Was die "One Piece"-Piratenflagge für die Gen Z bedeutet
8. Oktober 2025
Ein grinsender Totenkopf mit Strohhut: Fans des japanischen Mangas und Animes "One Piece" erkennen diese Piratenflagge sofort. Es ist das Banner der Strohhut-Bande, einer berüchtigten Piratengruppe unter der Führung eines jungen Kapitäns namens Monkey D. Ruffy.
Jetzt ist sie in der Realität angekommen: Die Flagge wurde vor dem nepalesischen Regierungssitz gehisst, als Demonstranten Anfang September das Gebäude stürmten und in Brand setzten. Heute wird sie in globalen, von Jugendlichen angeführten, Bewegungen verwendet, die als "Gen-Z-Proteste" bekannt sind.
Aber wie genau wurde die fiktive Piratencrew zu einem Symbol des Widerstands, und wofür steht dieses Symbol?
"One Piece": Japanische Rekord-Manga-Serie
"'One Piece' ist in vielerlei Hinsicht die erfolgreichste und beliebteste Manga-Serie aller Zeiten", erklärt die Manga- und Anime-Expertin Andrea Horbinski, Autorin des in Kürze erscheinenden Buches "Manga's First Century: How Creators and Fans Made Japanese Comics, 1905-1989".
Die 1997 vom japanischen Manga-Künstler Eiichirō Oda geschaffene Comic-Reihe umfasst bereits mehr als 110 Bände, die über 500 Millionen Mal verkauft wurden. "One Piece" hat auch verschiedene Filme sowie eine langjährige TV-Anime-Serie mit mehr als 1000 Episoden hervorgebracht.
Im Zentrum seines komplexen Universums begleitet "One Piece" den jungen Kapitän Ruffy und seine Strohhut-Piratencrew dabei, wie sie korrupte Mächte herausfordern, darunter die autokratische Weltregierung.
"Ruffy und seine Crew stehen für Freiheit, individuelle Entscheidungsfreiheit und dafür, seinem Herzen zu folgen", erklärt Andrea Horbinski gegenüber der DW. "Bei ihren Abenteuern haben sie unterdrückten Gruppen geholfen und sich gegen korrupte Autoritätspersonen gestellt. Ich glaube, dass diese Aspekte auch bei den Menschen Anklang finden, die die Flagge bei Protesten hochhalten."
Ein Symbol geht viral
Das Banner war zwar bereits während einer ersten Welle von Studentenprotesten im Februar dieses Jahres in Indonesien verwendet worden, doch erst im Vorfeld des 80. Jahrestags der Unabhängigkeit Indonesiens am 17. August wurde es zu einem weit verbreiteten Symbol des Unmuts.
Zum Nationalfeiertag schmücken die Menschen ihre Häuser und Fahrzeuge traditionell mit der Nationalflagge. Einige Bürger hissten in diesem Jahr jedoch zusätzlich die "One Piece"-Flagge, um ihre Unzufriedenheit mit der Politik der Regierung und der Korruption zum Ausdruck zu bringen.
Der stumme Protest ging viral und führte zu einer Gegenkampagne der indonesischen Regierung, die die Bürger aufforderte, die Nationalflagge noch sichtbarer zu machen. Einige Beamte behaupteten, das Zeigen des "One Piece"-Emblems komme einem Landesverrat gleich. An mehreren Orten im Land wurden Razzien durchgeführt, um die Flaggen und Wandmalereien zu entfernen, woraufhin die Menschenrechtsorganisation Amnesty International das harte Vorgehen gegen das Symbol verurteilte.
Nach Indonesien wurde die Flagge dann bei groß angelegten Anti-Korruptions-Demonstrationen in Nepal übernommen, die durch ein landesweites Verbot zahlreicher Social-Media-Plattformen ausgelöst worden waren.
Die Proteste der nepalesischen Generation Z führten zur Aufhebung des Verbots und zum Rücktritt des Premierministers. Die gewaltsame Antwort der Behörden auf die Proteste forderte jedoch auch viele Opfer: Mindestens 72 Menschen wurden getötet und mehr als 2100 verletzt.
Trotz der Risiken inspirierten die Erfolge der nepalesischen Demonstranten andere von jungen Menschen angeführte Gruppen. Weltweit formierten sie sich, darunter in Ländern wie den Philippinen, Serbien, Kenia, Marokko, Paraguay, Peru und Madagaskar.
"Wir haben gesehen, was in Nepal passiert ist, und ehrlich gesagt hat uns das einfach begeistert", sagt Virgilus Slam, ein Slam-Poetry-Künstler, der sich den Aktivisten der Generation Z in Madagaskar angeschlossen hat. Es sei ein noch stärkeres Gefühl der Selbstermächtigung, "zu sehen, wie diese von uns jungen Menschen angeführte Volksbewegung unter diesem Banner nach und nach entsteht und wächst", erklärt er gegenüber der DW.
Das "One Piece"-Symbol dient als offizielles Logo der Social-Media-Accounts der madagassischen Demonstranten. Sie haben dem Emblem sogar eine lokale Note verliehen, indem sie den Strohhut durch einen Satroka-Hut ersetzt haben, der traditionell von der ethnischen Gruppe der Betsileo in Madagaskar getragen wird - und nun auch von vielen Menschen im ganzen Land als Zeichen der Solidarität mit der Bewegung.
Popkultur bei Protesten: Von der "Guy Fawkes"-Maske bis Winnie Puuh
Die Probleme in den einzelnen Ländern mögen unterschiedlich sein, doch das "One Piece"-Banner ist eins der Elemente, das die Proteste der Generation Z verbindet.
Die Generation Z, die sich grob aus den zwischen 1996 und 2010 Geborenen zusammensetzt, ist die erste Generation, die vollständig im Zeitalter des Internets aufgewachsen ist. Für Menschen, die ihr ganzes Leben umgeben von Popkultur und Memes verbracht haben, haben solche Bilder eine verbindende Kraft. Und da so viele andere junge Menschen mit "One Piece" vertraut sind, ist es nur natürlich, dass Demonstranten dieses Symbol nutzen, um ihre Ideale zu vermitteln, sagt die Manga-Expertin Andrea Horbinski und fügt hinzu: "In den letzten zehn bis 15 Jahren gab es viele andere Fälle, in denen Menschen Zeichen und Symbole der Popkultur in Proteste eingebracht haben."
Die Guy-Fawkes-Maske aus dem Comic und Film "V wie Vendetta" ist eines dieser Symbole. Sie erlaubte den "Occupy Wall Street" Demonstranten, ihren Unmut anonym zum Ausdruck zu bringen.
2019 tauchten bei Protesten in Ländern wie Chile, Beirut und Hongkong Verweise auf den Film "Joker" auf. Die Demonstranten übten Systemkritik und trugen dabei Make-up wie die Titelfigur des Films - ein psychisch labiler Außenseiter, der durch gesellschaftliche Vernachlässigung zur Gewalt getrieben wird.
Der Drei-Finger-Gruß aus der "Die Tribute von Panem"-Reihe, bei dem Ring-, Mittel- und Zeigefinger an die Lippen geführt und dann nach außen gestreckt werden, ist im fiktiven Kosmos ein Zeichen der Rebellion gegen das Kapitol. Er wurde unter anderem in Thailand (ab 2014), Myanmar (2021) und Hongkong übernommen. Die thailändische Regierung verbot den Gruß als subversive Handlung.
In China haben Social-Media-Nutzende und politische Aktivisten Staatschef Xi Jinping satirisch mit Winnie Puuh verglichen, was dazu führte, dass Darstellungen der beliebten Bärenfigur verboten wurden.
Nun gewinnt die "One Piece"-Piratenflagge weltweit an Bedeutung. Für Aktivist Virgilus Slam vermittelt sie Hoffnung: "Ruffy ist ein junger Mann, der sich wehrt und immer darauf hofft, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, seine Freunde und sogar seine Feinde zu besseren Menschen zu machen. Das sind Botschaften, die fast idealistisch erscheinen, und tatsächlich sind wir vielleicht eine Generation von Idealisten - aber ich glaube, dass Idealisten diejenigen sind, die schon immer die Welt verändert haben."
Adaption aus dem Englischen: Katharina Abel