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Politik

Was hat die Türkei gegen Finnland und Schweden in der NATO?

13. Februar 2023

Beim Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock in den beiden Ländern soll es auch um deren angestrebten NATO-Beitritt gehen. Bislang blockiert die Türkei die Aufnahme. Was steckt dahinter?

Schwedische und türkische Nationalflaggen nebeneinander
Das Verhältnis der Türkei zu Schweden ist - anders als hier die Nationalflaggen der beiden Staaten - momentan alles andere als engBild: Henrik Montgomery/TT/picture alliance

Wenn Außenministerin Annalena Baerbock diesen Montag für Gespräche nach Finnland und einen Tag später nach Schweden reist, wird es neben den Hilfen für die Ukraine vor allem um ein Thema gehen: die angestrebte Aufnahme der beiden Länder in die NATO. Sowohl Schweden als auch Finnland hatten einen Beitritt in das militärische Verteidigungsbündnis nach Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 beantragt.

Eigentlich ist der historische Schritt der beiden traditionell militärisch neutralen Länder zur transatlantischen Allianz schon beschlossene Sache. Doch der Beitritt ist an die Zustimmung aller 30 Mitgliedsländer gebunden, zu der auch die Türkei gehört. Ankara hatte bislang die Aufnahme blockiert. So hat die Türkei zwar der Nord-Erweiterung zugestimmt, den Schritt aber bislang noch nicht ratifiziert. Vor allem gegenüber Schweden hegt sie seit langem einen Groll.

In Bezug auf Finnland zeigte sich das Land jüngst etwas offener: "Wenn notwendig, können wir eine andere Antwort in Bezug auf Finnland geben", erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor einigen Wochen. Doch woher kommt das angespannte Verhältnis zwischen der Türkei und den beiden Nordländern?

Kurdische Diaspora in Schweden

Die Beziehungen zwischen der Türkei und den beiden skandinavischen Ländern sind durch den Umgang mit von Ankara als "Terroristen" bezeichneten Gruppen belastet. Dabei handelt es sich vor allem um Mitglieder der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. 

Protest am 21. Januar vor dem schwedischen Konsulat in Istanbul. In Schweden hatte ein Rechtsextremist den Koran verbranntBild: Hakan Akgun/Demiroren Visual Media/ABACA/picture alliance

Die Türkei wirft Schweden und Finnland vor, "Zufluchtsort für Terroristen" zu sein. Sie sollen angeblich "rund 130 Terroristen" beherbergen, deren Auslieferung Erdogan fordert. Ankara habe Listen von mutmaßlichen Terroristen an Schweden und Finnland gegeben, heißt es aus der Türkei. Wie viele Auslieferungsanträge an Finnland, und wie viele an Schweden gestellt worden sind, wird dabei nicht konkretisiert.

Der deutlich größere Teil der angeblich 130 "Terroristen" dürfte aber Schweden zugeordnet sein. Denn von den Kurden, die aus politischen Gründen aus der Türkei flüchten, wählen viele Schweden als ihre neue Heimat. Bereits 2016 lebten Schätzungen zufolge etwa 85.000 Kurden in Schweden. In Finnland - auch insgesamt das Land mit der deutlich kleineren Bevölkerung - lebten 2021 laut nationalen Statistiken nur knapp 16.000 Kurden. 

Streit um Auslieferung von "Terroristen"

Regierungsnahe Medien der Türkei verbreiten ebenfalls immer wieder Zahlen, deren Richtigkeit nicht zu überprüfen ist. So berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Mitte Mai 2022, dass in den vergangenen fünf Jahren Ankara von Finnland die Auslieferung von sechs mutmaßlichen PKK-Anhängern und sechs mutmaßlichen Anhängern der Gülen-Bewegung beantragt habe. Von Schweden wiederum seien Auslieferungen von zehn mutmaßlichen Gülen-Anhängern und elf mutmaßlichen PKK-Mitgliedern geordert worden. 

Widerwilliger Handschlag: Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson und Recep Tayyip Erdogan bei einer Pressekonferenz im November 2022 in AnkaraBild: Henrik Montgomery/TT/picture alliance

Die Auslieferung des Journalisten Bülent Kenes, eines mutmaßlichen Mitgliedes der Gülen-Bewegung, brachte Erdogan bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson in der Türkei im November persönlich zur Sprache. Seine Auslieferung wurde kurz vor Jahresende von Schweden abgelehnt. Anfang Dezember 2022 jedoch hat Schweden ein mutmaßliches PKK-Mitglied ausgeliefert.

Weder Schweden noch Finnland haben offizielle Beziehungen zur PKK, sondern stufen sie wie die meisten westlichen Länder und die EU als Terrororganisation ein. Die Untergrundorganisation wurde im Zuge ihres Kampfes für die Rechte der Kurden in der Türkei auch immer wieder für blutige Anschläge verantwortlich gemacht. 

Druck aus Ankara

Auf Druck der Türkei hat sich Schweden mittlerweile auch von der bewaffneten kurdischen Miliz in Syrien YPG distanziert. Der schwedische Außenminister Tobias Billström sagte im November vergangenen Jahres, seine Regierung wolle die YPG und ihren politischen Arm PYD nicht länger unterstützen. Die beiden Organisationen gelten als eng mit der PKK verbunden.

Die Gülen-Bewegung dagegen - von der türkischen Regierung als Drahtzieherin des Putschversuchs von 2016 beschuldigt - gilt in Europa nicht als Terrororganisation.

Im Juni 2022 hatte die Türkei am Rande des NATO-Gipfels in Madrid mit Schweden und Finnland ein Memorandum unterzeichnet, in dem die drei Länder ihre Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung intensivieren wollten. Doch die Art der Bekämpfung ist in den drei Ländern unterschiedlich.

Türkei-Experte Paul Levin erklärt im Gespräch mit der ARD, die Terrorgesetzgebung in Schweden sei viel begrenzter als in der Türkei: "Es ist beispielsweise nicht konkret verboten, Mitglied einer Terrororganisation zu sein. Man muss beweisen, dass Terrorakte geplant oder ausgeführt wurden. Gleichermaßen ist die Gesetzgebung für Meinungsfreiheit sehr liberal. Das bedeutet letztlich, dass die schwedische Polizei zum Beispiel keine PKK-Anhänger stoppen kann, wenn diese auf schwedischen Marktplätzen PKK-Fahnen schwingen." Das werde von türkischer Seite als Tolerierung der PKK gesehen, führt der Direktor des Instituts für Türkeistudien an der Universität Stockholm aus.

"Nur eine Geisel in diesem Drama"

So sagte Erdogan vor kurzem: "Wir sehen häufig die Veranstaltungen der PKK auf den Straßen dieser Länder und warnen die Regierungen. Bisher haben sie diese Proteste trotz unserer Warnungen nicht verhindert. Sie glauben, dass die Türkei die alte wäre. Nein. Wenn sie gegen solche Gruppen nicht vorgehen, wird unsere Beziehung zu Schweden noch angespannter."

Das Zitat deutet bereits an, dass es der Türkei eigentlich mehr um Schweden geht als um Finnland. Laut Experte Levin sei Finnland "im Prinzip nur eine Geisel in diesem Drama, das sich eher um die schwedisch-türkischen Beziehungen dreht".

Auch Türkei-Expertin Hürcan Aslı Aksoy von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erklärt gegenüber der DW, dass Schweden aufgrund der größeren kurdischen Diaspora das hauptsächliche Feindbild für die Türkei sei. Ein solches zu erwählen, sei angesichts der bevorstehenden Wahlen in der Türkei eine Taktik des amtierenden Präsidenten: "Erdogan versucht, vor den Wahlen am 14. Mai seine konservative und nationalistische Basis zu stärken."

Nachdem im Januar in Schweden ein Rechtsextremist ein Exemplar des Korans vor der türkischen Botschaft in Stockholm verbrannte, hat Ankara laut Aksoy den Ärger der Türkei über Schweden noch weiter angefacht. Für Erdogan sei dies ein Grund mehr, den NATO-Beitritt des Landes weiter zu blockieren.

Wie es nun vor allem für Finnland weitergeht, ist unklar: Die finnische Regierung hatte zuletzt angedeutet, auch ohne Schweden den NATO-Beitritt zu vollziehen. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte vor einigen Tagen, Ziel der Bundesregierung bleibe jedoch, dass Finnland und Schweden "zeitnah und gemeinsam" aufgenommen würden.

Dies ist eine aktualisierte Fassung vom 31. Januar 2023. 

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