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PolitikEuropa

Was ist Starkregen? Glossar zum Jahrhunderthochwasser

Andreas Noll
17. September 2024

In Mitteleuropa hat das Extrem-Hochwasser zu großflächigen Schäden geführt. Das südliche Polen, Teile Tschechiens und Rumäniens sowie Niederösterreich sind besonders betroffen. Wir erklären die wichtigsten Begriffe dazu.

Nach heftigen Regenfällen strömt am 15. September 2024 in Jesenik Hochwasser zwischen den Häusern
Land unter in Tschechien: Nach heftigen Regenfällen strömt am 15. September 2024 in Jesenik Hochwasser zwischen den Häusern Bild: David W Cerny/REUTERS

In diesem Jahr gab es bereits mehrere extreme Hochwasserereignisse in Europa. Doch keines davon hat bisher so massive Zerstörungen angerichtet wie das aktuelle Tief "Boris", das einer sogenannten Vb-Wetterlage (sprich: Fünf-b) entspricht. Bei dieser Konstellation ziehen Tiefdruckgebiete zunächst am Südrand der Alpen entlang und saugen sich dabei mit Feuchtigkeit aus dem derzeit überdurchschnittlich warmen Mittelmeer auf. Im weiteren Verlauf zieht das Tiefdruckgebiet um den östlichen Alpenrand herum nach Norden, um schließlich von Norden her wieder auf die Alpen zu treffen und sich dort abzuregnen.

In einigen Regionen des betroffenen Gebietes hat das Hochwasser Rekordpegelstände erreicht. Die Einsatzkräfte im Katastrophengebiet tun derzeit ihr Möglichstes, um in Österreich, Polen, Tschechien, Rumänien und Deutschland Schäden zu begrenzen und Leben zu retten.

Rettungskräfte im DauereinsatzBild: David W Cerny/REUTERS

Wie kommt es zu einem "Jahrhunderthochwasser"?

Starke Regenfälle, Schneefälle oder andere außergewöhnliche Witterungsbedingungen (aktuell in Folge der Vb-Wetterlage) können ein sogenanntes Jahrhunderthochwasser auslösen, das in Fachkreisen auch als "HQ100" bezeichnet wird. Rein statistisch gesehen sind Jahrhunderthochwasser sehr selten. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses liegt bei etwa einem Prozent pro Jahr. Statistik bedeutet aber auch, dass natürlich auch innerhalb eines deutlich kürzeren Zeitraums mehrere Jahrhunderthochwasser auftreten können - genauso wie sich der Zeitraum zwischen zwei Extremhochwasserepisoden auf mehr als 100 Jahre vergrößern kann.

Flussregulierungen oder eine veränderte Landnutzung können die Wahrscheinlichkeit von Hochwasserereignissen erhöhen - ebenso wie die Folgen des Klimawandels.

Rund 13 Millionen Euro hat Steyr in Oberösterreich in Hochwasserschutzmaßnahmen investiert und ist dadurch bei der Flut vergleichsweise glimpflich davongekommen.Bild: Wolfgang Simlinger/IMAGO

Wie wird Niederschlag gemessen und was ist Starkregen?

Die Niederschlagsmenge wird im Wetterbericht in Millimeter (mm) pro Quadratmeter angegeben. Ein Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter entspricht einer Menge von einem Liter Wasser auf einer Fläche von einem Quadratmeter.

Je nach Beschaffenheit und Durchfeuchtung kann ein Boden unterschiedlich viel Wasser aufnehmen. Sehr trockene Böden geben das Wasser oft oberflächlich ab, ohne dass es vorher versickern kann. Dadurch steigt die Hochwassergefahr.

Ab einer Niederschlagsmenge von 20 Litern pro Quadratmeter in sechs Stunden spricht man von Starkregen. Die Stufen 2 bis 3 der Starkregenskala werden erreicht, wenn die Niederschlagsmenge bis 35 bzw. 60 Liter in sechs Stunden beträgt. Stufe 3 wurde am Wochenende unter anderem auch in Teilen von Bayern und Sachsen erreicht. In Niederösterreich, das inzwischen zum Katastrophengebiet erklärt wurde, fielen teilweise Rekordmengen von mehr als 300 mm Regen pro Quadratmeter in 24 Stunden. Das fällt unter die höchste Kategorie 4 (extrem heftiger Starkregen).

Welche Bedeutung haben Pegelstände?

Mit unterschiedlicher zeitlicher Verzögerung zum Beginn des Starkregens steigen die Wasserstände in der Umgebung an. Kleine Bäche werden, für manche überraschend blitzartig, zu reißenden Flüssen. Der Pegelstand eines Flusses wird an Ufern, Brückenpfeilern oder Dämmen mit Stäben oder einer angebrachten Skala abgelesen. Die Pegelstände der großen Flüsse verfügen über Referenzwerte, mit deren Hilfe die Behörden Normalwasserstände, Niedrigwasserstände und Hochwasserwarnstufen definieren.

Die Hochwasserwarnstufen reichen von Warnstufe 1 (geringfügig erhöhter Wasserstand ohne unmittelbare Gefahr) bis Warnstufe 4 (extremes Hochwasser mit höchster Warnstufe). An Elbe und Neiße ist bereits die Alarmstufe 3 erreicht. Ob an der Elbe in Dresden die Alarmstufe 4 erreicht wird, ist derzeit noch offen.

Wie kommt es zum Katastrophenfall?

Ein "Jahrhunderthochwasser" gefährdet in der Regel die Lebensgrundlagen vieler Menschen und kann zur Ausrufung des Katastrophenfalls führen. Im Katastrophenfall handeln alle betroffenen Akteure wie Polizei, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk unter einer Leitung, dem Krisenstab.

Der Katastrophenfall wird von der zuständigen Gebietskörperschaft ausgerufen. In Deutschland ist das im Regelfall der Landrat oder Bürgermeister. Bei größeren Schadensgebieten kann auch der zuständige Ministerpräsident diese Aufgabe übernehmen.

Im Katastrophengebiet können zusätzliche Ressourcen wie Finanzmittel, Personal oder Geräte schneller mobilisiert werden. Nach Ausrufung des Katastrophenfalls kann der Krisenstab auch Hilfe von Nachbarregionen, Bundesbehörden oder internationalen Partnern anfordern. Jedes Bundesland verfügt über ein eigenes Katastrophenschutzgesetz.

Welche Lehren wurden aus der Elbe-Jahrhundertflut 2002 gezogen?

Als Konsequenz aus den großflächigen Zerstörungen der Jahrhundertflut 2002, die ebenfalls Folge einer spätsommerlichen Vb-Lage war, wurden viele Deiche entlang der Elbe und ihrer Nebenflüsse erhöht, verbreitert und verstärkt. Neue Regenrückhaltebecken sollen zusätzliche Wassermengen aufnehmen können. An einigen Stellen entlang des Flusses wurden Auen renaturiert, um natürliche Überflutungsflächen zu schaffen. In Überschwemmungsgebieten wurden die Auflagen für Neubauten verschärft oder die Bebauung ganz untersagt.

Im Bereich der Katastrophenhilfe wurden nach dem Hochwasser die Frühwarnsysteme modernisiert und ausgebaut, die Koordination zwischen den Bundesländern und mit dem Bund verstärkt und die internationale Zusammenarbeit verbessert.

Dass es bei der Warnung der Bevölkerung auch fast 20 Jahre später noch Defizite gibt, hat zuletzt das "Jahrhunderthochwasser" im Juli 2021 an der Ahr gezeigt, das viele Menschen im Schlaf überraschte und aus diesem Grund mit mindestens 135 Menschen besonders viele Todesopfer forderte. Als Konsequenz wurden die Netzbetreiber in Deutschland verpflichtet, das so genannte Cell Broadcasting einzuführen. Seitdem werden die Menschen im Katastrophengebiet nicht nur über Radio und Sirenen gewarnt, sondern erhalten auch eine Warnmeldung mit Signalton auf ihrem Handy.

Wenn das Wasser sich zurückzieht, beginnen die mühsamen WiederaufbauarbeitenBild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopress/picture alliance

Wer zahlt für Hochwasserschäden?

Spätestens wenn sich das Wasser wieder zurückgezogen hat, beginnen die Aufräumarbeiten. Schnell stellt sich die Frage, wer für die finanziellen Folgen des Hochwassers haftet. Anders als in mehreren anderen EU-Staaten wie Frankreich, Spanien oder Belgien gibt es in Deutschland keine Pflichtversicherung gegen Hochwasser. Wer keine Gebäudeversicherung mit Hochwasserschutz abgeschlossen hat, geht also leer aus. Die von nationalen Regierungen bei großen Hochwasserkatastrophen aufgelegten Soforthilfen übernehmen in der Regel nur einen kleineren Teil der Gesamtschäden. Beim Ahr-Hochwasser 2021 geht die Bundesregierung von einer Gesamtschadenssumme von mehr als 30 Milliarden Euro aus.

Welche Rolle spielt die EU bei Hochwasser?

In der Europäischen Union fällt der Hochwasserschutz in die Zuständigkeit der Nationalstaaten. Dennoch hat die EU in den vergangenen Jahren eine wichtige koordinierende und unterstützende Rolle in diesem Bereich übernommen. Der Rat und das Europäische Parlament haben 2007 die sogenannte EU-Hochwasserrichtlinie verabschiedet. Sie gibt einen verbindlichen Rahmen vor, wie die Mitgliedsstaaten Hochwasserrisiken bewerten und die Gefahren verringern sollen. Seit mehr als zehn Jahren müssen alle EU-Staaten über Hochwasser-Gefahrenkarten verfügen, die wiederum Grundlage für Hochwasser-Risikomanagementpläne sind, die ebenfalls verpflichtend sind. Die Richtlinie fördert aber auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten. Bei größeren Lagen ist es üblich, dass Katastrophenschützer aus anderen EU-Staaten die lokalen Behörden unterstützen.