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PolitikUkraine

AKW Saporischschja vom ukrainischen Stromnetz getrennt

4. November 2022

Das größte AKW der Ukraine läuft jetzt über Notstromaggregate. Die ukrainische Atombehörde geht davon aus, dass Moskau es ans russische Stromnetz anschließen will.

Kernkraftwerk Saporischschja mit russischem Kampffahrzeug vor dem Gelände
Das russisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja im September 2022Bild: Alexander Ermochenko/REUTERS

Das Atomkraftwerk in Saporischschja ist das größte AKW in der Ukraine - und in ganz Europa. Seine sechs Kraftwerksblöcke verfügen über eine Gesamtleistung von 6000 Megawatt (MW). Es ist eines von vier Kernkraftwerken mit insgesamt 15 Blöcken in der Ukraine. 50 bis 60 Prozent des Stroms im ukrainischen Netz werden von Atomkraftwerken produziert, heißt es vom staatlichen Energieunternehmen Ukrenergo.

Petro Kotin, Leiter des staatlichen ukrainischen Kernkraftwerksbetreibers Energoatom, erklärte im Sommer 2022, das AKW Saporischschja habe vor russischen Angriffen knapp die Hälfte des von den ukrainischen Kernkraftwerken erzeugten Stroms geliefert. 

Jetzt will Russland das Atomkraftwerk wohl ins russische Stromnetz integrieren. Am Donnerstag, 3.11., gab Energoatom bekannt, dass Saporischschja aktuell mit Notstrom-Diesel-Aggregatoren betrieben werde, nachdem die letzten noch verbliebenen Starkstromleitungen durch russischen Beschuss gekappt wurden. Das AKW könne mit dem vorhandenen Treibstoff 15 Tage lang betrieben werden, so Energoatom. Obwohl die sechs Reaktoren bereits stillgelegt sind, muss das AKW trotzdem ununterbrochen mit Strom versorgt werden, damit die Kühlung gewährleistet ist. Sonst könnte es zu einer nuklearen Katastrophe kommen.

Die Energiebehörde geht davon aus, dass Russland "in naher Zukunft" versuchen werde, das Atomkraftwerk mit dem Stromnetz in den russisch besetzten Gebieten der Krim und des Donbass zu verbinden. Moskau ließ am Donnerstag verlauten, Russland habe das Atomkraftwerk vor ukrainischem Beschuss geschützt.

Anschluss ans russische Netz wäre "technisch aufwendig"

Laut Energoatom nutzen die russischen Truppen seitdem das AKW Saporischschja als Depot für Waffen und militärische Ausrüstung. "Das russische Militär beschießt das AKW, um die Infrastruktur zu zerstören und es vom Energiesystem der Ukraine zu trennen", hieß es im Sommer von Energoatom. 

Seit damals wurde das Atomkraftwerk durch russischen Beschuss mehrfach vom Stromnetz der Ukraine getrennt. Es gelang den Arbeitern des Werks aber noch immer, den Anschluss ans ukrainische Netz und die Stromerzeugung für die Ukraine wiederherzustellen.

Maria Zaturjan, die beim staatlichen Unternehmen Ukrenergo für Kommunikation und internationale Zusammenarbeit zuständig ist, sagte der DW im August 2022, dass es technisch sehr schwierig wäre, das AKW Saporischschja vom ukrainischen Netz zu trennen und es ins russische Netz zu integrieren. Die Ukraine hatte am 24. Februar, als Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, ihr Stromnetz vom russischen getrennt und es Mitte März vollständig mit dem kontinentaleuropäischen Netz ENTSO-E synchronisiert.

"Um das AKW Saporischschja sicher vom ukrainischen Netz zu trennen und sicher mit dem Stromnetz der besetzten Krim zu verbinden, ist eine technisch aufwendige Desynchronisation und anschließende Synchronisierung notwendig, wobei eine Leitung nach der anderen getrennt werden muss. Gleichzeitig muss aber die Frequenz im Netz von 50 Hertz aufrechterhalten bleiben, sonst kann es zu Problemen oder Ausfällen kommen", erläuterte Zaturjan.

Ein bewaffneter russischer Soldat auf dem Gelände des Kernkraftwerks Saporischschja (Archivfoto)Bild: Uncredited/AP/dpa/picture alliance

Schwieriger Winter ohne das AKW?

Jetzt sieht es so aus, als plane Russland genau diesen schwierigen Schritt. Das kommt für die Ukraine zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt. Der Winter steht vor der Tür und Energie wird zum Heizen dringend benötigt.

Und angesichts des russischen Angriffs auf die Energieinfrastruktur werden in diesem Winter in der Ukraine besondere Hoffnungen in die Atomkraftwerke gesetzt. Wahrscheinlich wird auf die AKWs ein erhöhter Anteil der Stromerzeugung entfallen. Aber unter Berücksichtigung der Besetzung des AKW Saporischschja wird auch die Atomkraft an ihre Grenzen stoßen, erwartet Denys Sakwa, Experte beim ukrainischen Investitionsunternehmen Dragon Capital.

"Das ukrainische Energiesystem hat einen Sicherheitsspielraum, aber er ist nicht unbegrenzt. Im Winter können wir Ausfälle bei der Stromversorgung aufgrund von Kapazitätsverlusten und Beschuss der Infrastruktur nicht ausschließen. Und wenn der Strom ausfällt, dann fällt auch die Wasser- und Wärmeversorgung sofort aus. Daher kann es ein ungünstiges Winterszenario geben", sagte Sakwa der DW. Er glaubt, dass dies durch eine Verstärkung der Luftabwehr in der Nähe kritischer Infrastrukturen vermieden werden kann.

Dieser Beitrag erschien im Original auf ukrainisch und wurde übersetzt. Er wurde auf Deutsch ursprünglich am 30.08.2022 veröffentlicht und am 04.11.2022 mit Informationen über die aktuelle Lage rund um das Atomkraftwerk Saporischschja aktualisiert.

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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