gesetzliche Regelungen für überflüssig. Geschützt werden müssten aber Whistleblower wie der NSA-Enthüller Edward Snowden, die sich Medien anvertrauten. Sie riskierten ihren Job, mitunter sogar ihre Freiheit. David Crawford vom Recherchebüro "Correct!v" empfiehlt seinen investigativ tätigen Berufskollegen sogar, Whistleblower in der Berichterstattung unerwähnt zu lassen. "Leser müssen nicht wissen, dass es diese Person gibt", argumentierte Crawford auf der Berliner Veranstaltung. Er selbst zieht es vor, auf geheime Dokumente zu verweisen, ohne die Quelle zu nennen. "So gefährdet man sie nicht."

Der feine Unterschied: Beihilfe oder Anstiftung zum Landesverrat

Das Verschweigen einer Quelle berührt aus Sicht des Richters Ulf Buermeyer allerdings die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Wenn der Informant anonym bleibe, sollte zumindest nicht auf das Veröffentlichen von Originaldokumenten verzichtet werden. "Damit sich die Öffentlichkeit eine eigene Meinung bilden kann", begründete der auch im "Chaos Computer Club" (CCS) engagierte Jurist seine Einschätzung. Zugleich warnte Buermeyer davor, trotz des eingestellten Verfahrens gegen "Netzpolitik.org" die Gefahren für die Pressefreiheit zu unterschätzen. Insbesondere bei Durchsuchungen von Redaktionen, wie 2005 in der sogenannten "Cicero-Affäre" werde zwischen staatlichem und öffentlichem Interesse abgewogen.

Für "Netzpolitik.org"-Gründer Beckedahl hat die Affäre durchaus auch positive SeitenBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Auch im Fall von "Cicero" mussten sich die Strafverfolgungsbehörden vom Bundesverfassungsgericht vorhalten lassen, unverhältnismäßig reagiert zu haben. Seit einer Änderung des Strafrechtsparagrafen 353 im Jahr 2012 machen sich Journalisten grundsätzlich nicht mehr wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafbar, wenn sie ihnen zugespieltes geheimes Material veröffentlichen. Anders liegt der Fall, wenn man ihnen nachweisen kann, Dritte zum Beispiel gegen Geldzahlungen zum Verrat angestiftet zu haben. Vor diesem Hintergrund sei der Vorwurf des Landesverrats gegen die "Netzpolitik.org"-Blogger "strategisch dumm" gewesen, wunderte sich der Journalist und promovierte Jurist Christian Rath.

Ströbele: "Journalisten fühlen sich nicht eingeschüchtert"

Eine positive Zwischenbilanz aus der Landesverrat-Affäre zog der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele: "Journalisten fühlen sich nicht eingeschüchtert, sondern gestärkt." Staatliche Behörden und die Bundesregierung hätten sich beeindruckt gezeigt von der Reaktion auf die Ermittlungen gegen die kritischen Blogger. Es ist also keineswegs ironisch zu verstehen, wenn man feststellt: Der Verfassungsschutz hat mit seiner Anzeige wegen Landesverrats die Pressefreiheit gestärkt.

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