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Politik

Was haben Iowa und Meck-Pomm gemeinsam?

Zhang Danhong25. September 2016

Die westlichen Demokratien stecken in einer Vertrauenskrise. Populistische Parteien gewinnen an Zulauf. Wie ist es dazu gekommen? Wo ist der Ausweg? Experten begeben sich auf die Suche nach Antworten.

Deutschland Wahlkampf AfD
Bild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

Der US-Bundesstaat Iowa hat in den letzten Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Es herrscht fast Vollbeschäftigung. Auch das deutsche Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hat gute Wirtschaftsdaten vorzuweisen. Dennoch bekommt Donald Trump in Iowa besonders viel Zuspruch und die AfD wurde in Mecklenburg-Vorpommern die zweitstärkte Partei. In einem kurzen Zeitraum sei dieses Phänomen nicht über Wirtschaftsdaten zu erklären, sagt Melinda Crane, Chefkorrespondentin von der Deutschen Welle. "Wenn wir aber langfristig schauen, so haben beide Gegenden einen sehr starken Strukturwandel durchmachen müssen. Verschwunden sind gute organisierte Jobs, wo auch Gewerkschaften aktiv waren, die politische Gefühle kanalisieren konnten", so Crane weiter.

Bundestagsabgeordneter Gregor Gysi geht noch mehr auf die Bürger in Ostdeutschland ein: "Sie waren in einer geschlossenen Gesellschaft. 1990 wurde ihnen gesagt, sie sollen jetzt Deutsche werden, dann sollen sie Europäer und Weltbürger werden." Neben dieser Überforderung haben sie einen sozialen Zusammenbruch erlitten. Viele wurden arbeitslos und fanden nie wieder eine Arbeit. "Sie fühlen sich benachteiligt. Dann braucht man jemanden, der noch weiter unten steht. Der Rechtspopulismus bietet den Menschen einen Nationalstolz zum Nulltarif", sagt Gysi auf einer Veranstaltung der Kanzlei Baker & McKenzie in Frankfurt am Main.

Auf der Veranstaltung von Baker & McKenzie hält Prof. Udo Di Fabio die Key NoteBild: DW/Danhong Zhang

Der Populismus sei die Rebellion einfacher Antworten gegen das institutionelle Vertrauen, fasst der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio zusammen. Die Erosion der Marktwirtschaft geschah teilweise durch die Deregulierung, über die Wirtschaftsinteressen von Unternehmen und Marktakteuren in einer asymmetrischen Weise durchgesetzt worden seien, die nicht nur den Wettbewerb verzerrt, sondern auch die Institutionen gefährdet hätten.

Europa - ein rechtsfreier Raum?

"Die Eliten haben am Reißbrett etwas geplant, ohne sich hinreichend rückzuversichern", sagt Di Fabio. Als Beispiel nennt er den Euro. In sich mag der Euro stimmig sein. Heterogene Wirtschaftsräume können in einer Währung vereint werden - vorausgesetzt: Die Stabilitätskriterien werden eingehalten und eine unabhängige Notenbank wacht über der Währung. "Was wir aber erlebt haben, ist, dass wir ein regulatorisches Regelwerk geschaffen haben, das die Demokratien in Südeuropa als ein zu enges Korsett empfinden." Würden die Politiker solche Kriterien mit Gewalt durchsetzen, müssten sie mit einer neuen Welle populistischer Rebellion rechnen.

Die Diskussion fand in einem idyllischen Ambiente statt: Das Karmeliterkloster in Frankfurt am MainBild: DW/Danhong Zhang

In der Flüchtlingskrise sei es zu weiteren Rechtsbrüchen gekommen. Das Dublin-Abkommen sei durch die große Anzahl der Migranten ausgehebelt worden. Den Juristen Di Fabio wurmt es: "Wir beginnen uns in Europa daran zu gewöhnen, dass das europäische Recht in wichtigen Bereichen nicht funktioniert." Aus seiner Sicht ein inakzeptabler Zustand. Wenn die Rechtsordnung nicht durchsetzbar sei, dann müsse sie angepasst werden.

Wo bleibt der ehrbare Kaufmann?

Galt als der ehrbare Kaufmann schlechthin: Alfred HerrhausenBild: dpa

Auch Persönlichkeiten würden helfen, Vertrauen in die Institutionen zu stärken, meint Di Fabio. Persönlichkeiten wie einst der Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen verkörperten den ehrbaren Kaufmann und trugen zur Akzeptanz der Marktwirtschaft bei. Von ihm stammt die Aussage: "Wir müssen sagen, was wir denken, müssen tun, was wir sagen, und müssen sein, was wir tun." Wenn er wüsste, was aus der Deutschen Bank geworden ist.

In Deutschland würde das Vertrauen in die Politik steigen, wenn die Parteien wieder unterscheidbar würden, meint der Linke-Politiker Gysi. Er wünscht sich deshalb, dass die Union nach der Bundestagswahl in die Opposition geschickt wird, um wieder konservativer zu werden, während die SPD unter Druck von links wieder Sozialpolitik betreibt. Ein offenes Plädoyer für ein Rot-Grün-Rotes Bündnis. Nach Meinung von Gysi wurde der Niedriglohnsektor in Deutschland nach der Agenda 2010 dermaßen ausgeweitet, dass er inzwischen als der größte in Europa gilt. Ein weiterer Grund für den Erfolg der AfD. Denn die Abgehängten sind anfälliger für populistische Gedanken.

Das erklärt auch den Zuspruch für Donald Trump. "Trump signalisiert seinen Anhängern: Ich mache das für Euch. Das strahlt er auch aus. Das hat Anziehungskraft", sagt Gregor Gysi.

Schwacher Trost

Werden die USA den Stresstest bestehen? Die Amerikanerin Melinda Crane ist sich nicht sicher. Sie sieht in dem Republikaner eine echte Bedrohung für ihr Land und für die Welt. Schlimmstenfalls werde er des Amtes enthoben, das sei ihr letzter Trost.

V. l.: Gregor Gysi, Elisabeth Niejahr von der "Zeit", Bukard Göpfert von Baker & McKenzie, Melinda Crane, Udo Di Fabio und Katrin Vernau vom WDRBild: DW/Danhong Zhang

Und wenn Le Pen zur Präsidentin Frankreichs gewählt würde, dann sei die EU mausetot, gibt sich Gysi fast resigniert.

Fazit: Im Vergleich zu anderen Ländern in Europa und zum großen Bruder jenseits des Atlantiks wirkt Deutschlands Sorge mit der AfD fast wie ein Luxusproblem.