Was Israels "Sicherheitszone" den Menschen in Gaza aufbürdet
16. April 2025
Israel hat seine Kontrolle über Gaza weiter verstärkt. Die 2,3 Millionen Einwohner müssen auf immer engerem Raum ausharren, während die Militäroffensive in dem kleinen Küstenstreifen weitergeht.
Am Samstag erklärte Israels Verteidigungsminister Israel Katz, dass die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) große Teile des Gebiets im südlichen Gazastreifen übernommen haben.
"Die IDF haben nun die Übernahme des Morag-Korridors, der den Gazastreifen zwischen Rafah und Chan Junis durchquert, abgeschlossen. Dadurch wird das gesamte Gebiet zwischen dem Philadelphi-Korridor und dem Morag-Korridor Teil der israelischen Sicherheitszone", sagte Katz in einer Erklärung (siehe Karte).
Als Philadelphi-Korridor bezeichnen die IDF eine 14 Kilometer lange Sicherheitszone zwischen Gaza und der ägyptischen Grenze. Der neu geschaffene Morag-Korridor erstreckt sich etwa zwölf Kilometer von Osten nach Westen und schneidet Rafah vom benachbarten Chan Junis und den Rest von Gaza vom Grenzübergang mit Ägypten ab.
In einem Beitrag auf X fügte der Minister hinzu, dass "der Gazastreifen kleiner und isolierter wird und immer mehr Bewohner gezwungen sein werden, die Kampfgebiete zu evakuieren". Katz forderte die Palästinenser auf, die "Hamas zu entmachten", um "den Krieg zu beenden".
Die Hamas regiert seit 2007 in Gaza. Die islamistische Organisation wird vom Iran unterstützt und von vielen Ländern als Terrorgruppe eingestuft.
Die israelische Regierung hat immer wieder betont, die Militäroffensive als Druckmittel gegen die Hamas zu nutzen. Mit einer Politik der "maximalen Stärke" wolle man erreichen, dass die verbleibenden 59 israelischen Geiseln - von denen noch 24 am Leben sein sollen - freigelassen und die Hamas einen neuen Deal akzeptieren würde.
Zivilbevölkerung zahlt den Preis
Vor dem Krieg lebten rund 200.000 Menschen an der südlichsten Spitze des Gazastreifens in Rafah und Umgebung. Rafah ist auch die Heimatstadt von Abdul Rahman Abu Taha. Er war kurz nach Beginn der Feuerpause im Januar zurückgekehrt.
Nur ein kleiner Teil des Hauses sei nicht zerstört gewesen, erzählt er am Telefon. Die Familie blieb trotzdem in der Ruine. Anfang April, Tage nach Beginn der neuen israelischen Offensive, erteilte die Armee neue Räumungsbefehle, und die Familie musste erneut fliehen.
"Rafah ist fast vollständig zerstört. Es gibt nur noch sehr wenige Häuser, die in irgendeiner Form nicht beschädigt sind. Die Straßen liegen in Trümmern und müssten wieder aufgebaut werden", sagt Abu Taha, der jetzt wieder in einem Zelt in Chan Junis lebt. "Jetzt werden sie wohl ihre Mission Ende bringen und das zerstören, was noch übrig ist."
"Das Blutvergießen hält an"
Nachdem die erste Phase des Waffenstillstands im Gazastreifen Anfang März endete, stoppte die israelische Regierung alle Lieferungen von kommerziellen und humanitären Gütern nach Gaza. Die Vereinten Nationen warntenam Montag, dass "die humanitäre Lage jetzt wahrscheinlich die schlimmste ist, die es in den 18 Monaten seit dem Ausbruch der Feindseligkeiten gab".
"Gerade als wir dachten, der Krieg sei vorbei, ist er mit voller Wucht zurückgekehrt. Das Blutvergießen hält an, 24 Stunden am Tag", sagt Abu Taha. "Es herrscht noch mehr Chaos. Die Sicherheitslage beginnt, sich zu verschlechtern. Es ist ein beängstigendes Gefühl."
Der 51-jährige Palästinenser ist besorgt darüber, dass seine Heimatstadt nun offenbar Teil einer "Sicherheitszone" geworden ist. Für ihn ist es unvorstellbar, dass er vielleicht nicht mehr nach Hause zurückkehren kann.
Noch hofft Abu Taha, dass Israel "das jetzt tut, um die Leute einzuschüchtern und politischen Druck auszuüben". Das Problem sei jedoch, dass "die gesamte Zukunft des Gazastreifens nicht mehr klar ist", sagt er.
Israels Armee kontrolliert mit Hilfe von Checkpoints die Bewegungen zwischen den Sicherheitskorridoren oder riegelt die Gebiete ab. Der neu geschaffene Morag-Korridor ist nach einer ehemaligen israelischen Siedlung benannt, die 2005 aufgelöst wurde, ebenso wie der Netzarim-Korridor im Zentrum des Gazastreifens (siehe Karte).
Für den Bau des Korridors wurden nach Medienberichten hunderte Häuser zerstört, um Platz für eine mehrere Kilometer breite Pufferzone zu machen, die mit mehreren Militärstützpunkten und einer umfassenden Überwachungsanlage ausgestattet ist.
Permanente militärische Kontrolle?
Die ultrarechte Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bisher keine konkreten Pläne für die Zeit nach dem Gaza-Krieg bekannt gegeben. Er spricht vor allem von einer Strategie des "maximalen Drucks” auf die Hamas.
Menschenrechtsgruppen sagen jedoch, dass die israelische Regierung den Grundstein für eine langfristige und permanente militärische Kontrolle zu legen scheint, indem sie den Gazastreifen durch Korridore in verschiedene Zonen aufteilt und eine bestehende Pufferzone entlang der Grenze zu Israel massiv ausweitet.
Verteidigungsminister Katz sagte am Mittwoch, dass sich die Armee nicht mehr zwangläufig aus bestimmten Gebieten zurückziehen werde, und fügte hinzu: "Bisher wurden hunderttausende Einwohner evakuiert und dutzende Prozent des Territoriums wurden den Sicherheitszonen hinzugefügt."
Erneute Vertreibung der Bevölkerung
Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) schätztdie Zahl der durch die jüngste Offensive erneut vertriebenen Menschen auf 400.000.
Während der Feuerpause konnten Hunderttausende vertriebene Palästinenser aus dem Süden in den Norden zurückkehren. Nun aber werden viele erneut von der israelischen Armee aufgefordert, weiter nach Westen zu ziehen.
UN-Generalsekretär António Guterres schrieb auf X: "Fast 70 Prozent des Gazastreifens stehen jetzt unter israelischem Vertreibungsbefehl oder sind als 'No-Go'-Zonen ausgewiesen. Ich bin sehr besorgt, dass die Hilfe weiterhin blockiert wird, mit verheerenden Folgen".
Das israelische Militär hat seinerseits wiederholt behauptet, die "Evakuierungen" dienten dazu, die Zivilbevölkerung aus der Gefahrenzone herauszuhalten. Einige der Evakuierungen betrafen auch Gebiete, aus denen militante Palästinenser Raketen auf Israel abgefeuert hatten.
Verteidigungsminister Katz bekräftigte am Wochenende, dass Israel die "freiwillige Ausreise" in andere Länder für "alle, die dies wünschen", ermöglichen werde. Damit bezog er sich auf den umstrittenen "Umsiedlungsplan" von US-Präsident Donald Trump für die Bewohner des Gazastreifens - ein Plan, der nach Ansicht der Vereinten Nationen einer Zwangsumsiedlung gleichkommt.
Erweiterte Pufferzone zerstört Dörfer und Ackerland
Die Organisation "Breaking the Silence", die Zeugenaussagen ehemaliger IDF-Soldaten in den besetzten palästinensischen Gebieten sammelt, erklärte am Mittwoch (16.4.) auf X: "Sie nennen es eine "Pufferzone" für die Sicherheit. Aber diese Sicherheitszone umfasst bereits 36 Prozent des gesamten Gazastreifens. Dies zu einer dauerhaften Einrichtung zu machen, bedeutet nur eines: ethnische Säuberung in großem Stil. Es ging nie um Sicherheit - es geht um Kontrolle. Vertreibung und Zerstörung schaffen keine Sicherheit."
Die Organisation veröffentlichte vergangene Woche einen Bericht, in dem sie die systematische Zerstörung von Häusern, Infrastruktur und Ackerland in der Pufferzone beschreibt. Dem Bericht zufolge ist das Gebiet für Palästinenser nun weitgehend tabu.
"Wir haben dort alles zerstört: landwirtschaftliche Felder, Friedhöfe, Industriegebiete, Häuser, natürlich. In der IDF geht man davon aus, dass wir dadurch mehr Sicherheit erhalten. Und warum? Weil wir dann sehen können, wenn sich die Hamas oder der Islamische Dschihad nähern", sagte Nadav Weiman, Leiter von Breaking the Silence.
Ein großer Teil des Gebietes, das jetzt Teil der Pufferzone ist, wurde vorher landwirtschaftlich genutzt. Dies wirft Fragen über die langfristigen Auswirkungen auf - etwa, ob Gaza jemals wieder in der Lage sein wird, einen Teil seiner Nahrungsmittel selbst zu produzieren.
"Es gibt kein Entkommen"
Unter heftigen Beschuss verließ Lamia Bahtiti vergangene Woche Schedschaija, ihr Wohnviertel im Osten von Gaza-Stadt. "Alle Gebiete in der Nähe der Grenze - im Norden, Süden und Osten - wurden eingenommen und stehen unter Artilleriebeschuss. Alle Gebiete innerhalb des Gazastreifens werden aus der Luft bombardiert. Es gibt kein Entkommen", sagte die 43-Jährige der DW per Telefon aus dem Westen von Gaza-Stadt, wo die Familie jetzt bei Verwandten untergekommen ist.
Der tägliche Kampf, ihre Familie zu versorgen, wird immer schwieriger. "Es gibt keine Reinigungsmittel auf dem Markt, kaum sauberes Trinkwasser, nicht genügend Lebensmittel, kein Kochgas, und die Gesundheitsversorgung ist katastrophal", sagt sie. "Gaza ist nicht mehr das Gaza, das es einmal war. Wir versuchen zu überleben, um unserer Kinder willen und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft."