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Was der EU-Migrationsdeal mit Tunesien bringt

Marina Strauß
17. Juli 2023

Die Europäische Union und Tunesien wollen enger zusammenarbeiten, etwa bei Migration und erneuerbaren Energien. Warum das Abkommen anders ist als der EU-Türkei-Deal und was daran kritisiert wird.

Mark Rutte, Ursula von der Leyen, Kais Saied und Giorgia Meloni reichen sich die Hände (v.l.n.r.)
Demonstrieren Harmonie: Mark Rutte, Ursula von der Leyen, Kais Saied und Giorgia Meloni (v.l.n.r.)Bild: Freek van den Bergh/ANP/picture alliance

Zwei Frauen, zwei Männer. Vier zufriedene Gesichter. Vier Hände, die sich berühren. Eine eingeschworene Truppe? Nicht unbedingt. 

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der niederländische (Noch-)Ministerpräsident Mark Rutte und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen waren als selbsternanntes "Team Europe" am Wochenende zu Tunesiens Präsident Kais Saied nach Tunis gereist, um eine Absicht zu bekunden: Sie wollen künftig besser kooperieren.

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union müssen diesem Partnerschaftsabkommen noch zustimmen, aber die groben Linien sind klar. Tunesien und die Europäische Union wollen zukünftig härter gegen Schlepper vorgehen und dafür sorgen, dass weniger Menschen von Tunesien aus in lebensgefährlichen Fahrten das Mittelmehr gen EU überqueren. 

Auch wenn ein hochrangiger EU-Beamter am Montagmorgen andere wichtige Aspekte des Deals hervorzuheben versuchte - wirtschaftliche Stabilität, Handel, grüne Energien und Austauschprogramme für junge Menschen in Tunesien - ist klar, dass das Thema Migration alle anderen überschattet. "Die EU sieht die Beziehung zu Tunesien und anderen südlichen Mittelmeerländern zunehmend durch die Migrations-Brille", sagt Anna Knoll, Migrationsexpertin vom Thinktank ECDPM in Brüssel. 

Große Zeremonie: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Tunesiens Präsident Kais Saied beim ersten Besuch des "Team Europe" am 11. JuniBild: Italian Premier Office/AP/picture alliance

Druck auf die anderen EU-Länder kam vorher vor allem von der ultrarechten italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni. In ihrem Heimatland sind bis Juli so viele Migranten und Geflüchtete angekommen wie seit Jahren nicht mehr. Für Melonis Partei, die Fratelli d'Italia, sei es sehr wichtig, als Kraft angesehen zu werden, die etwas dagegen tue, sagt Anthony Dworkin, Senior Fellow vom European Council on Foreign Relations (ECFR). 

Tunesien-Deal ist Teil des umstrittenen neuen Asylpakts

Aber nicht nur die italienische Regierung, sondern auch viele andere in der EU, wollen handeln, nachdem jahrelang nichts  in der Asylpolitik voranging. Erst im Juni einigten sie die EU-Staaten auf einen neuen Asyl- und Migrationspakt. Dieser Deal stellt die Länder vor die Wahl: entweder Schutzsuchende aufnehmen oder Geld bezahlen. Ein weiterer Aspekt sind die viel kritisierten schnelleren Verfahren an der Außengrenzen der Europäischen Union für Menschen, die irregulär über Land oder Wasser einreisen.

In diesem Zusammenhang ist auch das Abkommen mit Tunesien zu sehen. Das nordafrikanische Land hat zugestimmt, tunesische Staatsangehörige aufzunehmen, sollten diese aus EU-Ländern wieder zurückgeschickt werden, wenn sie kein Recht auf Asyl haben. 

Tunesien akzeptiere allerdings nicht - "trotz Druck von europäischer Seite", so Anthony Dworkin vom European Council on Foreign Relations -, Menschen aus anderen Staaten zu beherbergen, die aus EU-Staaten abgeschoben werden, zum Beispiel Personen aus Subsahara. 

Unterschied zum EU-Türkei-Abkommen von 2016

An dieser Stelle zeigt sich auch ein entscheidender Unterschied zu einem anderen Migrationsabkommen, das die EU abgeschlossen hat, damit die Union weniger Menschen aufnehmen muss: der EU-Türkei-Deal von 2016. 

Während sich die Übereinkunft mit Tunesien auf mehrere Felder konzentriert, etwa die Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien, hat sich die Türkei bereiterklärt, auch andere Staatsbürgerinnen und -bürger aufzunehmen, vor allem aus Syrien. "Es geht jetzt eher darum, Menschen davon abzuhalten, Tunesien zu verlassen, und nicht so sehr darum, sie zurückzuschicken", sagt Forscher Anthony Dworkin.  

Hetze gegen Migranten aus Subsahara

06:13

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Laut Dworkin ist den EU-Staaten noch ein weiterer Punkt wichtig beim aktuellen Abkommen. "In Europa ist man sehr besorgt wegen eines möglichen wirtschaftlichen Zusammenbruchs  in Tunesien." Und tatsächlich steckt das Land in einer Krise, zuerst wegen terroristischer Angriffe, dann wegen der Pandemie und des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. "Wenn Tunesien ökonomisch und sozial kollabiert", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bereits im März dieses Jahres, dann kämen noch mehr Menschen nach Europa. 

Der Deal ist klar: Geld gegen EU-Grenzschutz

All das mag also das "Team Europe" am Sonntag in Tunis dazu bewogen haben, sich mit freundlicher Miene zu präsentieren. Auch wenn klar ist, dass der tunesische Präsident Kais Saied die von der EU heraufbeschworenen Menschenrechte nicht besonders ernst nimmt. 

Er gilt nicht nur als zunehmend autoritär, sondern hat sich erst kürzlich rassistisch über Menschen aus Subsahara-Afrika geäußert. Und die Organisation Human Rights Watch etwa wirft tunesischen Sicherheitskräften vor, hunderte Menschen, darunter Frauen und Kinder, in der Wüste zwischen Libyen und Tunesien ausgesetzt zu haben. 

Ausgesetzt? Asylsuchende aus Subsahara-Afrika in der tunesischen Wüste nahe der Grenze zu LibyenBild: Mahmud Turkia/AFP

Wenn es der EU allerdings wirklich ernst wäre mit den Menschenrechten, würde sie nicht zu diesem Zeitpunkt diesen Deal voranbringen, kritisiert Anthony Dworkin vom ECFR.

Ein hoher EU-Beamter hingegen betont, dass die Union diesen Geflüchteten über die Internationale Organisation für Migration (IOM) helfe und "das Grenzschutzmanagement bei vollständiger Achtung der Menschenrechte" stärken wolle. 

Unter dem neuen Abkommen will die EU dafür 105 Millionen Euro bereitstellen, zusätzlich zu 150 Millionen Euro Zuschuss für den Haushalt Tunesiens. Bei ihrer ersten Reise nach Tunis im Juni hatten Meloni, von der Leyen und Rutte dem Land außerdem 900 Millionen Euro über einen längeren Zeitraum zugesichert, etwa als Darlehen. 

Der Deal ist also klar: Geld gegen EU-Grenzschutz. Kann das nicht dazu führen, dass Tunesien die EU erpresst? Für Anna Knoll von der Brüsseler Denkfabrik ECDPM macht es keinen großen Unterschied, ob die Union Übereinkünfte mit Ländern wie Tunesien hat oder nicht. Wenn die EU irreguläre Migration verhindern wolle, hätten diese Länder immer ein gewisses Druckmittel in der Hand, um ihre Interessen durchzusetzen, sagt Knoll.

Das Abkommen mit Tunesien ist nur ein erster Schritt für die EU. Weitere Deals mit nordafrikanischen Staaten wie Marokko und Ägypten könnten bald folgen. 

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