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Was kostet der Brexit die Wirtschaft?

21. Oktober 2019

Wir drehen munter weiter Runden im Brexit-Karussell. Für welchen Preis, ist indes ungewiss. Insbesondere der Wirtschaft missfällt diese Planungsunsicherheit. Die Folge: Investitionen gehen zurück.

Das große Aussichts-Riesenrad "London-eye" ist in London hinter einer britischen Fahne zu sehen.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Lübke

Ob es bald einen neuen Brexit-Deal gibt? Vielleicht, vielleicht nicht. Wer weißt das schon? "Obwohl das Verhalten Großbritanniens extrem nervt, gilt es nun auf europäischer Seite auf die Zähne zu beißen und nicht die Geduld zu verlieren", sagt der Präsident des Außenhandelsverbands BGA, Holger Bingmann. 

Während dem ein oder anderen bei der Brexit-Fahrt durchaus allmählich schwindelig werden dürfte, fordert der BGA einen langen Atem. Ein chaotischer Brexit ohne Abkommen wäre schließlich die schlechteste aller möglichen Varianten, so Bingmann.

Bisher ist der Brexit für den 31. Oktober geplant. Doch dafür müsste das britische Unterhaus dem nachverhandelten Vertrag mit der EU diese Woche zustimmen

Brexit: Und noch 'ne Runde!?

Allerdings hat das britische Parlament am Samstag (19.10.2019) überraschend nicht über den Brexit-Vertrag abgestimmt. Die Abgeordneten stimmten vielmehr für einen Antrag zur Verschiebung des Votums. Dass es Ende Oktober einen Chaos-Brexit mit all seinen wirtschaftlichen Turbulenzen gibt, wird dadurch zumindest etwas unwahrscheinlicher.

Außerdem hat EU-Ratspräsident Donald Tusk den Erhalt des britischen Antrags auf eine Verschiebung des Brexit-Termins über den 31. Oktober hinaus bestätigt. Nun werde er mit den EU-Spitzen darüber beraten, wie man darauf reagieren solle. Ein EU-Vertreter sagte, der eigentliche Antrag sei nicht vom britischen Premierminister Boris Johnson unterzeichnet worden.

Boris Johnson hatte vor wenigen Tagen nach langem Streit mit der EU einen geänderten Austrittsvertrag vereinbart, der sofort von den EU-Staats-und Regierungschefs gebilligt wurde. Neu geklärt wurde die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit offen bleiben kann. Zudem vereinbarte Johnson mit Brüssel in einer politischen Erklärung, dass es auf längere Sicht nur eine lose Bindung seines Landes an die EU geben soll.

"Lähmender Schwebezustand"

Holger Bingmann warnte vor weiteren Schäden für die Wirtschaft. "Es ist unfassbar, was die Briten ihren europäischen Partnern zumuten", so Bingmann gegenüber der "Rheinischen Post" am Montag (21.10.2019). "Die Unternehmen beiderseits des Ärmelkanals hängen weiter in der Luft und wissen noch immer nicht, wann und wie sie ihre Zoll- und Handelsprozesse künftig zu gestalten haben." 

Die Briten hielten Europa gleichwohl weiter hin und strapazierten die Geduld ihrer europäischen Freunde aufs Neue. "Leidtragende sind einmal mehr die Menschen, aber natürlich auch die Unternehmen. Denn damit verlängert sich der lähmende Schwebezustand mit seinen negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft dies- und jenseits des Kanals."

Brexit-Votum: Auf Unsicherheit folgt Zurückhaltung

Diese Konsequenzen bestätigt auch eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom 18. Oktober. "Die anhaltende Unsicherheit belastet die deutsche Konjunktur", heißt es vonseiten des größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut. Die Folge: Zurückhaltung, insbesondere was Investitionen betrifft. 

Berechnungen des DIW haben ergeben, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland aufgrund der Unsicherheit seit dem Referendum um durchschnittlich 0,2 Prozentpunkte pro Jahr niedriger ausgefallen ist als es ohne Brexit-Entscheidung der Fall gewesen wäre. Insgesamt belaufen sich die Wachstumseinbußen somit auf etwa 0,8 Prozentpunkte seit Juni 2016 - Tendenz: anhaltend. 

Überraschend ist das nicht. Bereits 2016  prognostizierte das DIW: "Die Effekte werden wohl über die kurze Frist hinaus fortbestehen, da sich die Verhandlungen über den Austritt aus der Europäischen Union über mehrere Jahre hinziehen dürften." Daher sei eine geringere Investitionsdynamik und eine schwächere Beschäftigungsentwicklung zu erwarten. 

"Getting ready for Brexit" geht vor allem mit Unsicherheit einherBild: Getty Images/AFP/L. van Lishout

Und weiter hieß es, dass sich diese Entwicklungen auch im Euroraum bemerkbar machen würden. "Dabei dürften Handelseffekte eine wichtige Rolle spielen; die schwächere britische Nachfrage dämpft die Exporte aus dem Euroraum. Die Abwertung des britischen Pfunds wird diesen Rückgang wohl verstärken, da sich im Zuge dessen die Importe aus britischer Sicht verteuern. Die höhere Unsicherheit im Euroraum dürfte die Finanzierungskosten steigern und die Investitionstätigkeit zusätzlich beeinträchtigen", prognostiziert das DIW. 

Im Grunde habe die Unsicherheit drei Dimensionen, erklärte damals Ferdinand Fichtner, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am DIW Berlin: "Wir wissen weder, wann der Austritt erfolgt, wir wissen aber auch nicht, unter welchen Bedingungen der Austritt erfolgt, und selbst wenn wir das genau wüssten, wäre es für die Unternehmen, aber auch für uns Konjunkturforscher, schwer abzuschätzen, welche Folgen das neue Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich tatsächlich hat. Insofern herrscht Unsicherheit in vielfacher Hinsicht."

Brexit: Was wäre, wenn...?!

Aktueller Stand ist: Sollte es zu einem ungeregelten Brexit kommen, wurde das Vereinigte Königreich für die EU bei den gegenseitigen Handelsbeziehungen auf den Status eines Drittstaates zurückfallen. "Dies dürfte zu sofortigen Einschränkungen der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt und des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU führen", heißt es vom DIW. Vor allem der beeinträchtigte Warenverkehr dürfte die deutsche Konjunktur dann belasten.

Nach DIW-Berechnungen würden bei einem harten Brexit Ende Oktober die BIP-Wachstumsraten in Deutschland im Jahr 2020 um 0,4 und im Jahr 2021 um 0,3 Prozentpunkte geringer ausfallen als im Falle eines geregelten Brexit mit Übergangsphase. Dabei würde ein ungeordneter Brexit die deutsche Wirtschaft wohl vor allem im kommenden Jahr treffen, der negative Effekt auf die deutsche Konjunktur dürfte ab der ersten Jahreshälfte 2021 allmählich abklingen.

Konjunkturspritze in Sicht?

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Ein weicher Brexit würde die Einkommensverluste extrem dämpfen, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung ergeben hat: Deutschland müsste sich im Falle eines No-Deal-Brexit auf Einkommensverluste in Höhe von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr einstellen, im Falle eines Brexit unter vertraglich geregelten Bedingungen würden diese Verluste auf fünf Milliarden Euro halbiert werden können. 

Doch Großbritannien selbst würde davon am meisten profitieren: Bei einem harten Brexit müsste das Vereinigte Königreich laut Studie mit Einkommensverlusten von 57 Milliarden Euro pro Jahr rechnen. Im Falle eines weichen Brexit wären die Einbußen mit etwa 32 Milliarden Euro ebenfalls erheblich geringer.

Es gibt auch Gewinner! 

Doch es gibt auch Länder - außerhalb Europas - die wirklich vom Brexit profitieren können. Laut Bertelsmann-Studie würden die US-Einkommen bei einem harten Brexit um rund 13 Milliarden Euro jährlich steigen können. In China würden die Einkommen um rund fünf Milliarden Euro jährlich steigen, in Russland wäre mit einem leichten Anstieg in Höhe von rund 260 Millionen Euro jährlich zu rechnen.

Die Erklärung der Studienautoren: "Vom Brexit sind europäische Wertschöpfungsketten negativ betroffen. Dadurch würde der Handel innerhalb Europas teurer und die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Rest der Welt attraktiver werden", so Dominic Ponattu, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung. 

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.
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