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Was bringt der französisch-britische Migrationspakt?

Lisa Louis
11. Juli 2025

Großbritannien und Frankreich haben einen Deal angekündigt, um Migranten zurück nach Frankreich zu schicken. Experten bezweifeln jedoch, dass damit die Zahl der illegalen Einwanderer gesenkt wird.

Paris fordert von Großbritannien Kurswechsel bei Migration
20.000 Menschen haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres den Ärmelkanal in kleinen Booten überquert - kann der neue Migrationsdeal das ändern?Bild: Sameer Al-Doumy/AFP/dpa/picture alliance

Die Pressekonferenz zum Abschluss des französischen Staatsbesuchs in Großbritannien zeigte, wie weit die Prioritäten bei der bilateralen Zusammenarbeit auseinanderklaffen. "Illegale Einwanderung stellt eine weltweise Krise dar", sagte Großbritanniens Premierminister Keir Starmer zu Beginn seiner Ansprache auf dem Londoner Militärstützpunkt Northwood. Er kündigte ein "bahnbrechendes Rückführungs-Pilotprogramm" an. Die Vereinbarung soll es den Briten ermöglichen, Migranten, die in kleinen Booten nach Großbritannien kommen und kein Recht auf Asyl haben, nach Frankreich zurückzuschicken. Im Gegenzug will Großbritannien genauso viele Migranten aus Frankreich aufnehmen, die bleiben dürfen - wegen ihrer Staatsangehörigkeit oder weil sie Recht auf Familienzusammenführung haben.

Der französische Präsident Emmanuel Macron jedoch sprach zunächst über alle anderen Themen des Treffens: nukleare Zusammenarbeit, Verteidigung, den Angriffskrieg in der Ukraine, den Mittleren Osten. Auch die wirtschaftliche Kooperation sprach er an - neun Jahre, nachdem Großbritannien den Brexit beschloss und damit entschied, die Europäische Union (EU) zu verlassen.

Überfahrt über den Ärmelkanal - so viele Migranten wie nie zuvor

Erst dann erwähnte Macron die neue Vereinbarung, die nach juristischer Prüfung in den nächsten Wochen in Kraft treten soll. Den Brexit machte er dabei für den Anstieg der illegalen Migration über den Ärmelkanal mitverantwortlich: "Seitdem hat Großbritannien kein Migrationsabkommen mehr mit der EU - die aktuelle Situation erhöht also den Reiz, den Ärmelkanal zu überqueren", so Macron.

Medien beziffern die Rückführungen auf 50 pro Woche, was die Regierungen nicht offiziell bestätigt haben. Seit Anfang dieses Jahres haben nach Angaben des britischen Innenministeriums über 20.000 Menschen den Ärmelkanal in kleinen Booten überquert - ein Rekordwert für die ersten sechs Monate eines Jahres. 2024 waren es insgesamt rund 15.000. Für Pieyre-Alexandre Anglade, Parlamentarier von Frankreichs Regierungskoalition "Ensemble!", ist die Vereinbarung für beide Länder "ein großer Fortschritt". "Das Thema Migration führt zu großen Spannungen zwischen unseren beiden Ländern. Dieses Abkommen sollte Menschen davon abbringen, den Ärmelkanal zu überqueren", schreibt er auf Anfrage von DW. Diese Ansicht wird von Experten jedoch bezweifelt.

Labour unter Druck von rechts

Für die britische Mitte-Links-Labour-Regierung sind die Boote im Ärmelkanal eine ungleich wichtigere Frage. Die Rechtsaußenpartei Reform UK, zuvor Brexit Party genannt, liegt in den Umfragen vorne. Und laut einer landesweiten Befragung der Londoner Beratungsfirma Portland Communications würden 26 Prozent der Wähler, die nach den Parlamentswahlen 2024 zu Reform UK abgewandert sind, eher zu Labour zurückkommen, wenn die Zahl der ankommenden Flüchtlingsboote sinke.

Migration steht im Mittelpunkt der politischen Debatte in Großbritannien - meint Peter Walsh, leitender Forscher an der Beobachtungsstelle für Migration der Universität OxfordBild: privat

Denn das Thema Migration stünde seit über zehn Jahren im Mittelpunkt der politischen Diskussion, so Peter Walsh, Leitender Forscher an der Beobachtungsstelle für Migration der Universität Oxford. "Die Kontrolle unserer Grenzen war der Hauptgrund für das Brexit-Votum. Die steigende Zahl kleiner Boote zeigt, dass wir diese Kontrolle verloren haben", sagt er zu DW.

Daran sei, tatsächlich, auch der Brexit Schuld: "Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass Migranten noch eher herkommen, weil wir nicht mehr Teil des Dublin-Abkommens sind." Laut diesem muss das Land die Asylanträge bearbeiten, in dem ein Migrant als erstes ankommt. Bis vergangenes Jahr sei die Zahl der erfolgreichen Asylanträge so gestiegen und habe klar über dem EU-Durchschnitt gelegen.

Das neue Abkommen sei dabei vergleichbar mit dem EU-Türkei-Deal von 2016. Damals versprach man der Türkei sechs Milliarden Euro, und 2023 kamen weitere drei Milliarden Euro hinzu, wenn das Land die Zahl der illegalen Einwanderer in die EU senke. "Die Anzahl der Menschen, die unerlaubt per Boot nach Griechenland kamen, sank zwischen 2015 und 2017 von 850.000 auf weniger als 30.000", erklärt der Forscher. "Denn die Türkei hielt die Boote physisch auf. Doch das ist laut EU-Recht nicht möglich." Zudem werde der neue Deal wohl kaum für Abschreckung sorgen. Es wären laut den kursierenden Zahlen nur etwa sechs Prozent der Migranten betroffen, die den Ärmelkanal überqueren.

Migranten als Faustpfand?

Das sieht auch Olivier Cahn so, Dozent für Privatrecht und Kriminalwissenschaften an der Universität Paris Nanterre und Autor einer Doktorarbeit über die französisch-britische polizeiliche Zusammenarbeit. "Seit den ersten bilateralen Abkommen in den 1990er Jahren haben Migranten sich immer an neue Begebenheiten angepasst - warum sollten sie das diesmal nicht tun?", fragt er im DW-Interview. "Die jüngsten Ankündigungen sind mal wieder nur für die öffentliche Meinung bestimmt." Die begrenzte Wirkung des Deals ist dabei für den Forscher ein Grund, warum die EU ihm wohl nicht entgegenstehen werde.

Der neue Deal werde Migranten kaum abschrecken - meint Olivier Cahn, Dozent für Privatrecht und KriminalwissenschaftenBild: privat

Obwohl er, wie vergangene Abkommen, gegen die Regeln des Schengen-Abkommens von 1985 verstoße. Das habe Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums abgeschafft - zu dem Großbritannien nie gehörte - und vorgeschrieben, illegale Migranten nicht davon abzuhalten, den Schengenraum zu verlassen. Frankreich und Großbritannien hatten unter anderem 2003 im sogenannten Touquet-Vertrag vereinbart, britische Grenzkontrollen auf französischen Boden zu verlegen. "Die Franzosen haben dabei nun in dem einzigen Punkt nachgegeben, in dem sie den Briten bisher immer die Stirn gezeigt haben: der Rückführung von Migranten", fügt Cahn hinzu.

Migranten werden als Faustpfand benutzt - so sieht es Maelle Lena, Verantwortliche für Advocacy bei France Terre d'AsileBild: Marguerite Bonnot

Das schockiert Hilfsorganisationen besonders. "Es ist verstörend, dass man Migranten als Faustpfand benutzt - man entmenschlicht sie", sagt Maëlle Lena, Verantwortliche für Advocacy, Internationales und Vereinsleben bei der Pariser Hilfsorganisation France Terre d'Asile, gegenüber DW. Zwischen 2018 und April 2025 sind laut der Oxforder Beobachtungsstelle für Migration 147 Menschen gestorben, während sie versuchten, den Ärmelkanal zu überqueren.

Charlotte Kwantes, Sprecherin der Hilfsorganisation Utopia 56, pflichtet Lena bei. "Man wird immer brutaler gegenüber Menschen, deren letzte Hoffnung es ist, nach Großbritannien zu kommen", meint sie gegenüber der DW. "Man einigt sich auf Migrationspakte im Gegenzug für Geld oder andere politische Abkommen." Laut der Londoner House of Commons Library, einer Forschungsstätte des britischen Parlaments, sollte Großbritannien zwischen 2014 und 2026 Frankreich knapp 900 Millionen Euro im Rahmen der bilateralen Migrationspakte zahlen.

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