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Glaube

Was ist Luther heute?

28. Oktober 2016

Zum Reformationsjubiläum stellt sich die Frage, wie mit den alten Lutherdenkmälern umgegangen wird. Einfach ist das nicht, wie Gunnar Lammert-Türk am Beispiel des Lutherdenkmals an der Berliner Marienkirche zeigt.

EINSCHRÄNKUNG Ticket nach Berlin Folge 16 Übungsbild
Bild: DW

Runter vom Sockel

Er ist vom Restaurator zurückgekehrt, der bronzene Luther an der Marienkirche beim Alexanderplatz in Berlin. Vom Grünspan befreit, steht er wieder am vorigen Platz, links neben der Kirche, etwas versteckt.  Aber nicht mehr auf dem vorigen Sockel.

 

Denn von dem sollte er geholt werden. Wie an vielen anderen Orten in Deutschland war Luther auch hier, mitten in Berlin, als eine Art deutscher Nationalheiliger, in Siegerpose, der mit der Bibel in der Hand Geschichte schreibt, 1895 auf Initiative von Berliner Bürgern aufgestellt worden.

 

An die Bürgerinitiative sollte in Vorbereitung des großen Reformationsjubiläums 2017 angeknüpft werden, um ein neues Lutherdenkmal zu errichten. Es sollte am ursprünglichen Standort stehen, gut sichtbar und auch in den Maßen der wilhelminischen Denkmalanlage von etwa hundert Quadratmetern. Die alte Bronzeskulptur sollte darin ihren Platz erhalten, aber künstlerisch so interpretiert, dass das  Kritikwürdige an Luther - sein Judenhass etwa und seine Anfälligkeit für autoritäre Herrschaftsausübung - in die Gestaltung einfließt. So würde ein Luther zu sehen sein, dem die eigenen und die Abgründe der jüngeren Geschichte eingeschrieben sind. Denn „gerade in seiner Gebrochenheit ist Luther ein um so stärkerer Verfechter seiner Lehre“, meint die Pfarrerin der Marienkirche Cordula Machoni.

 

Martin Luther redet mit sich selbst

Cordula Machoni war Sachverständige im Rahmen eines Ideenwettbewerbes zur Neugestaltung des Denkmals, den der Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte Anfang des Jahres ausgelobt hatte. Von den 52 eingereichten Entwürfen wurden vier prämiert und einer als Sieger von der Jury bestimmt. Ausgerechnet der, gegen den sämtliche Historiker und Theologen unter den Sachverständigen votiert hatten.

Denn der Entwurf des Berliner Künstlers Albert Weis ist an vielen Stellen auch für die Theologen unstrittig. Er sieht vor, dass die Betrachter nicht mehr wie bei der alten Denkmalsanlage mehrere Stufen hinauf, sondern hinab gehen. Anstelle der alten Begleitfiguren Luthers, die die Nazis für ihre Waffenproduktion eingeschmolzen hatten -  sechs zu Luthers Füßen lagernde Reformatorenkollegen, samt Luther bewacht von zwei Schwert tragenden Rittern der Reformationszeit -, sind es nun Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther King in Form von Zitaten als Leuchtschrift im Boden der Anlage. Dem können die Historiker und Theologen durchaus zustimmen.

 

Aber nicht dem Hauptelement: Der historischen Lutherfigur ist diagonal sein Double gegenübergestellt. Luther ist sozusagen im Gespräch mit sich selbst. Und weil seine Dopplung mit glänzendem Chrom überzogen ist, kann sich der alte Luther darin spiegeln. Das ist problematisch. Denn Luther hat sich vehement dagegen gestellt, dass sich Menschen in ihrer  Eitelkeit gegenseitig spiegeln und so gefangen in sich selbst bleiben, weiß Pfarrerin Machoni. Er hat sie aufgerufen, sich infrage zu stellen, indem sie mit Gott in einen Dialog treten und so ihre Freiheit gewinnen - als Gläubige und als Gestalter ihrer Welt. Deshalb ist der Siegerentwurf nach ihrer Einschätzung „theologisch grandios überholt. Er ist unreformatorisch und nicht zeitgemäß.“

 

Der Mensch braucht die Gnade

Was nun? Vorläufig ist der alte Luther dorthin zurückgekehrt, wohin er, kurz vor dem Fall der Berliner Mauer gebracht wurde, an die Nordseite der Marienkirche, wo ihn kaum jemand zur Kenntnis nimmt. Das würde so bleiben, wenn die Neugestaltung der Denkmalsanlage an ihrem ursprünglichen Platz nicht mehr realisiert wird.

 

Was der Streit jetzt schon zeigt: Luther provoziert heute noch. Soll ein Denkmal vor allem seiner Lehre gerecht werden, wie es die sachverständigen Theologen fordern? Oder soll es seine Wirkungsgeschichte zeigen, wie es der Entwurf vorsieht? Ist Luther vor allem ein Fall für die Geschichtsschreibung oder ein Denker, der uns heute noch etwas zu sagen hat? Pfarrerin Machoni ist davon überzeugt, dass Luthers Anliegen heute noch von Belang ist. Es lautet in ihren Worten: „Der Mensch braucht die Gnade und die Liebe, so widersprüchlich wie er ist. Daraus erwächst seine Freiheit.“