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Terrorismus

Was geschah in Hanau?

Uta Steinwehr mit Agenturen
21. Februar 2020

Zehn Menschen und der mutmaßliche Attentäter starben am Mittwochabend in Hanau. Wir erklären den Stand der Ermittlungen und fassen die Reaktionen von Politikern und Vertretern der Betroffenen zusammen.

Hanau Trauer um Opfer nach Amoklauf
Solidaritäts- und Trauerbekundungen in HanauBild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Was ist passiert?

In Hanau, knapp 20 Kilometer östlich von Frankfurt, erschoss am Mittwochabend ein Mann neun Menschen in einer Shisha-Bar und einem Kiosk mit Shisha-Café. Anschließend erschoss der mutmaßliche Täter auch seine Mutter und tötete sich selbst.

Wer sind die Opfer?

Alle in den beiden Gastronomiebetrieben getöteten Menschen hatten eine Zuwanderungsgeschichte. Wie die Bundesanwaltschaft mitteilte, waren die Opfer zwischen 21 und 44 Jahre alt. Unter ihnen waren demnach sowohl ausländische als auch deutsche Staatsangehörige. Nach Angaben eines Dachverbands kurdischer Gemeinschaften in Deutschland waren mehrere Tote kurdischer Herkunft.

Was ist über den Täter bekannt?

Nach Angaben von Bundesinnenminister Horst Seehofer ist die Gewalttat "eindeutig ein rassistisch motivierter Terroranschlag". Im Internet hat der mutmaßliche Täter ein Pamphlet und Videobotschaften veröffentlicht, die auf ein rassistisches Motiv schließen lassen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand hat der 43-jährige Deutschen mit niemandem über seine Pläne gesprochen.

Die Ermittler gehen auch davon aus, dass der mutmaßliche Todesschütze psychisch krank war, wie der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, bekanntgab. Dass der Täter verwirrt war, ändert für Innenminister Seehofer aber nichts am rassistischen Hintergrund der Tat. Dieser sei "vollkommen unbestritten und kann durch nichts relativiert werden".

Die Inhalte auf der Webseite des Mannes zeigen auch, dass er Anhänger von Verschwörungstheorien war. Generalbundesanwalt Peter Frank bestätigte, dass die Bundesanwaltschaft in diesem Zuge schon im November Kontakt mit dem 43-Jährigen hatte. Damals habe der Mann Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gestellt und darin zum Ausdruck gebracht, es gebe eine übergreifende große Organisation, die vieles beherrsche, "sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge dann abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern". Rechtsextremistische oder rassistische Züge soll diese Anzeige allerdings nicht getragen haben.

Der Täter war in einem Frankfurter Schützenverein aktiv, ist dort nach Angaben des Vereins aber nie ausländerfeindlich aufgefallen. Als Sportschütze besaß der Mann rechtmäßig zwei Waffen.

Wie reagiert die Politik?

Bundesinnenminister Seehofer bewertet den Angriff als dritten rechtsterroristischen Anschlag in Deutschland innerhalb weniger Monate - nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem Anschlag auf die Synagoge in Halle.

Seehofer kündigte den stärkeren Einsatz von Polizisten an. "Die Gefährdungslage durch Rechtsterrorismus, Antisemitismus und Rassismus ist in Deutschland sehr hoch", sagte Politiker. Man müsse nach dem Anschlag von Hanau mit Nachahmungstätern rechnen. Kurz vor Großveranstaltungen wie den Feierlichkeiten zum Karneval werde daher die Polizeipräsenz in ganz Deutschland erhöht. Sensible Einrichtungen sollen verstärkt geschützt werden, insbesondere Moscheen. Auch an Bahnhöfen, Flughäfen und nahe der Grenzen soll die Polizei stark sichtbar sein.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (rechts) und Justizministerin Christine Lambrecht verurteilen die TatBild: Reuters/F. Bensch

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht will prüfen, ob die jüngsten Verschärfungen im Waffenrecht konsequent umgesetzt werden. Bevor Waffenerlaubnisse vergeben werden, müssen Behörden immer beim Verfassungsschutz nachfragen. Die Ministerin wolle prüfen, ob das auch passiere. Lambrecht wiederholte außerdem eine alte Forderung, wonach Rechtsextremisten konsequent entwaffnet werden müssten.

Die Bundesregierung werde die Angehörigen der Opfer umfassend unterstützen, kündigte Bundessozialminister Hubertus Heil an. Im vergangenen Jahr hatte der Bundestag ein neues Gesetz zur Entschädigung von Opfern verabschiedet. Wer in Deutschland Opfer einer vorsätzlichen Gewalttat wird und dadurch gesundheitlich geschädigt wird, kann sich darauf berufen. Dies gilt auch für Hinterbliebene von Personen, die infolge der Gewalttat verstorben sind.

Wie schon nach früheren rechtsterroristischen Gewalttaten gaben zahlreiche Politiker der AfD eine Mitschuld an dem Anschlag - wegen derer rechten Rhetorik und Hetze. Arbeitsminister Heil bezeichnete die Partei als geistigen Brandstifter. AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland wies solche Vorwürfe zurück.

Wie reagieren Verbände?

Die Gewalttat richtete sich gezielt gegen Menschen mit einer Migrationsgeschichte. Der Zentralrat der Muslime bezeichnete ihn als "Angriff auf die Demokratie". Der Generalsekretär des Zentralrats, Abdassamad El Yazidi, warnte im Gespräch mit der Deutschen Welle vor der langfristigen Wirkung solcher Taten: "Deutschland, das international bekannt war für Toleranz, Respekt, Menschenwürde, entwickelt sich in einer brisanten und schrecklichen Art und Weise zum Gegenteil."

In vielen Städten in Deutschland kamen Menschen zusammen, um der Opfer zu gedenkenBild: Reuters/K. Pfaffenbach

Yazidi rief Behörden und Politik dazu auf, "sich schützend vor Migranten und Muslime zu stellen". Sie dürften nicht "den Rechten und den Menschenhassern ausgeliefert" bleiben. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Ertan Toprak, bemängelte eine teilweise fehlende Kooperation der Polizei. Bei Drohungen, die sich in letzter Zeit häuften, "müssen wir immer wieder nachfragen, um Informationen zu bekommen", sagte Toprak dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Da fühlt man sich schon manchmal im Stich gelassen."

Rechtsextremismus dürfe nicht verharmlost werden. "Die Tat zeigt wieder einmal, wie weit es gekommen ist in Deutschland. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist gefährdet", sagte Toprak. Seiner Ansicht nach wächst das Gefühl der Unsicherheit bei Menschen mit Migrationsgeschichte.

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