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Was lief nicht gut in der Corona-Politik?

Kay-Alexander Scholz
17. November 2021

Deutschland steckt mitten in der vierten Pandemie-Welle, parallel werden Fehler in der Corona-Politik debattiert. Hört sie nicht genug auf die Wissenschaft? Eine Frage, die auch den Bundespräsidenten beschäftigt.

Eine verlorene Maske liegt auf dem Pflaster am Liebfrauenberg in der Frankfurter Innenstadt.
Corona-Pandemie: Hört die Politik nicht gut genug auf die Wissenschaft? Bild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Immer mehr Menschen infizieren sich in Deutschland mit dem Coronavirus - die bundesweite 7-Tage-Inzidenz erreicht täglich neue Rekordzahlen. In der vierten Pandemie-Welle erhöht das den Druck auf die Politik, schnell richtige Entscheidungen zu treffen.

Parallel dazu bereiten sich die drei Parteien einer möglichen neuen Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP auf den Regierungswechsel vor. Sie wollen wieder mehr Entscheidungen ins Parlament verlagern. Im Bundestag haben sie neue Pandemie-Gesetze eingebracht und dann gleich noch einmal überarbeitet. Nun wird darüber abgestimmt.

Im Prinzip ist das normaler parlamentarischer Alltag. Doch in der Pandemiepolitik waren es bisher die Spitzen der Bundesländer - in Deutschland zuständig für den Infektionsschutz - und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Kurs bestimmten. Das Gremium dafür: die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Auch die MPK tagt diese Woche wieder. Bundestag oder Regierungschefs von Bund und Ländern? Wer kann besser, schneller und effizienter entscheiden? Im Vorfeld gab es teils hitzige Debatten darüber.

Was haben Politiker falsch gemacht?

Bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde diese Woche darüber bei einer Podiumsdiskussion gesprochen. Zu seinen Aufgaben als Staatsoberhaupt gehört es, politische Debatten anzustoßen.

Was zunächst sehr akademisch klang, entwickelte sich zu einer interessanten Suche nach Antworten auf eine Frage, die derzeit nicht nur Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier umtreibt. "Warum gibt es in Deutschland so viel mehr Menschen als in anderen europäischen Ländern, mit denen wir ringen müssen?" Steinmeier meinte diejenigen, die sich bislang gegen eine COVID-19-Impfung entschieden haben. Was haben Politik und Wissenschaft also falsch gemacht?

Auf dem Podium im Schloss Bellevue: Alena Buyx, Vorsitzende des Ethikrats, Aminata Touré, Vize-Präsidentin des Landtags von Schleswig-Holstein, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Laura Münkler, Professorin für öffentliches Recht an der Universität Greifswald Bild: Wolfgang Kumm/picture alliance/dpa

Impfen wurde zu einem politischen Statement

In der Pandemie ging und geht es viel um politische Kommunikation. Wie schlimm wird es? Was kann dagegen getan werden? In einem föderal organisierten Land wie Deutschland ist es mit der Einstimmigkeit der politischen Aussagen an sich schon schwierig, weil die Aufgaben zwischen Bund, Ländern und Kommunen verteilt sind. Deshalb gebe es einen Flickenteppich an Maßnahmen und Regeln, lautet eine gängige Kritik.

Doch das reiche nicht als Antwort, hieß es bei der Diskussion im Schloss Bellevue in Berlin, dem Amtssitz des Bundespräsidenten. Die wissenschaftlichen Elemente der Pandemie seien politisiert worden, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx - so stark, wie kaum in einem anderen Land. Nur in den USA sei das noch ausgeprägter - wo das Maske-Tragen eine politische Aussage sei.

Corona-Impfchaos in Deutschland

02:10

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In Deutschland sei Ähnliches passiert mit der Entscheidung, ob man sich impfen lasse oder nicht. Dies sei verquickt worden mit der generellen Frage nach dem Vertrauen in politische Institutionen, analysierte Buyx. Zwar gebe es auch in Portugal - einem Land mit einer viel höheren Impfquote - Menschen, denen es an Vertrauen in die Politik mangele. Aber das habe nicht auf die Einstellung zur Pandemie abgefärbt.

Portugal gehört ebenso wie Spanien oder Italien zu den Ländern, wo es in den vorherigen Pandemie-Wellen sehr viele Erkrankte und Tote gegeben hat. Der Schrecken der Pandemie wurde für alle sichtbar, sehr viele ließen sich impfen. In den deutschsprachigen Ländern dagegen, in Österreich und Teilen der Schweiz, gibt es wie in Deutschland eine vergleichsweise niedrige Impfquote.

Grenzen der Wissenschaft müssen transparent sein

Warum ging Vertrauen verloren? Vielleicht, weil zu wenig über die Grenzen der Wissenschaft gesprochen wurde. "Die Pandemie hat uns gelehrt, dass politische Entscheidungsträger auf wissenschaftlichen Rat angewiesen sind", sagte Steinmeier, "sich aber politische Entscheidungen nicht aus wissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben."

Wissenschaft gebe es "nur im Plural". Sie produziere keine "absoluten Gewissheiten", sondern "Wissen unter dem Vorbehalt, dass man es morgen besser wissen könnte".

Es sei wichtig, dieses Prinzip in politischen Debatten öffentlich sichtbar zu machen, erläuterte die Rechts- und Verwaltungswissenschaftlerin Laura Münkler - selbst wenn dies Unsicherheiten erzeuge. Experten-Streits innerhalb einer Disziplin seien nun einmal normal. Wissenschaftliches Arbeiten operiere damit, "bestimmte Faktoren auszublenden und sich eine limitierte Fragestellung anzuschauen".

Gefahr durch Populisten und Technokraten

Sich hinter der Wissenschaft zu verstecken oder Erkenntnisse zu sehr als Wahrheiten zu kommunizieren, sei also falsch. Der Bundespräsident mahnte, dass es schlimme Folgen haben kann, wenn das Zusammenspiel von Politik und Wissenschaft ins Ungleichgewicht gerät. Das zeige sich bei Populisten und Technokraten.

"Während die einen auf eine autoritäre Führung hoffen, wollen die anderen die Politik zum bloßen Vollzugsorgan einer angeblich eindeutigen wissenschaftlichen Wahrheit machen", sagte Steinmeier, "um schnell und kompromisslos auf gewaltige Probleme wie eine Pandemie oder den Klimawandel zu reagieren".

Auch wenn Populisten und Technokraten vieles unterscheide, stellte der Bundespräsident fest, "scheinen beide das Ringen um Kompromisse und Mehrheiten in den Institutionen der repräsentativen Demokratie für eine Schwäche zu halten".

Verschiedene Meinungen sind gut

Doch nicht nur, dass die Wissenschaft sich auch irren kann. Zusätzliche Herausforderung ist, dass es so viele verschiedene Disziplinen gibt. Dass der Umgang mit der Pluralität tückisch sein kann, zeigte Münkler auf. Zu Beginn der Pandemie sei besonders auf Virologen und die Epidemiologie geschaut worden, sagte sie. Dadurch sei ausgeblendet worden, was ein Schließen der Schulen für andere Bereiche wie die Pädagogik bedeute.

Erste Adresse für wissenschaftliche Experten: die Nationale Akademie der Wissenschaften LeopoldinaBild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Wäre ein Pandemie-Rat geeignet, um Einseitigkeit zu vermeiden? Derzeit fordern das eine Reihe von Wissenschaftlern. Münkler zeigte sich skeptisch, weil das den Fokus zu sehr auf dieses Gremium richte.

Es gibt in Deutschland eine breite Forschungslandschaft und viele wissenschaftliche Institutionen: in den Universitäten, an Instituten und Wissenschaftsakademien wie der Leopoldina und teilweise in Behörden selbst. In der Pandemie kam aus verschiedenen Häusern durchaus unterschiedlicher Rat.

Zusammengefasst lautete die Lektion für die Politik: Mehr Mut zur Transparenz über Grenzen und Vielstimmigkeit von Wissenschaft. Fehle der Mut, drohe eine schlechte Außenwirkung und es komme zur Kritik: Die Politik höre zu sehr auf bestimmte Experten oder, wie Münkler sagte, ziehe sich Experten heran, "die das soufflieren, was man gern entscheiden möchte".

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