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Was hat COVID-19 mit dem Neandertaler zu tun?

Gudrun Heise
2. Oktober 2020

Viele Menschen haben etwas Neandertaler in sich, einige sogar eine Genvariante, die zu einem schweren COVID-19-Verlauf führen kann, so eine Studie. Haben die Erkenntnisse Einfluss auf die Therapie?

Neandertaler
Bild: picture alliance/dpa/F.Gambarini

Nicht nur in der Fachwelt hat die Studie für großes Interesse gesorgt: Zwei schwedische Forscher (Svante Pääbo und Hugo Zeberg) haben im Neandertaler ein Gen gefunden, das bei den Trägern ein bis zu dreimal höheres Risiko verursacht, schwer an   COVID-19 zu erkranken.

Stephan Schiffels vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte untersucht Populationsgeschichte und hält die Studie für sehr überzeugend.

"Es geht hier um eine Mutation in einem einzigen Gen, das die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs bei COVID-19 beeinflusst, sodass das Risiko dafür knapp zweimal so hoch ist, bei einer Erkrankung ins Krankenhaus zu müssen", sagt Schiffels. Dazu gehören im schlimmsten Fall dann auch Konsequenzen wie künstliche Beatmung. Warum die genetische Variante ein höheres Risiko für COVID-19-Infektionen bedeutet, ist bisher nicht bekannt.

Medizinischer Nutzen

Wer sich wichtige Erkenntnisse für die Therapie von COVID-19 aus dieser Studie erhofft, wird allerdings enttäuscht. Hier geht es um Grundlagenforschung. Schiffels sieht die Zielsetzung der Studie vor allem in der weiteren Erforschung des menschlichen Genoms.

"Die Studie versucht herauszufinden, wie sich das Neandertaler-Genom vom heutigen Menschen unterscheidet und an welchen Stellen wir das gleiche Genom geerbt haben. Ich sehe es als ein weiteres Puzzleteil in unserer Herkunft und in Fragen wie: Wo kommen wir her? Wie funktioniert menschliche Herkunft? Es ist eine abstrakte Erkenntnis, die zunächst einmal keinen direkten Nutzen hat, die aber über COVID-19 erstaunlich aktuellen Bezug bekommt."

Experten für die Neandertaler-Forschung

Verfasser der Studie sind Hugo Zeberg und Svante Pääbo vom Karolinska Institutet in Stockholm und vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Der Neurobiologe Hugo Zeberg hat bereits etliche Arbeiten zur Neandertaler-Forschung herausgegeben. Svante Pääbo gilt als Begründer der Paläogenetik.

Svante Pääbo hat das Neandertaler-Genom entschlüsseltBild: Körber-Stiftung/Friedrun Reinhold

2010 war es ihm und seinem Team gelungen, eine erste Version des Neandertaler-Genoms zu rekonstruieren. Grundlage waren Knochen, die Zehntausende Jahre alt sind. Er verglich Neandertaler Genome mit den Genomen heutiger Menschen. Eine Erkenntnis war, dass sich in uns zirka zwei Prozent Neandertaler-DNA befinden, und das hat die menschliche Evolution beeinflusst. 

So stärkte es beispielsweise unser Immunsystem, aber es trägt auch heute noch zur Anfälligkeit für etliche Krankheiten bei – der jüngsten Studie der beiden Schweden zufolge eben auch bei COVID-19. Die beiden Forscher haben herausgefunden, dass die Version des Genclusters, das mit diesem erhöhten Risiko verbunden ist, den entsprechenden DNA-Sequenzen eines etwa 50.000 Jahre alten Neandertalers aus Kroatien sehr ähnlich ist.

"Es ist auffällig, dass das genetische Erbe der Neandertaler während der aktuellen Pandemie so tragische Folgen hat. Warum das so ist, muss jetzt so schnell wie möglich untersucht werden", so Svante Pääbo in einer Pressemitteilung des Stockholmer Karolinska Instituts.

Große Unterschiede in der Verteilung

In verschiedenen Teilen der Welt kommt die genetische Risikovariante unterschiedlich oft vor. "Die Mutation des Gens, die der Neandertaler hatte und an uns vererbt hat, trägt in Europa etwa jeder zwölfte Mensch in sich. In Afrika hingegen ist sie so gut wie gar nicht vorhanden", erklärt Schiffels.

Warum die genetische Variante ein höheres Risiko für COVID-19-Infektionen bedeutet, ist bisher nicht bekannt.Bild: AFP/A. Chaon

Ein Hauptziel der Studie sei es vermutlich zu verstehen, dass eine bestimmte Mutation, die heutzutage etwas Schlechtes hervorruft, über einen bestimmten Weg in die Population gekommen ist, wie sich eine bestimmte Risikomutation über den Erdball verbreitet hat und warum.

"Wenn man Zusammenhänge zwischen Merkmalen findet, die beispielsweise die Größe eines Menschen beeinflussen oder eben eine Krankheit, dann findet man dafür oft genetischen Punkte", sagt Schiffels. "Aber das Warum kann man nicht unbedingt erklären."

Ein wichtiges Puzzleteil

Besondere Bedeutung kommt dem Gencluster auf dem Chromosom 3 zu, das die Forscher mit dem SARS-CoV-2-Virus in Verbindung bringen. Chromosome enthalten tausende von Genen. Und so galt es unter anderem herauszufinden, ob Patienten mit schwerem Verlauf tendenziell eine bestimmte Mutation öfter haben als das beim Populationsdurchschnitt zu erwarten gewesen wäre.

Bild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance

Wir alle tragen Millionen von Mutationen in uns. Mutation heißt hier lediglich, dass es sich um ein genetisches Merkmal handelt, das zwischen Menschen unterschiedlich ist. Diese Mutationen werden nicht einzeln vererbt, sondern gewissermaßen immer im Block vererbt. So funktioniert Vererbung. Und der Block, den die Forscher identifiziert haben, zeigt eine sehr große Ähnlichkeit zu Neandertalern auf.

"Und jetzt, mit SARS-CoV-2 merkt man plötzlich: Diese Mutation, die wir schon seit zehntausenden von Jahren in uns tragen, hat bislang nichts Schlimmes ausgelöst. Aber jetzt hat sie in dieser Krankheit COVID-19 diesen tragischen Effekt", gibt Schiffels zu Bedenken.

Die Studie kommt zu vielen interessanten Ergebnissen zu unserer Herkunft, zu unseren Vorfahren. Wir können viel über die menschliche Vergangenheit lernen, direkte klinische Auswirkungen auf COVID-19 aber hat sie nicht.

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