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Was höre ich in der Stille?

12. September 2015

Mit iPods, Handys und anderen technischen Geräten haben wir die Stille aus unserem Leben vertrieben. Umso kostbarer ist sie. Auch für den Glauben. Warum, das erklärt Marianne Ludwig für die evangelische Kirche.

Symbolbild Midlife crisis
Bild: imago/emil umdorf

Zur Ruhe kommen
Still ist es selten. Ganz still ist es noch seltener, wenn nicht einmal ein Vogelzwitschern zu hören ist. Stille gehört zu den ganz besonderen Erfahrungen in unserem Land. Man muss sie suchen, etwa in einer Kirche oder auf einem Berggipfel. Und vielleicht erfährt man dann etwas Überraschendes: Stille ist gar nicht so leicht auszuhalten.
Wirklich still werden bedeutet auch: Ich bringe die Stimmen in meinem Kopf zum Schweigen, versuche einmal, an nichts mehr zu denken. Einfach da zu sein und zu schauen, was mit mir geschieht. Etwa, wie der Atem fließt. Faszinierend, wie der Atem meinen Körper bewegt: Im Einatmen weitet sich der Brustkorb und im Ausatmen wird er schmal. Ohne dass ich irgendetwas dazu tun muss. Es geschieht von selbst.
Den eigenen Atem zu beobachten ist eine gute Hilfe, um innerlich ruhig zu werden. Denn das ist gar nicht so einfach. Nicht nur wegen des Lärms, der uns umgibt, sondern auch wegen all der großen und kleinen Sorgen, die Aufmerksamkeit verlangen. Gleichzeitig wächst die Sehnsucht nach Ruhe und Stille. Aber wo findet man sie im Alltagsgetriebe?

Ein Ort für Wunder
Gut, dass viele Kirchen inzwischen offen gehalten werden für Besucher, die die Stille zu schätzen wissen. Denn innerhalb alter Kirchengemäuer geschieht es meist wie von selbst: Nimmt man Platz auf der Kirchenbank, breitet sich die Stille aus. Es ist, als ob man einen Kiesel ins Wasser wirft und das Wasser nun Kreise zieht. Diese Stille tut gut. Sie erfrischt Körper, Geist und Seele. Wenn der Besucher – wenigstens für diesen Augenblick – sich auf die Stille einlässt, geschieht noch etwas: Es ist, als ob das Herz weiter wird und offener für etwas, das größer ist als ich selbst.
Deshalb hat Martin Luther die Stille sehr geschätzt und immer wieder gesucht. Sie war für ihn geradezu notwendig, um Kraft zu schöpfen und beschreibt mit einem Bild, wie sie auf ihn wirkt. „Gleichwie die Sonne in einem stillen Wasser gut zu sehen ist und es kräftig erwärmt, kann sie in einem bewegten, rauschenden Wasser nicht deutlich gesehen werden , auch erwärmt sie es nicht so sehr. Darum: Willst auch du erleuchtet und warm werden durch das Evangelium, göttliche Gnade und Wunder sehen, damit dein Herz entbrannt, erleuchtet, andächtig und fröhlich werde, so gehe hin, wo du still sein und das Bild dir tief ins Herz fassen kannst; da wirst du finden Wunder über Wunder.“ (Zimmerling, P., (2003). Evangelische Spiritualität, Göttingen S.40)

Schlafen im Herzen des Sturms
Die Menschen der Bibel finden diese Wunder, wenn sie Gott begegnen. Das kann überall passieren, nicht nur an Orten der Stille. Im Gegenteil. Die Bibel erzählt, dass sich Gottes Kraft einmal auch mitten im Sturm zeigt: Jesus befindet sich mit den Seinen auf einem See, als plötzlich ein großes Unwetter aufkommt. Die Jünger fürchten sich. „Herr, rette uns, wir gehen unter!“ Sie müssen ihn wecken, weil Jesus mitten im Sturm ruhig schläft. Aber anstatt sofort zu helfen, stellt er den Jüngern eine Frage: „Warum fürchtet ihr Euch, Ihr Kleingläubigen?“ Dann erst bringt er den tosenden Sturm zu schweigen und – siehe da – „eine große Stille trat ein“.
Gottes Kraft bringt nicht nur Naturgewalten zum Schweigen. Sie stillt auch Angst und Kummer der Jünger. Vor allem aber erkennen sie sich selbst, als Jesus ihnen mit seiner Frage einen Spiegel vorhält. Jetzt erkennen sie, wie sehr Sorge und Angst sie gefangen genommen und den Blick für ihre Möglichkeiten verstellt haben. Wenn man den Kopf verliert, kann man im Sturm das Schiff nicht auf Kurs halten.
Jesus aber lässt sich nicht aus der Fassung bringen. Ja, er schläft sogar, und das in aller Seelenruhe! Der Gegensatz zu den panischen Jüngern könnte nicht größer sein. So viel Ruhe kann nur einer bewahren, der auf Gottes Kraft vertraut.
„Seid still und erkennt, dass ich Gott bin“, heißt es in den Psalmen (Ps. 46,11)
Ob in einer offenen Kirche oder anderswo: An stillen Orten ist es leichter, Vertrauen zu entwickeln auf diese Kraft. Wer sich dieser Stille öffnet, muss nicht auf sich selbst zurück geworfen sein. Sondern erlebt vielleicht das Wunder, wie ein Sturm zur Ruhe kommt: Das ist das Geheimnis lebendiger Stille.

Pfarrerin Marianne Ludwig, BerlinBild: EDK

Zur Autorin: Marianne Ludwig (Jahrgang 1958) ist seit Februar 2007 Pfarrerin bei der Bundespolizei mit Dienstsitz in der Bundespolizeiabteilung Blumberg.Sie wurde in Bad Berleburg (Nordrhein-Westfalen) geboren und studierte ev. Theologie und Judaistik in Berlin, Göttingen und Jerusalem. Sie wurde nach dem Vikariat 1989 ordiniert und arbeitet seither überwiegend in der Spezialseelsorge (Ev. Familienbildungsstätte, Kinderklinik, allgem. Krankenhaus). 1997 schloss sie berufsbegleitend ein Studium der Erziehungswissenschaften in Berlin ab, 1997 – 1999 eine Ausbildung in Klinischer Seelsorge und 1999 - 2002 eine Ausbildung zur Supervisorin am Ev. Zentralinstitut für Familienberatung.Sie hat derzeit einen Predigtauftrag in der JVA Tegel/Berlin.Marianne Ludwig ist verheiratet und hat drei Kinder.


Kirchliche Verantwortung: Pfarrer Christian Engels

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