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Was kann der IGH für Afghanistans Frauen erreichen?

Ahmad Waheed Ahmady | Shabnam von Hein
Veröffentlicht 4. Oktober 2024Zuletzt aktualisiert 4. Oktober 2024

Deutschland und weitere Staaten wollen die Taliban wegen der systematischen Unterdrückung von Frauen vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bringen. Ein Erfolg ist ungewiss, es gibt aber noch eine Alternative.

Eine afghanische Frau in Kandahar
Von Männern unterdrückt: eine afghanische Frau in KandaharBild: SANAULLAH SEIAM/AFP/Getty Images

Deutschland und Kanada, Australien und die Niederlande planen, die radikalislamischen Taliban wegen ihrer Missachtung der UN-Frauenrechtskonvention vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag zu bringen. Diese Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) hatte Afghanistan im März 2003 unterzeichnet, zwei Jahre nach der US-geführten Militärintervention. Schon damals billigte Afghanistan die Konvention jedoch mit Vorbehalten, insbesondere in Bezug auf Bestimmungen, die im Widerspruch zum islamischen Recht stehen könnten.

Die beteiligten Staaten sehen Afghanistan dennoch verpflichtet, die Rechte von Frauen und Mädchen zu wahren - auch unter der Taliban-Herrschaft. "Die Taliban wollen Frauen stumm und unsichtbar machen", erklärte das Auswärtige Amt in Berlin. "Gegen diese Verbrechen an der weiblichen Menschlichkeit wehren wir uns." Diesen Umgang der radikalislamischen Männer mit dem weiblichen Geschlecht stuft nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil vom Freitag als Verfolgung ein. Sie kann eine Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen.

Unter den Taliban ist es Mädchen verboten, weiterführende Schulen nach der fünften Klasse zu besuchen (Archivfoto von 2022)Bild: Ebrahim Noroozi/AP Photo/picture alliane

Diese Entrechtung der Frauen auch vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen, "hat die Situation der Frauen in Afghanistan erneut ins internationale Rampenlicht gerückt. Das ist ein wichtiger Schritt", sagt Mohammad Farid Hamidi im Gespräch mit der DW. Der afghanische Anwalt und Menschenrechtsaktivist war von 2016 bis 2021 Generalstaatsanwalt in Afghanistan und lebt heute im Exil.

IGH-Urteile bindend, Mittel für Durchsetzung fehlen

Er betont, dass der IGH in erster Linie als Tribunal zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten dient und völkerrechtliche Gutachten erstellt. Obwohl seine Urteile bindend sind, hat der Gerichtshof keine Möglichkeit, ihre Umsetzung zu erzwingen.

"Die zentrale Frage ist nun: Wer wird zur Verantwortung gezogen? Erkennen diese Länder damit die Taliban-Herrschaft in Afghanistan an? Werden die Taliban die Rolle des Internationalen Gerichtshofs akzeptieren?" fragt Anwalt Hamidi.

Die Umsetzung der Urteile liegt in der Verantwortung der beteiligten Staaten. Sollte ein Staat ein Urteil nicht umsetzen, könnte der Fall vor den UN-Sicherheitsrat gebracht werden. Allerdings könnten Veto-Mächte wie China oder Russland, die etwas bessere Beziehungen zu den Taliban pflegen, die Entscheidungen des Rates beeinflussen.

"Wenn wir die Möglichkeiten der Frauenrechtskonvention jetzt nutzen, wird das die Lage in Afghanistan nicht sofort verändern", erklärte das Auswärtige Amt auf der Plattform X, vormals Twitter. Aber es mache den Frauen in Afghanistan Hoffnung.

Afghanistan: Systematische Unterdrückung von Frauen

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"Politiker, die die Taliban vor den Internationalen Gerichtshof bringen wollen, handeln nicht ehrlich gegenüber der afghanischen Gesellschaft. Sie reagieren eher auf den internen Druck von NGOs und Menschenrechtsorganisationen in ihren Heimatländern", analysiert Hamidi und fügt hinzu: "Es gibt andere Wege und Instrumente, die die internationale Gemeinschaft effektiv nutzen könnte, um sich für die Rechte der Frauen in Afghanistan einzusetzen. Beispielsweise könnte man Taliban-Funktionäre über den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zur Verantwortung ziehen."

Alternative: Der Internationale Strafgerichtshof

Während der IGH zwischenstaatliche Streitigkeiten klärt, verfolgt der IStGH Einzelpersonen für die schwerwiegendsten Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

"Länder, die die Taliban vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) bringen wollen, können uns unterstützen", sagt Fazal Ahmad Manawi, ein afghanischer Politiker und ehemaliger Justizminister der Islamischen Republik Afghanistan (August 2020 bis November 2021). Der heute ebenfalls im Exil lebende Malawi berichtet, er und weitere afghanische Aktivisten hätten bereits Beweise für Kriegsverbrechen der Taliban gesammelt und an den IStGH übermittelt.

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Diese Beweise sollen dazu beitragen, die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen vor Gericht zu bringen. "Wir haben nicht nur Beweise dokumentiert, sondern auch mutige Zeugen, die bereit sind, gegen die Taliban auszusagen", erklärt Manawi und fügt hinzu: "Die Taliban haben in den letzten drei Jahren gezeigt, dass sie sich nicht ändern werden. Gerade erst haben sie ein neues "Tugend"-Gesetz verabschiedet, das insbesondere für Frauen noch strengere Verhaltensregeln vorschreibt."

Afghanische Frauen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes, appellieren an die internationale Gemeinschaft, die Verantwortlichen für ihre Unterdrückung zur Rechenschaft zu ziehen. Die Taliban hatten nach knapp 20 Jahren westlicher Militärpräsenz im August 2021 erneut die Macht übernommen und einen islamischen Gottesstaat ausgerufen. Seither setzten sie ihre strenge Auslegung des Islams mit drakonischen Gesetzen durch, die besonders die Rechte der Frauen einschränken. Die Vereinten Nationen sprechen in diesem Zusammenhang von "Geschlechter-Apartheid".

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