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Was Dallas, Denver und House of Cards gemeinsam haben

Jochen Kürten18. September 2015

Die Emmys werden verliehen und herausragende Serien ausgezeichnet. Damals wie heute dreht sich in der Serien-Welt viel um den Kosmos Familie. Doch alles ist radikaler geworden - ein Blick auf die besten US-Serien.

Kevin Spacey als "Frank" Underwood und Robin Wright als seine Ehefrau Claire "House of Cards"
Kevin Spacey als "Frank" Underwood und Robin Wright als seine Ehefrau Claire "House of Cards"Bild: picture-alliance/dpa

Serien gab es schon immer. Lange bevor es das Fernsehen gab, inszenierten Regisseure schon zu Stummfilmzeiten Filmserien und brachten diese ins Kino. Im Fernsehzeitalter wurden Serien dann schnell zum beliebten Hauptbestandteil der Programme. Wenn nun also in den letzten Jahren immer wieder vom jetzt anbrechenden Zeitalter der Fernsehserien die Rede ist, dann ist das nur die halbe Wahrheit.

68 bemerkenswerte Serien aus den letzten 25 Jahren

Es ist der Verdienst des Dresdner Autors und Wissenschaftlers Jürgen Müller, der das neue Serienfernsehen einmal genau unter die Lupe genommen und mit einigen Mythen, die sich um die Popularität des Genres ranken, aufgeräumt hat. Dabei ist Müller, in Dresden Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte, durchaus ein Serien-Fan. Andernfalls hätte er das Buch "Die besten TV-Serien" wohl gar nicht schreiben können. Der reich bebilderte Band, der auf das letzte Vierteljahrhundert Serienfernsehen zurückblickt, stellt 68 TV-Serien vor.

Surreale Botschaften: Erfolgsserie "Twin Peaks" von David LynchBild: picture alliance/landov

"Immer mehr Zuschauer sehen lieber US-Serien als Hollywoodfilme", titelte jüngst eine große deutsche Tageszeitung. Das ist definitiv falsch. Von Hollywoods Kinostudios wurden gerade erst neue Umsatzrekorde gemeldet. Auch große europäische Kino-Nationen wie Deutschland blicken in diesen Wochen zufrieden auf aktuelle Umsatzzahlen. Kino und Fernsehen sind zwei sehr unterschiedliche Medien mit einigen Gemeinsamkeiten - beide sind beim Publikum derzeit erfolgreich - was im Übrigen auch dazu führt, dass Kinofilme nach populären Serien entstehen.

Das Kino befruchtete das Serienfernsehen

Jürgen Müller weist daraufhin, dass der Boom der neuen Fernsehserien gerade auch von Kinoregisseuren ausgelöst wurde: "Man kann nicht genug betonen, dass all das ins Rollen gebracht wurde von Menschen, die es riskierten, nicht auf Einschaltquoten zu schielen." Vor allem David Lynch sei es gewesen, der 1990 mit "Twin Peaks" vieles angestoßen habe - eben jener US-Regisseur, der zuvor mit Filmen wie "Der Elefantenmensch" und "Blue Velvet" das Kinopublikum fasziniert und verzückt hatte.

Vor allem beim weiblichen Publikum beliebt: TV-Serie "Sex and the City"Bild: STARTRAKS PHOTO INC./action press

Neue Publikumsschichten erschlossen

Der Erfolg der TV-Serien macht dem Kino Zuschauer also nicht abspenstig, sondern animiert sie zu zusätzlichem Konsum. Darüberhinaus werden völlig neue Publikumsgruppen erschlossen: Menschen aller Altersklassen, die früher keine Serien geschaut haben. Zu recht erinnert Jürgen Müller an Formate früherer Jahrzehnte, die in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern, große Publikumsmassen anzogen, "Dallas" und "Denver" etwa in den 1970/1980er Jahren, "Die Waltons" oder "Unsere kleine Farm" noch früher.

Komplexere Struktur der TV-Serien: Inhalt und Form

Wenn nun also weder das Phänomen Fernsehserie neu ist und auch beide Medien, Kino wie Fernsehen, nebeneinander existieren, warum wird seit einigen Jahren so viel über TV-Serien diskutiert, warum ist der ja tatsächlich vorhandene Boom überhaupt erwähnenswert?

Für Müller liegt das vor allem an den heute sehr viel komplexer gestalteten und strukturierten TV-Formaten - was die inhaltliche, aber auch die ästhetische Ebene betrifft. Was früher das Privileg ambitionierter Spielfilme war, würde heute auch eine Fernsehserie bieten: kunstvoll-allegorische Bilder, das Durchbrechen linearer Handlungen, der Rätselcharakter der Figuren.

TV-Serien räumen auch bei den Golden Globes immer ab: Das Team der neuen Serie "The Affair" bei der letzten Preis-GalaBild: Getty Images/Paul Drinkwater

Fernsehwelt: Familie und Moral im Fokus

TV-Serien hätten sich, so Müller, fast immer auf die Themen "Familie" und "Moral" konzentriert. Nun müsse "der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Familie im Sinne einer engeren Verwandtschaftsgruppe in der modernen, westlichen Gesellschaft als primäre Bezugsgruppe an Bedeutung verloren hat." Genau diese gesellschaftliche Entwicklung werde von vielen Serien aufgegriffen. Heute würden in den Wohnzimmern "komplexe Fragestellungen im Rahmen einer TV-Serie aufgeworfen".

Eine Entwicklung, die im Übrigen schon vor Jahrzehnten eingesetzt habe, lange vor dem digitalen Zeitalter: "Der Bruch mit der betulichen Fernsehunterhaltung früherer Jahre erfolgte nicht erst mit den neuen technischen Möglichkeiten wie DVD und Internet." Insbesondere populäre Polizei- und Arztserien hätten diesen Wandel eingeleitet.

Setze Standards in Sachen Dialoge: die US-Sitcom "Seinfeld"Bild: Getty Images/Pressemitteilung

Neue Abspielgeräte für die Serien-Junkies

Trotzdem fußt der Erfolg der neuen Serien aber auch auf einem stark veränderten Rezeptionsverhalten. Der Ort (das Kino, der TV-Apparat) und die Zeit (Kinopremiere, klassische TV-Ausstrahlung) sind in den Hintergrund getreten. TV-Serien kann man inzwischen überall und jederzeit konsumieren. Auch das ist ein Bestandteil des immensen Erfolgs der TV-Serien. Müller spricht in diesem Zusammenhang von einer "grenzenlosen Verfügbarkeit".

In den TV-Serien werden auch ethische Fragen abgehandelt

Interessant sind aber vor allem inhaltliche und erzählerische Akzentverschiebungen. Auch heute noch würde sich vieles um den Kosmos Familie drehen, meint Müller. Existenzielle Fragen wie "Was ist Heimat?", "Was sind die Ziele der Gemeinschaft?" oder "Wie geht man mit Bedrohungen von außen um?" füllten immer noch den Kosmos der meisten Serien aus. "In diesem Sinne waren TV-Serien von Beginn an im wahrsten Sinne des Wortes Familienprogramme, und sie sind es, wenn gleich mit veränderten Vorzeichen, noch immer." Was steckt also hinter diesen "veränderten Vorzeichen"?

Wertewandel beim Publikum

Hier ist ein radikaler Wertewandel festzustellen. Erfolgsserien, die sich um Großfamilien drehen wie "Die Sopranos" oder Formate, die sich vornehmlich an ein weibliches Publikum wenden ("Desperate Housewives", "Sex and the City") stellen Moral und herkömmliche Familienwerte radikal in Frage. Serien wie "Boston legal" oder "Mad Men" nehmen die Geschäfts- und Arbeitswelt unter die Lupe und verschieben dort geltende Werte ebenfalls dramatisch. Und Politserien wie "House of Cards" oder "Homeland" dürften das klassisch-optimistische Weltbild der TV-Konsumenten stark in Frage stellen. Von streckenweise surrealen Beispielen des Genres wie "Twin Peaks“ oder auch "Breaking Bad" ganz zu schweigen.

Moralische Grenzen verschieben sich

Das ist dann tatsächlich radikal und neu. Früher trugen Serien zum Erhalt von Familienidealen bei. Auch Formate wie "Dallas", die einen Haufen TV-Bösewichter präsentierten und insgeheim auch genüsslich feierten, ließen am Ende doch keinen Zweifel daran, wo Gut und Böse seinen Platz haben sollte. Das ist heute anders. Eindeutige moralische Grenzen existieren nicht mehr.

Moderne Zuschauer könnten mit solchen Zumutungen umgehen, vermutet Müller: "Heutige TV-Virtuosen haben sich ein Publikum geschaffen, das geradezu danach verlangt, dass seine Ahnungen und Vorhersagen von Folge zu Folge und von Staffel zu Staffel vom Sturm der Ereignisse hinweggefegt werden", resümiert der TV-Experte.

Jürgen Müller: Die besten TV-Serien, Taschens Auswahl der letzten 25 Jahre, Taschen Verlag 2015, 746 Seiten, zahlreiche Bilder, ISBN 978-3-8365-4272-2.

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