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Österreichs schlechter Ruf

Alison Langley/ cb2. September 2015

Flüchtlinge, die in Österreich ankommen, wollen nicht bleiben, sondern schnell weiter nach Deutschland. Ihre Gründe dafür haben häufig wenig mit der Realität zu tun. Alison Langley berichtet aus Wien.

Österreich, Flüchtlinge am Hauptbahnhof in Wien
Bild: DW/A. Langley

Das Wichtigste ist ein Dach überm Kopf

05:18

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Ein Lager vom Roten Kreuz in Nickelsdorf, ein kleiner Ort südöstlich von Wien in der Nähe der ungarischen Grenze. Farah Aly geht unruhig im Empfangsbereich auf und ab und weiß nicht so richtig, wohin mit sich.

Sie hat einem Mann 1500 Euro bezahlt, damit er sie und ihren zweieinhalbjährigen Sohn sicher nach Deutschland bringt, aber nach 15 Tagen hatten sie und die 29 anderen in ihrer Gruppe ihr Ziel immer noch nicht erreicht. Stattdessen wurden sie in den frühen Morgenstunden mitten im Nirgendwo zurückgelassen und von der österreichischen Polizei aufgegriffen.

Die Beamten brachten sie an einen sicheren Ort, an dem sie und ihr Sohn zu trinken und zu essen bekamen, aber die 31-jährige Irakerin ist trotzdem so verzweifelt, dass sie die Tränen kaum zurückhalten kann. Ihr Sohn ist mit einer Behinderung geboren und nur die Ärzte in Deutschland könnten ihnen helfen, so Aly.

"Ich muss nach Deutschland", sagt sie flehentlich. "Ich kann hier nicht bleiben."

Auf die Information, dass Österreich auch ein modernes Gesundheitswesen hat, reagiert sie mit einem zweifelnden Blick. In Bagdad habe sie niemanden von Österreich sprechen hören.

Der Wiener Hauptbahnhof ist voller Flüchtlinge, die nach Deutschland wollenBild: DW/A. Langley

Deutschland dagegen! Deutschland sei reich. Deutschlands Regierung habe gesagt, sie werde Flüchtlinge aufnehmen. Deutschland, sagt Aly, sei schön. Da könnten die Ärzte dann sicherlich auch ihrem Sohn helfen, damit er seinen rechten Arm vollständig bewegen kann.

Deutschland, gelobtes Land

Aly möchte nicht in Österreich bleiben. Und damit ist sie nicht die einzige. Am Montag, versuchte die Polizei, rund 15 Flüchtlinge aus Syrien mitzunehmen, die gerade aus Ungarn gekommen waren. Aber die Syrer weigerten sich, mitzukommen und veranstalteten eine spontane Sitzblockade. Ihre Forderung: "Germany! Germany! Germany!"

Nach einiger Zeit ließen sie sich doch noch überzeugen, den Bahnhof zu verlasssen. Aber viele der Flüchtlinge, die am Dienstag ankamen, kannten nur ein Ziel. Ihre erste Frage, sobald sie den Zug aus Budapest verlassen hatten: Wo fährt hier der nächste Zug nach "Allemagne"?

Eine Frau namens Kaffaa ist mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter unterwegs. Die Kleine ist krank, sagt Kaffaa, aber medizinische Hilfe will sie erst aufsuchen, wenn die Familie es nach München geschafft hat.

"Deutschland macht uns keine Probleme", sagt Kaffaa. "Deutschland wird uns aufnehmen."

Die meisten wollen zu Verwandten, die schon länger in Europa sind. Fünf irakische Männer, die ihr Lager im Wiener Hauptbahnhof aufgeschlagen haben, versuchen herauszukriegen, wie sie nach England kommen. Sie sagen, sie haben Angst, dass sich die österreichische Polizei auf das Dublin Abkommen beruft und zurück nach Ungarn schickt.

Nach der Dublin-Verordnung müssen Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen, in dem sie zum ersten Mal die EU betreten. Aber viele Flüchtlinge sagen, dass sie in Ländern wie Ungarn, wo sie schlecht behandelt werden, nicht leben wollen. Sie möchten dorthin, wo sie willkommen sind.

Sprachkurse, Arbeit, ein Haus

Ahmet Hussein, 40, sagt, er möchte nach Belgien, weil "ich dort ein Haus bekomme". Hussein hat seine Frau und seine Kinder im Irak zurückgelassen, während er nach einem sicheren Platz für sie zum Leben sucht. Er sagt, die Familie habe monatelang gespart, um die 1500 Euro für den Schlepper zusammen zu kriegen. Dafür habe man ihm eine sichere Reise versprochen.

"In Belgien haben meine Kinder gute Bildungsmöglichkeiten", sagt Hussein. Nach einigem Nachdenken schiebt er noch ein "In Deutschland gibt es viele Jobs, wenn ich Deutsch lerne", hinterher.

Endlich am Ziel: Flüchtlinge am Münchner HauptbahnhofBild: Reuters/L. Barth

Auf die Frage, woher er das wisse, antwortet Hussein, die anderen Flüchtlinge redeten auf der langen Reise. Sie tauschten solche Informationen aus, um die Zeit rumzubringen.

Omar Sirwan, ein Kurde aus dem Iran, sagt, er habe sich am 29. Juli auf die Reise nach Europa gemacht. In Istanbul habe er einem Schleuser 8000 Euro bezahlt, um nach England zu kommen. "Ich mag die Menschen da, ich weiß Sachen über das Land. Ich spreche ein bisschen Englisch", so Sirwan. "Hier weiß ich gar nichts."

Was er glaubt, über England zu wissen: Wenn er erstmal dort ist, wird er jeden Monat Geld bekommen, bis er eine Arbeit findet. Und er wird ein Haus bekommen.

Ist Österreich nicht gut genug?

Die Flüchtlinge scheinen romantisierte Vorstellungen von ihren Zielländern zu haben, die auf Halbwahrheiten beruhen. Es stimmt, dass Flüchtlinge, wenn möglich, Wohnungen bekommen und kleine Zahlungen, von denen sie leben können. Viele Länder bieten auch Sprachkurse an. Aber das ist für Österreich genauso wahr wie für Deutschland, zum Beispiel. Warum hat Österreich dann einen so schlechten Ruf?

Viele sagen, sie hätten Schlechtes über das Alpenland gehört.

Trotz Erschöpfung: Für viele soll die Reise von Wien aus noch weitergehenBild: DW/A. Langley

"Hier in Österreich gibt es keine Arbeit und die Gehälter sind nicht gut genug zum Leben", sagt Hussein. Außerdem haben die Neuankömmlinge immer noch im Kopf, wie schwer es war, überhaupt hierher zu kommen.

Kirwan ist ebenfalls seit kurzem in Österreich - und hat seine Meinung über das Land geändert. Als er von der Polizei in Serbien verhaftet wurde, musste er den Beamten 100 Euro zahlen, um freizukommen, erzählt er. Die Polizei in Österreich sei dagegen nett gewesen.

Hamza Alsawah, 15, aus der syrischen Stadt Aleppo, hat es nach Traiskirchen verschlagen. Auch er wollte ursprünglich nach Deutschland, wurde aber in Österreich aufgegriffen - zum Glück, wie er jetzt sagt. Alsawah verbringt seine Tage vor der Aufnahmezentrale und hilft Freiwilligen der Caritas dabei, Essen und Kleidung an Neuankömmlinge zu verteilen.

Es gefällt ihm in Österreich. Alle Österreicher, die er bisher getroffen habe, seien nett gewesen, sagt Alsawah. Es macht Spaß, mit ihnen zusammen zu sein.

So kann der Wunsch, es unbedingt nach Deutschland zu schaffen, auch in den Hintergrund treten.

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