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Politik

Was das Brexit-Urteil bedeutet

Samira Shackle cr
24. Januar 2017

Die Entscheidung des britischen Supreme Court verzögert zwar den Austrittsprozess, Theresa May kann trotzdem aufatmen: Die Regionalparlamente bekommen kein Mitspracherecht. Samira Shackle berichtet aus London.

Großbritannien Medienvertreter vor dem Supreme Court in London
Bild: Reuters/T. Melville

Der britische Supreme Court hat entschieden: Premierministerin Theresa May muss vor dem Beginn des EU-Austrittsverfahrens das Einverständnis beider Kammern des Parlaments einholen. Es wird erwartet, dass dies noch bis zum 31. März geschieht, innerhalb des von May vorgesehenen Zeitplans. Der Chef der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, hat angedeutet, dass seine Partei den Vorgang nicht verzögern werde.

Der juristische Streit geht auf eine Gruppe um die Fondsmanagerin Gina Miller zurück. Sie argumentierte, es sei undemokratisch, wenn Downing Street dem Parlament die Zustimmung zum Austrittsprozess verweigere. Die Regierung konterte, sie habe das Recht, die Austrittserklärung gemäß Artikel 50 des Lissabon-Vertrags bis Ende März nach Brüssel zu senden, ohne das Parlament zu fragen. Der High Court gab Miller im November Recht.

Der Präsident des Supreme Court, Lord Neuberger, bestätigte nun, dass die Regierung "Artikel 50 nicht ohne parlamentarische Autorisierung auslösen" darf. Das Gericht entschied außerdem, dass die Regionalparlamente in Wales, Schottland und Nordirland nicht befragt werden müssen - ein Sieg für Downing Street.

"Das Gesamturteil ist eine Enttäuschung für die Regierung", sagt Matthew Cole, Historiker an der Universität von Birmingham. "Allerdings kann sie beruhigt sein durch die Tatsache, dass das politische Klima in Westminster relativ Brexit-freundlich ist. Ideologisch ist die Labour-Partei - namentlich Jeremy Corbyn - für einen Verbleib Großbritanniens in der EU, aber wahlstrategisch schaut Labour auf die Nachwahlen in Copeland und Stoke-on-Trent und die Bedrohung durch UKIP", sagt er der DW.

Kontroverse

Nach der Entscheidung des High Court im November ging die Boulevard-Presse im Vereinigten Königreich in den Angriffsmodus und veröffentlichte Fotos der drei Richter. Ein Blatt stempelte sie als "Feinde des Volkes" ab. Nach dem heutigen Urteil des Supreme Court sagte Hauptklägerin Miller, trotz der polarisierenden Natur des Brexit gehe es bei diesem Fall "nicht um Politik, sondern um den Prozess".

Fondsmanagerin Gina Miller klagte gegen die Regierung, der Supreme Court gab ihr RechtBild: Getty Images/L. Neal

Prominente Brexit-Befürworter versuchen bereits, die Entscheidung als antidemokratisch darzustellen. "Das heutige Urteil gibt dem abgehobenen Establishment die Möglichkeit, den sauberen Brexit, für den das Volk gestimmt hat, aufzuweichen und zu verzögern", sagte Arron Banks, Vorsitzender der umstrittenen Gruppe leave.eu und Hauptgeldgeber der europakritischen UKIP.

Viele Kommentatoren sehen in der Entscheidung jedoch ein gutes Beispiel für die parlamentarische Demokratie in Großbritannien. "Das bedeutet mit Sicherheit eine stärkere Beteiligung des Parlaments in dem gesamten Austrittsprozess; Verfassungsmäßig und rechtlich ist es Sache des Parlaments zu entscheiden", sagt Piet Eeckhout, Juraprofessor am University College London: "Ich hoffe auf gemäßigte Reaktionen der Boulevardpresse und maßvolle politische Reaktionen. Acht von elf Richtern haben so entschieden, eine sehr starke Mehrheit."

Nächste Schritte

Der Brexit polarisiert die britische Gesellschaft. Die Befürworter des Austritts ärgern sich über das Urteil, die Gegner wiederum sind frustriert vom zunehmenden parlamentarischen Konsens. "Die heutige Entscheidung macht keinen Unterschied: Labour hat sich bereits festgelegt, den Brexit nicht zu verhindern - egal zu welchen Konditionen er kommt", sagt Brexit-Gegner Owen Kean aus London. "Diese ganze Debatte hat den beißenden Hass der konservativen Presse und der prominenten UKIP-Mitglieder auf den parlamentarischen Prozess freigelegt, wenn sie von etwas bedroht werden, was sie nicht mögen. Sie haben nichts anderes als Verachtung für den demokratischen Prozess und die Amtsträger übrig", sagt er im DW-Interview.

Die Richter des Supreme Court haben keine Vorgaben gemacht, in welcher Form die Parlamentsentscheidung vonstatten gehen soll. Es wird spekuliert, dass die Regierung dem Parlament lediglich eine knappe Frage zur Zustimmung vorlegen wird.

Eigentlich wollte Theresa May das offizielle Kündigungsschreiben nach Brüssel schicken, ohne das Parlament zu befragenBild: Reuters/T. Melville

Die Schottischen Nationalisten (SNP), die über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im Parlament verfügen, haben bereits angekündigt, 50 "ernste und substantielle" Korrekturen für das Gesetz auf die Tagesordnung zu setzen. Die Liberalen Demokraten wollen sogar ein zweites Referendum über den endgültigen Beschluss.

"Sie werden viel Lärm machen. Das ist frustrierend für die Regierung und könnte für Verzögerungen sorgen, aber ich bezweifle, dass der Prozess länger als bis Ende März dauern wird", sagt Cole.

Die Entscheidung, dass die Regionalparlamente kein Mitsprachrecht haben, stellt die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon vor die Frage, ob sie ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum für Schottland anstreben soll.

"Um ehrlich zu sein, die Entscheidung, dass das schottische Parlament kein Mitsprachrecht bekommt, fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht", sagt die Autorin Caroline Flyn aus Edinburgh: "Jeder Wahlkreis in Schottland hat gegen den EU-Austritt gestimmt. Die Frage, ob wir nach einer Unabhängigkeit die EU-Mitgliedschaft behalten, hat das Referendum dominiert. Jetzt sieht es so aus, dass wir die Mitgliedschaft verlieren, obwohl wir im Vereinigten Königreich bleiben. Das ist äußerst ärgerlich."

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