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Angela Merkel und ihr Erbe für Frauen

Oxana Evdokimova | Janina Semenova
25. September 2021

Angela Merkel hat es mit den Alpha-Männern der Weltpolitik aufgenommen. Doch Deutschlands erste Kanzlerin hat sich mit Gleichstellungspolitik lange schwergetan. Warum?

Angela Merkel: Her legacy for women

25:59

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"Wer hätte gedacht, dass das höchste Regierungsamt schon in diesem Jahr einer Frau übertragen wird?", fragt Angela Merkel 2005. Das war kurz, nachdem sie die erste deutsche Bundeskanzlerin geworden war. Jetzt - fast 16 Jahre Kanzlerinnenschaft später - gibt es eine ganze Generation im Land, die niemand anderen an der Spitze kennt als eine Frau: Angela Merkel. "Es soll sogar schon Fragen geben, ob es auch ein Mann werden darf," witzelt die Kanzlerin 2018, als Deutschland "100 Jahre Frauenwahlrecht" feiert, und sorgt damit für Lacher im Publikum.

Angela Merkel, eine Frau, aus der ehemaligen DDR stammend, Pastorentochter, Physikerin. Ihr Vorbild: Naturwissenschaftlerin Marie Curie, die einzige Frau, die zweimal einen Nobelpreis erhielt - eine Pionierin. Später wird Merkel erste Regierungschefin Deutschlands und eine der mächtigsten Frauen der Welt. Auf ihrem Weg an die Macht wird Merkel oft unterschätzt, auch in ihrer eigenen Partei. In der konservativen CDU sei die kinderlose, geschiedene Frau aus Ostdeutschland ein "Fremdkörper", wie es Merkel-Biografin Jacqueline Boysen beschreibt.

Ein Machtspiel Putins: Merkel hat Angst vor HundenBild: picture-alliance/dpa/S. Chirikov

Merkel und die Machtspiele der Männer

An die Machtspiele der Alpha-Männer in der internationalen Politik muss sie sich erst gewöhnen: Silvio Berlusconi lässt sie warten, Wladimir Putin bringt Hunde zu einem Treffen, obwohl er weiß, dass Merkel Angst vor ihnen hat und George W. Bush gibt ihr ungefragt eine Nackenmassage. Später wird Merkel für ihren subtilen Umgang mit Sexismus und Mansplaining von Frauen weltweit bewundert. Ihr Augenrollen während eines Gesprächs mit dem russischen Präsidenten beim G20-Gipfel 2017 ist legendär.

"Sie hat gelernt, sich in einem männlichen Umfeld zu behaupten, vielleicht auch manchmal, die Position der Frau ein bisschen auszuspielen. Aber sie hat sich nie zur wirklichen Frauen-Kämpferin gemacht," sagt Merkel-Biografin Jacqueline Boysen.

2005 wird Angela Merkel als erste Bundeskanzlerin vereidigtBild: Guido Bergman/picture-alliance dpa

Merkel, die auch mal Frauenministerin war, hat sich als Kanzlerin mit Gleichstellungspolitik lange schwer getan. "Weil sie auch von Männern gewählt werden wollte", sagt Jacqueline Boysen. Sie fremdelt lange damit, sich als Feministin zu bezeichnen. Eine Frauenquote für Unternehmen lehnt Merkel jahrelang ab. Sie will keinen staatlichen Eingriff und hofft, dass Unternehmen von sich aus mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Diese Hoffnung wird enttäuscht, gesteht Merkel 2021: "Also das hätte ich mir 1990, als ich in die Politik ging alles einfacher vorgestellt, muss ich ganz ehrlich sagen."

Merkel unter Männern beim G8-Gipfel in Deutschland 2007 Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Taktik versus Gleichstellungspolitik

Hinter alldem steckt eine Taktik: Um an der Macht zu bleiben, braucht Merkel die Unterstützung ihrer Partei. Doch die Konservativen waren oft meilenweit entfernt von einer feministischen Agenda. Für Merkel, aufgewachsen in der DDR, ist es nicht ungewohnt, dass Frauen gleichzeitig Mütter sind und arbeiten gehen. In ihrer Partei ist allerdings über Jahrzehnte ein konservatives Familienbild vorherrschend: Der Mann arbeitet und verdient das Geld, während die Frau mit den Kindern zu Hause bleibt.

Doch zusammen mit den Koalitionspartnern werden während Merkels fast sechzehnjähriger Regierungszeit neue Gesetze verabschiedet, die zu einem modernen Familienbild beitragen sollen: Elternzeit und Elterngeld werden eingeführt, Kinderbetreuungsplätze werden landesweit ausgebaut und eine neue Regelung soll jungen Müttern den Wiedereinstieg in den Beruf vereinfachen.

Merkel beim Girls' Day, der junge Frauen motivieren soll, technische Berufe zu ergreifenBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Aber mit Erfolg? Zwar wurden Milliarden in Kita-Plätze investiert, doch es fehlen immer noch Hunderttausende davon für Kleinkinder. Und es sind immer noch meistens Frauen, die ihre Karriere hintenanstellen und sich um die Familie kümmern. Fast die Hälfte der Frauen in Deutschland arbeitet in Teilzeit. Mittlerweile nehmen mehr Männer Elternzeit, doch viel weniger und kürzer als Frauen.

Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner beschreibt Merkel als "keine große Verfechterin von Frauenrechten" und sagt im DW-Interview, dass die erste Kanzlerin mit so viel Macht und Einfluss mehr hätte tun können und müssen: "Bei der wirksamen Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen durch die Finanzierung von Frauenhäusern, im Kampf gegen die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern in Deutschland, Frauen in Aufsichtsräten und eine effektivere Bekämpfung von Familienarmut."

Zwei Frauen, die Merkel gefördert hat: Annegret Kramp-Karrenbauer und Ursula von der LeyenBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Weiblicheres Machtzentrum

Gleichzeitig schaffen es unter Merkel mehr Frauen in hohe Ämter und Funktionen. Das Verteidigungsministerium wird in den vergangenen Jahren mehrfach mit Frauen besetzt und auch die engsten Beraterinnen von Merkel sind weiblich. Im Kanzleramt gibt es vier Staatsministerinnen. Eine davon ist CSU-Politikerin Dorothee Bär, die über ihre Chefin sagt: "Sie hat sich sicher nicht jeden Tag zu Frauenthemen und zu Frauenrechten gemeldet. Aber wenn sie es getan hat, dann hatte das tatsächlich auch immer Widerhall."

Bei ihren Auslandsreisen hat Merkel immer wieder Frauen- und Mädchenrechte thematisiert: In Niger besucht sie ein Frauenhaus, in Südkorea muntert sie Studentinnen dazu auf, in die Politik zu gehen. Doch ist das mehr als nur Symbolpolitik? Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner sagt dazu: "Ich habe nicht wirklich gesehen, dass sie sich bei der UN oder auf EU-Ebene oder in Deutschland für die Gleichstellung der Geschlechter eingesetzt hat."

Trotz oder wegen Merkel?

Aber Merkels Vermächtnis für Frauen ist, da sind sich Experten einig, vielschichtig. Vieles mag sich (unter anderem) wegen Merkel verändert haben - wie die Familienpolitik. Anderes hat sich vielleicht eher trotz Merkel verändert - die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt, zum Beispiel bei der Sicht auf die Rechte von LGBTQ, beispielsweise die "Ehe für alle". Auch Deutschland hat - wie so viele andere Länder weltweit - noch keine vollständige Gleichberechtigung erreicht.

Die erste deutsche Kanzlerin - ein Vorbild für viele FrauenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Merkels wahrscheinlich größtes Erbe ist die Selbstverständlichkeit, dass eine Frau es schaffen kann, das Land zu führen - und das durch so viele Krisen. "Niemand lacht mehr ein Mädchen heute aus, wenn es sagt, dass es später einmal eine Ministerin oder sogar Bundeskanzlerin werden will", sagt Merkel 2018. Sie ist heute ein Vorbild für Frauen auf der ganzen Welt.

Zum Ende ihrer Regierungszeit wirkt Angela Merkel freier und macht sich offener für Frauen stark. Sie muss keine Wahl mehr gewinnen. Kurz vor dem Ende ihrer Regierungszeit erklärt sie sich öffentlich zur Feministin - damit hatte sie früher noch gehadert. "Wir sollten alle Feministen sein."

Janina Semenova DW-Korrespondentin in Riga@janinasem
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