Seit Tagen werden in Europa winzige Mengen Radioaktivität in der Luft gemessen. Das Ruthenium-106 soll irgendwo aus dem Ural stammen. Einen Atomunfall schließen Experten aus. Es soll harmlos sein. Und sonst?
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Was ist Ruthenium?
Rhutenium kommt aus dem Lateinischen und heißt übersetzt Russland. Warum? Wahrscheinlich weil dieses chemische Element von dem deutsch-baltischen Chemiker Karl Ernst Claus in Sibirien entdeckt wurde. Es ist ein sehr seltenes, silberweißes, hartes Edelmetall. Es gibt zahlreiche Isotope. Das jetzt gemessene radioaktive Ruthenium-106 ist eins davon. Es entsteht in großen Mengen bei der Kernspaltung. Ruthenium-106 hat eine Halbwertzeit von 374 Tagen und ist deswegen lange nachweisbar.
Woher stammt das jetzt gemessene Ruthenium?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammt es aus dem südlichen Ural. Die Ursache der erhöhten Messwerte ist bislang unklar. Sicher ist: Es gab keinen Unfall in einem Atomkraftwerk. Sonst würden auch andere typische, radioaktive Elemente gemessen werden, z.B. Rhodium oder Palladium. Das ist aber nicht der Fall.
Wofür wird Ruthenium-106 verwendet?
Ruthenium-106 wird hauptsächlich in der Krebsmedizin eingesetzt. Damit werden Tumore bestrahlt, vor allem das Aderhautmelanom. Es ist der häufigste bösartige Tumor des Auges. Daneben kommt Ruthenium-106 auch für die Produktion von Radionuklidbatterien zum Einsatz, die Satelliten und Raumsonden mit Strom versorgen. Diese Batterien wandeln die beim radioaktiven Zerfall entstehende Wärme in elektrische Energie um. Auch bei der Wiederaufarbeitung von Brennelementen aus Kernkraftwerken kann Ruthenium-106 frei werden.
Wie gefährlich ist Ruthenium-106?
Ruthenium-106 gilt als krebserregend. Da es so langlebig ist, bleibt die Krebsgefahr für Jahrzehnte, ja Jahrhunderte bestehen. Doch es kommt auf die Dosis an. Die jetzt gemessene Konzentration an Ruthenium-106 ist sehr gering, heißt es in einer Mitteilung des Bundesumweltministeriums. Zitat: "Selbst bei konstanter Einatmung über den Zeitraum von einer Woche ergibt sich daraus eine Dosis, die niedriger ist als die, die durch die natürliche Umgebungsstrahlung in einer Stunde aufgenommen wird. Die gemessene Dosis sei 100.000 mal kleiner als jene, ab der Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung notwendig seien.
Gefahr durch Radioaktivität
Weltweit wächst die Gesundheitsbelastung durch Radioaktivität. Uranabbau, Aufbereitung, zivile und militärische Nutzung, Unfälle und Atommüll setzen Radioaktivität weltweit frei. Die Gefahren werden oft unterschätzt.
Bild: picture-alliance/dpa
Mehr als 2000 Atomexplosionen seit 1945
Die USA zündeten seit Ende des Zweiten Weltkriegs 1039 Atombomben, die Sowjetunion 718, Frankreich 198, Großbritannien und China jeweils 45, Indien und Nordkorea jeweils 3, Pakistan 2. Zehntausende Menschen wurden bisher durch Atombomben direkt verstrahlt.
Bild: Getty Images/AFP
1945: Atombombe über Hiroshima
140.000 von 350.000 Einwohner starben in den ersten Monaten. Krebs-, Leber- und Herzerkrankungen sowie Hormon- und Chromosomenveränderungen nahmen in den folgenden Jahren zu. Auch heute ist die Leukämierate in Hiroshima höher als im Rest Japans.
Bild: picture-alliance/dpa
Mehr als 1000 Atomtests in Nevada
Die Tests in Mercury von 1950 bis 1992 kontaminierten weite Teile der USA. In Kinderzähnen wurde radioaktives Strontium entdeckt und die Zahl der Krebsfälle stieg. Von 1963 bis 1992 waren die Tests unterirdisch. Durch Unfälle gab es jedoch häufiger radioaktive Staubwolken.
Bild: Getty Images
Nuklearkomplex Sellafield
Die ersten Reaktoren der Anlage in Nordwestengland lieferten ab 1952 Plutonium für britische Atombomben, 1956 begann die Stromproduktion. 1957 brannte ein Reaktor, zahlreiche Unfälle folgten. Böden und Meer wurden verseucht. Kinder der Arbeiter erkrankten häufig an Leukämie.
Bild: Getty Images
Tod durch Uranabbau
Die ostdeutsche Wismut-Region war von 1946 bis 1990 die drittgrößte Uranmine der Welt und Lieferant für das sowjetische Atomprogramm. Laut Bundesamt für Strahlenschutz starb jeder achte Arbeiter durch Radioaktivität, insgesamt über 7000 Menschen. Die Bewohner erkrankten häufig an Lungenkrebs.
Bild: Wismut GmbH
Geheime Stadt, vertuschte Strahlung
In der bis 1992 geheimgehaltenen Atomstadt Tomsk-7 in Sibirien explodierte 1993 ein Tank. Radioaktives Plutonium und Cäsium verseuchten die Region. In den großen sowjetischen Atomkomplexen Tomsk-7 und Majak gab es mindestens 38 große Unfälle. Hundertausende Arbeiter und ihre Familien wurden kontaminiert.
Bild: imago/ITAR-TASS
1979: Atomunfall bei Harrisburg
Die Kernschmelze im Akw Three Mile Island in den USA war die erste große Reaktorkatastrophe vor Tschernobyl und Fukushima. Große Mengen Radioaktivität gelangten in die Umwelt. Studien zeigen erhöhte Krebsraten. Gegenstudien der Atomindustrie bestreiten dies.
Bild: picture-alliance/dpa
1986: Atomkatastrophe von Tschernobyl
Diese Zwillinge kamen nach der Katastrophe zur Welt. Der Vater war Liquidator, die Mutter lebte in der kontaminierten Stadt. Kernschmelze und Explosion schleuderten damals große Mengen Radioaktivität in die Luft, ganze Landstriche wurden unbewohnbar. Das Journal of Cancer geht von über 15.000 Krebstoten aus.
Bild: picture alliance/dpa
2011: Atomkatastrophe von Fukushima
Die Kernschmelzen führten zur bisher größten radioaktiven Verseuchung der Ozeane. Strahlenexperten gehen von 22.000 bis 66.000 zusätzlichen Todesfällen durch Krebs aus. Kinder erkranken seitdem besonders häufig an Schilddrüsenkrebs.
Bild: Reuters
Gefahr durch Atommüll
Hochradioaktiver Atommüll strahlt Millionen Jahre. Ein Endlager für hochradioaktiven Müll gibt es weltweit noch nicht. Deutschland saniert alte Atommülllager und zahlt hierfür Milliarden.
Bild: dapd
Irak: Leukämie durch Uranmunition
Der Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran während des Golfkriegs zu Beginn der 90er Jahre setzte die Bevölkerung erhöhter Strahlung aus. In der Stadt Basra gibt es seitdem einen Anstieg von Missbildungen und Krebs. Vor allem Kinder sind gefährdet. Die Kinderkrebsrate hat sich verdreifacht.