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Was hilft gegen Desinformationskampagnen?

11. Juni 2021

Virale Falschbehauptungen, durch Bots befeuerte Shitstorms, gefälschte Fotos - Desinformationskampagnen greifen Demokratie und liberale Gesellschaft an. Dabei kann man sich durchaus wehren. Ingo Mannteufel erklärt, wie.

Desinformation kann Emotionen schüren: Ein Trump-Anhänger zeigt seinen Ärger über MedienvertreterBild: Robin Rayne/ZUMAPRESS/picture alliance

Wenn Sie diesen Artikel in einem Land lesen, in dem der Staat Informationen kontrolliert oder sogar die DW zensiert, dann gratuliere ich Ihnen: zum Mut und der geglückten Umgehung der Zensur. Uns eint die Überzeugung, dass wir uns nur durch vielfältige Informationen aus unterschiedlichen Quellen ein besseres Bild von der Welt machen können. Sie umgehen die Informationskontrolle, um sich frei eine eigene Meinung zu bilden. 

Doch auch in freien Medienmärkten lauern Bedrohungen für und durch Information: Dort wird durch bewusste Überproduktion Information gezielt inflationiert und somit ihr qualitativer Wert gemindert. Informationsfreiheit und Medienvielfalt werden auf diese Weise ausgenutzt, um Menschen in freien Mediensystemen zu verunsichern. Wichtige gesellschaftliche Diskussionen oder demokratische Prozesse wie Wahlen können dadurch unterminiert werden. Es handelt sich dabei um "Desinformationskampagnen", also um die konzentrierte Verbreitung von Falschinformationen mit der Absicht, ein politisches Ziel zu erreichen.

Warum Desinformation nicht neu ist

Einen politischen Gegner mit einer geschickten Fehlinformation in die Irre zu führen, ist nichts Neues: Schon vor 2500 Jahren soll der griechische Stadtstaat Athen den persischen König Xerxes mit einer geschickten Desinformation über die eigene Schwäche in die Schlacht von Salamis gelockt und ihn so vernichtend geschlagen haben. Das Problem, richtige von falscher Information zu unterscheiden, ist also nicht neu.

Ingo Mannteufel ist Experte für Cybersicherheit und Desinformation in der DW.Bild: DW

Doch die digitale Revolution führt zu einem Vorzeichenwechsel: Aus einem prinzipiell vorherrschenden Mangel von (richtiger oder falscher) Information ist ein Überfluss an Kommunikations- und Informationssignalen entstanden. Noch bis vor wenigen Jahren litt der Mensch unter Informationsknappheit, hatte immer zu wenig Wissen über sich, die Natur und seine Mitmenschen. Heute stehen uns binnen Sekundenbruchteilen riesige Datenmengen aus unzähligen Informationsquellen zur Verfügung - und das nahezu von überall auf der Welt. Der Nutzen ist offensichtlich: Ein besseres Begreifen der Realität sichert Überleben, begrenzt Gefahren und schafft neue Möglichkeiten.

Lesen Sie mehr: Warum glauben Menschen Falschnachrichten?

Deshalb sind Menschen interessiert an mehr Information - oft zum Leidwesen von religiösen, politischen oder wirtschaftlichen Autoritäten. Dies kann deren Macht gefährden. Genau deshalb ersannen autoritäre oder totalitäre Systeme das Prinzip der Zensur zur Unterdrückung unliebsamer Information. Mit einer kontrollierten Verknappung der Information sollte der Blick auf die Welt manipuliert werden. Deshalb gehört bis heute in vielen Diktaturen Zensur zum Instrumentenkasten, um Informationen zu kontrollieren. 

Wie moderne Desinformationskampagnen funktionieren

In freien Kommunikationsräumen ist dies nicht mehr so einfach: Digitale Technologien wie Smartphones, Internet und "Soziale Medien" haben die Information demokratisiert, also grundsätzlichen allen zugänglich gemacht. Soziale und politische Bewegungen verbreiten sich nahezu live durch Tausende Fotos, Videos, Texte. Jeder kann dabei sein. Dazu kommen Kurznachrichten von Freunden, Verkehrsinformationen, Restaurantbewertungen, Fitness-Infos und unendlich viel mehr. Die vielen Signale verdichten sich für den Einzelnen zu einem Informationslärm. Die wirklich wichtigen und relevanten Informationen zu identifizieren wird zunehmend schwieriger.

Der Begriff "Fake News" wird von beiden Seiten genutzt: Aufklärern und DesinformatorenBild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Und darauf setzen moderne Desinformationskampagnen. Sie wollen die Erkenntnisse über die Wirklichkeit mit einer gezielten Überlastung des Informationsraumes verzerren, die Nutzer verunsichern. Ob die Information wahr oder unwahr ist, ist dabei nicht so wichtig. Manche Kampagnen zielen darauf ab, alternative Deutungen der Wirklichkeit zu verbreiten, manche wollen bewusst täuschen und wieder andere haben lediglich das Ziel, zu verwirren und Vertrauen in Medien und politische Akteure zu zerstören. So ist es auch nicht mehr verwunderlich, dass manche Desinformationskampagnen sogar sich widersprechende Informationen beinhalten. Entscheidend ist, Staub aufzuwirbeln, der den Blick auf verlässliche Informationen und Fakten vernebelt. 

Warum Desinformation eine Gefahr für die Demokratie ist

Desinformation greift damit auch die Grundpfeiler der Demokratie an. Meinungsbildungsprozesse werden durch falsche Botschaften manipuliert, Kandidaten vor Wahlen mit Fakes diskreditiert und das Vertrauen in zentrale demokratische Prozesse wie die Briefwahl untergraben. Dem demokratischen Staat sind dabei oft die Hände gebunden: Freie Mediensysteme dürfen aufgrund der sie konstituierenden Meinungsfreiheit die Inhalte nur in sehr engen rechtlichen Grenzen regulieren. Ein Rechtsstaat kann und muss jedoch die Plattformen der "Sozialen Medien" mit ihren aufmerksamkeitszentrierten Algorithmen regulieren. Er kann und muss bösartige Akteure sanktionieren und ein Bewusstsein schaffen, wie durch Bots und andere nicht-authentische Aktionen auf Social-Media Meinungsbilder verzerrt werden können. 

Aber der Rechtsstaat kann nicht die Vielfalt an Inhalten als solches einschränken. Jedes Wissen ist nach dem Verständnis der Aufklärung immer nur Wissen auf Zeit. Ein staatlich reguliertes Wahrheitsmonopol über Information würde unweigerlich in eine totalitäre Gesellschaft führen. Diesen Umstand nutzen Verbreiter von Desinformation, manche verkaufen ihre Informationen gar als "alternative Fakten" in einem angeblich gleichgeschalteten und regierungstreuen Medienmarkt.

Wie Sie sich gegen Desinformation wehren können 

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass der Informationslärm in freien Mediensystem nicht mehr verschwinden wird. Die neue Art der Desinformation ist ein unweigerlicher Teil davon geworden - für immer. Ein freiheitlicher Staat kann (richtige, falsche oder überspitzte) Inhalte nur sehr schwer regulieren. Zensur wäre die Folge.

Gemeinsam ist besser: Wer sich mit anderen austauscht, kann Manipulation und Desinformation schneller erkennenBild: picture-alliance/AP Photo/D. Goldman

Aber was der Staat nicht kann, können Sie als Einzelner eigenverantwortlich selbst tun: Sie können den Informationslärm für sich bewusst begrenzen. Machen Sie sich klar, welche Themen und Interessen für Sie persönlich relevant sind. Stellen Sie sich eine eigene Sammlung an wenigen zuverlässigen und sorgfältig ausgewählten Medienangeboten zusammen. Achten Sie dabei auf eine gewisse Vielfalt aus dem politischen Spektrum und auf die Seriosität der Anbieter. Jene, die transparent die Quellen ihrer Informationen nennen, mehrere Stimmen unterschiedlicher Seiten zu Wort kommen lassen und deren Informationen sich auch im Nachhinein als verlässlich erwiesen haben, kann man Vertrauen schenken.

Das gleiche gilt auch für die sozialen Medien: Machen Sie sich bewusst, welchen Personen oder Quellen Sie Beachtung schenken. Es sollten zudem echte Accounts sein, mit authentischen Personen oder Institutionen dahinter. Und nicht jeder virale, von Freunden geteilte Inhalt ist echt. Faktenchecks haben bereits unzählige gefälschte Bilder, manipulierte Videos oder frei erfundene Zitate entlarvt. Hinterfragen Sie spektakuläre, Emotionen schürende Posts und Tweets. Blenden Sie unseriöse Accounts aus. Und tauschen Sie sich mit anderen aus bzw. lesen Sie die Kommentare anderer - vielleicht wurde ein scheinbar skandalöser Post längst von anderen Nutzern als Fake enttarnt. Mit diesen Entscheidungen verstummt nicht nur der Informationslärm. Sie entziehen den Desinformatoren Ihre Aufmerksamkeit und Desinformationskampagnen die virale Macht.

Ingo Mannteufel ist DW-Experte für Cybersecurity und zu Desinformation.

Fake News als Geschäftsmodell

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