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Politik

Was ist ein Gefangenenaustausch?

18. Mai 2022

Die Verteidiger des Asow-Stahlwerks im ukrainischen Mariupol befinden sich in russischer Gefangenschaft, die Ukraine hofft auf einen Gefangenenaustausch. Doch was genau versteht man darunter?

Ukraine-Krieg | Angriffe auf Stahlwerk Asowstal
Das Asow-Stahlwerk in Mariupol: Dürfen die ukrainischen Soldaten wieder freikommen?Bild: Alexei Alexandrov/AP/picture alliance

Für hunderte ukrainische Soldaten ist die Zukunft äußerst ungewiss: Am späten Montagabend verließen sie das Asow-Stahlwerk in Mariupol, mehr als 50 von ihnen schwer verletzt. Sie wurden in ein Dorf bei Donezk gebracht - ein Gefangenenlager, das von ukrainischen Offiziellen auch schon als Konzentrationslager bezeichnet wurde. Sie sollen nach dem Willen der Ukraine in einem Gefangenenaustausch wieder freikommen. Die Ukraine bräuchte ihre Helden lebend, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Eine Einigung scheint jedoch noch in weiter Ferne: Der Chef des russischen Parlaments, Wjatscheslaw Wolodin, hat sich schon gegen einen generellen Austausch ausgesprochen. Russland tue jedoch alles, um die ukrainischen Gefangenen medizinisch zu versorgen und human zu behandeln, hieß es weiter. Bislang hatten die Soldaten es abgelehnt, sich in russische Gefangenschaft zu begeben - zu groß ist die Angst vor Folter oder Tod. 

Wer Kriegsgefangener ist, ist klar definiert - doch die Praxis sieht anders aus 

Sollte ein Austausch dennoch funktionieren, wäre es nicht der erste, seit Russland Krieg gegen die Ukraine führt. So wurden zum Beispiel Ende März dieses Jahres zehn russische Soldaten gegen zehn ukrainische Soldaten ausgetauscht, Anfang Mai wurden nach russischen Angaben 41 Ukrainer frei gelassen. Seit Kriegsbeginn in der Ostukraine 2014 wurden zwischen der ukrainischen Regierung und Vertretern der separatistischen Gebiete hunderte Gefangene ausgetauscht. Damals sprach Putin von einem "einem guten Schritt nach vorne, in Richtung Normalisierung".

Schon seit Jahrhunderten beschäftigen sich Menschen mit der Frage, wie mit Soldaten in Gefangenschaft umzugehen ist. Der Begriff Kriegsgefangener wird in den Genfer Konventionen behandelt, ein Teil des humanitären Völkerrechts. Die erste Konvention wurde bereits 1864 aufgesetzt, eine weitere 1929 beschlossen. 1949 wurden beide Konventionen - auch vor dem Hintergrund der Gräuel des Zweiten Weltkriegs - überarbeitet. Sie sind bis heute gültig. Unmenschliche und entwürdigende Behandlungen sind demnach verboten.

Der ukrainische Politiker Ivan Fedorov kam im April bei einem Gefangenenaustausch frei Bild: Bart Maat/ANP/picture alliance

Doch was genau sind eigentlich Kriegsgefangene? Um als Kriegsgefangener zu gelten, muss sich die betroffene Person an einem Konflikt beteiligt haben oder Mitglied einer militärischen Befehlsstruktur sein. Soweit die Theorie. In der Praxis sind jedoch auch Menschen in Gefangenschaft, auf die diese Definition nicht zutrifft.

So waren bei einem Austausch 2017 zwischen der Ukraine und prorussischen Rebellen in den von Separatisten kontrollierten Gebieten im Osten des Landes auch ein Blogger aus Luhansk und zwei Fußballfans des Vereins Sorja Luhansk dabei. Die Fußballfans waren wegen einer verbrannten russischen Flagge im Gefängnis gelandet, der Blogger wegen Hochverrats von den Separatisten verurteilt worden.

Eins zu eins - oder viel mehr?

Bei einem Gefangenenaustausch wird meist eins zu eins getauscht - also zwei Soldaten gegen zwei Soldaten. Doch auch hier gilt, dass es oftmals Ausnahmen gibt. So hatten sich Kiew und die Rebellen bei dem Austausch 2017 unter Vermittlung orthodoxer Geistlicher aus der Ukraine und Russland geeinigt, 306 prorussische Separatisten gegen 74 ukrainische Soldaten und Patrioten auszutauschen. Am Ende saßen in dem Bus gen Rebellengebiet deutlich weniger, weil einige die Haftstrafe wohl schon abgesessen hatten oder doch nicht mehr dorthin wollten.

Gefangenenaustausch im Jemen: Saudische Soldaten bewachen einen Kleinbus mit jemenitischen Huthi-GefangenenBild: Hani Al-Ansi/dpa/picture-alliance

Ein anderes, sehr prominentes Beispiel: Als der US-Feldwebel Bowe Bergdahl 2014 nach fünfjähriger Gefangenschaft in Afghanistan ausgetauscht wurde, kamen im Gegenzug fünf hochrangige Guantanamo-Häftlinge nach Katar unter Hausarrest. Der Fall wurde zu einem Desaster für die Obama-Regierung, für Kritiker war der Preis für die Freilassung Bergdahls zu hoch.

Wann wird getauscht?

Trotz der zahlreichen Beispiele: Der US-amerikanische Autor, Professor und Militärhistoriker Paul J. Springer erklärte in einem Interview mit dem US-Nachrichtenmagazin "Time", dass die Zahl der Austausche insgesamt abgenommen hat. Immer öfter müssten Gefangene bis zum Ende der Gefechte bleiben. Meist werden Menschen ausgetauscht, die aufgrund von Krankheit oder schweren Verletzungen nicht mehr in der Lage sind, zu kämpfen.

Während des Koreakriegs etwa wurden viele Gefangene erst ausgetauscht, als sie kurz vor dem Tod standen, nach dem Motto: Lieber zu Hause sterben als in einem Gefangenenlager. Auch im Falle des jetzt diskutierten Austausches in der Ukraine gelten 53 Soldaten als schwer verletzt. Das mag bei der Auswahl der Menschen eine Rolle gespielt haben.

 

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