Gestaltung, Herstellung, Druck, Bindung - sind es diese Faktoren, die ein Buch attraktiv machen? Was bedeutet gutes Buchdesign im digitalen Zeitalter? Darüber debattieren deutsche Grafiker und die Stiftung Buchkunst.
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Die schönsten Bücher aus aller Welt
Voluminöse Fotobände, winzige Kinderbücher, dicke Anthologien - 600 Bücher aus 30 Ländern hat die Jury durchblättert, gestalterische Ideen, Typographie und Druck geprüft. In Leipzig werden die schönsten gezeigt.
Bild: Stiftung Buchkunst/Carolin Blöink
Gesucht: Die beste Buchgestaltung
Seit 1963 findet in Leipzig alljährlich der Wettbewerb "Schönste Bücher aus aller Welt" statt. Reichlich Arbeit für die Jury: Mehr als 600 Bücher aus 30 Ländern auf 5 Kontinenten standen dieses Jahr zur Auswahl, alle Bücher wurden schon in nationalen Wettbewerben prämiert. Die Besucher der Leipziger Buchmesse konnten sie am Stand der Stiftung Buchkunst bewundern. 14 davon wurden ausgezeichnet.
Bild: Stiftung Buchkunst/Carolin Blöink
Höchste Auszeichnung für "Amsterdam Stuff"
Das allerschönste Buch des Jahres 2019 ist auffällig, aber trotzdem schlicht. Den Einband des Katalogs zieren drei silberne Kreuze, ein halber Papierumschlag gibt nur den lakonischen Titel "Stuff" preis, die Inhalte werden subtil angedeutet: Die Kreuze verweisen auf das Amsterdamer Wappen, "Stuff" auf die unzähligen Objekte, die beim Bau einer neuen Bahnlinie in Amsterdam geborgen wurden.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
Akribische Dokumentation auf Dünndruck
Bei dem U-Bahn-Bau wurden im alten Flussbett der Amstel unzählige Dinge gefunden, die von der Urzeit bis ins 20. Jahrhundert dort versenkt worden waren. Wissenschaftler begleiteten den Prozess, erfassten und dokumentierten 700.000 Objekte. 13.000 Artefakte werden im Katalog auf durchscheinendem Dünndruckpapier gezeigt. Das Papier erinnert an die Schichten, die Archäologen nach und nach ausgraben.
Bild: DW/S. Peschel
Sortierte Sammelsurien
Die Abbildungen der Objekte wurden in präziser Kleinarbeit freigestellt und perfekt sortiert. Die Schautafeln zeigen gleichartige Objekte aus Jahrhunderten, ein faszinierendes Sammelsurium von Alltagsgegenständen. Der von Willem van Zoetendaal für die Gemeinde Amsterdam gestaltete Katalog wurde mit der "Goldenen Letter" gekürt, die höchste Auszeichnung der Stiftung Buchkunst.
Bild: DW/S. Peschel
"Robert F. Kennedy Funeral Train - "The People's View"
Am 8. Juni 1968 fuhr der Leichnam des ermordeten Präsidentschaftskandidaten Robert F. Kennedy von New York nach Washington. Der Fotograf Rein Jelle Terpstra recherchierte, wie die Menschen, die die Strecke säumten, den Zug damals wahrgenommen haben. Auf schwarzem Grund stehen - oft unscharfe - Einzelbilder des gefundenen Materials und erzeugen eine irreale Stimmung. Dafür gab es die Goldmedaille.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
"Die Kraft des Alters"
Der österreichische Ausstellungskatalog zeigt eine alte Dame, eine Prominente der New Yorker Kunstszene. Innen wechseln sich Aufsätze und Bildteile auf kräftigem Naturpapier ab. Am Ende des Buches hat sich das Papier fast unmerklich gelblich verfärbt. Das gibt dem Buch eine Lebendigkeit, die das Thema auf subtile Art abbildet. "Die Kraft des Alters" erhielt eine der beiden Silbermedaillen.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
"Anne Frank House"
Auf dem Cover ist schlicht "House" zu sehen, auf der deutschen Ausgabe, die es auch gibt, "Haus". Gemeint ist das Haus in Amsterdam, in dem sich die Familie Frank zwei Jahre lang vor den Nationalsozialisten verbarg. Der Klappenumschlag ums Buch ist nicht nach innen eingeschlagen, sondern nach außen geknickt: eine Sackgasse. Der Bücherschrank auf dem Cover verstellte den Zugang zum Versteck.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
Versteckte Seiten
Im Buch sind sämtliche Doppelseiten als Aufschlagseiten angelegt, eine umfangreiche Bild-, Dokumenten- und Textsammlung, die sich erst durch die verborgenen Innenseiten erschließt - wie ein Einblick in das Versteck. Anne Frank schrieb an diesem Ort ihr berühmt gewordenes Tagebuch. Der in verschiedenen Sprachen erschienene Katalog wurde mit einer Silbermedaille gewürdigt.
Bild: Anne Frank Stichting, Amsterdam
"Bonjour, Monsieur, Gauguin"
Eine der fünf Bronzemedaillen erhielt ein Buch aus Tschechien, das mit starken Kontrasten arbeitet. Mattweiße und glänzend schwarze Großbuchstaben stehen plakativ auf dem Einband. Dahinter breitet sich ein Schwarzweißfoto der bretonischen Landschaft aus. Der Ausstellungskatalog über tschechische Künstler in der Bretagne 1850-1950 dokumentiert die kulturelle Verbindung zwischen Ost- und Westeuropa.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
"Paris"
Der schwedische Fotograf Ola Rindal blickt über die glamouröse Seite seiner Wahlheimat Paris hinaus. Ihn beschäftigen die Niederungen des öffentlichen Raums, Menschen auf einer Parkbank, eine Schaumspur auf dem Weg - irritierende, nüchterne Momente, die er auf kräftiges, mattes Papier bannt: Realitätsgewinn auf doppelseitigen Hochfotografien, ausgezeichnet mit einer Bronzemedaille.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
"The Migrant"
Ein visueller Lockruf ist die goldene Prägung einer Vogelsilhouette auf dem curryfarbenen Gewebeeinband. Der verfolgte Singvogel wird bei der Fotografin Anaïs López zum Sinnbild für die globale Aktualität gesellschaftlicher Migration: Der Band versammelt Bilderzählungen, Comicpanels, Straßenfotografie, verbunden mit der Migrationsgeschichte des Vogels. Bronzemedaille für das niederländische Buch.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
"Nichtsein"
Was auf dem Umschlag wie eine scharfkantige Weiß-Prägung wirkt, sind tatsächlich ausgeschnittene Streifen. Innen findet man in dieser Studie über Suizid eine lange Seitenfolge von regelmäßig durchlöcherten Blättern: textlich und grafisch extrem reduzierte Diagramme. Die Arbeit von Katharina Schwarz und Ellen von den Driesch erhielt ebenso eine Bronzemedaille.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
Я так бачу (This Is How I See)
Das ukrainische Kinderbuch - die fünfte Bronzemedaille - erzählt von den Seherlebnissen eines Mädchens. Es ist angewiesen auf seine neue Brille, denn seine Augen sind nicht die besten. Die Eule, das Maskottchen des Durchblicks, begleitet das Kind. Innen sind großflächig in starken Farben Tiersilhouetten gedruckt, die sich manchmal übereinander schieben oder das Sehfeld vergleichen.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
Wettbewerb der Schönheit
Nach der Wiedervereinigung wurden die zwei getrennten Buchkunstpreise in Ost und West-Deutschland zusammen gelegt, seit 1991 wird der Wettbewerb von der Stiftung Buchkunst ausgerichtet. In der Ausstellung "Schönste Bücher aus aller Welt" werden nicht nur die Sieger, sondern alle für den internationalen Wettbewerb eingereichte Bücher präsentiert, jeweils ca. 700 Titel - die Besten der Buchkunst.
Bild: Stiftung Buchkunst/Thomas Gothier
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Gibt es ein Geheimrezept, etwas, das einem Buch die Seele einhaucht, die Leser magisch anzieht? Die in Leipzig und Frankfurt ansässige Stiftung Buchkunst stellt Jahr um Jahr Bücher vor, die diese Rezeptur gefunden zu haben scheinen. Sie lobt alljährlich einen internationalen Wettbewerb aus, durch den die schönsten Bücher aus aller Welt gekürt werden. Die Auswahl, die die Jury 2019 getroffen hat, war auf der Leipziger Buchmesse zu sehen, wo auch die Preise vergeben wurden. Die höchste Auszeichnung, die Goldene Letter, ging in diesem Jahr an einen Katalog aus den Niederlanden.
Die schönsten deutschen Bücher
Neben dem internationalen gibt es auch zwei nationale Wettbewerbe. Die schönsten deutschen Bücher kürt eine Jury im Auftrag der Stiftung Buchkunst alljährlich im Herbst, um sie dann auf der Frankfurter Buchmesse zu präsentieren. Aktuell läuft noch bis Ende März die Einreichungsfrist für die fünf verschiedenen Kategorien, in denen Preise und Auszeichnungen für die "Schönsten Deutschen Bücher" vergeben werden. Daneben vergibt die Stiftung seit 1989 auch einen "Förderpreis für junge Buchgestaltung", "der außergewöhnliche, neue Ideen zu gedruckten Büchern" prämiert.
"Erstklassige Gestaltung, Konzeption und Verarbeitung" sind die Kriterien, anhand derer die unabhängige Jury ihre Auswahl der schönsten deutschen Bücher trifft. Der Wettbewerb ist einer der ältesten der Branche, er geht auf das Jahr 1929 zurück und wurde vor dem Hintergrund der Industrialisierung der Buchproduktion ins Leben gerufen. Doch seit einigen Jahren nimmt er im Zeichen der Digitalisierung neue Konturen an. Die Frage nach den Kriterien, die ein Buch zu einem schönen Buch machen, stellt sich neu - und wird verschieden beantwortet.
Ein Gestaltungswettbewerb, der sich am Handel orientiert
Seit 2012 wird der Wettbewerb gestrafft durchgeführt, in jeder Kategorie nur noch ein Sieger gekürt. Das Verfahren orientiert sich nicht nur an ästhetischen Qualitäten, sondern auch am Buchhandel, dient dazu, Bücher besser am Markt zu platzieren. "Die Ausstattung soll veranlassen, dass man überhaupt erst mal nach dem Buch greift, deswegen sind Cover natürlich auch relativ wichtig", erklärt die Geschäftsführerin der Stiftung Buchkunst Katharina Hesse. "Aber es sind viele Faktoren, die ein Buch zu einem schönen Buch machen. Grundsätzlich muss man immer als allererste Prämisse sehen, dass der Inhalt möglichst durch die Gestaltung und die Ausstattung transportiert werden muss. Da darf nicht gelogen, nichts geheuchelt werden."
Lügen, das können Covergestaltungen sein, die einfach nur modischen Trends folgen, verdeutlicht Hesse. "Eine Zeitlang waren das beispielsweise Vögel, oder Damen, die unter der Laterne laufen." Oder eine Gestaltung, die auf eine falsche Fährte führt: beispielsweise ein Thriller, der so verpackt wird, dass er aussieht wie ein Liebesroman.
Die Typografie, die Seitengestaltung, der Satzspiegel, die Einbindung von Bildern, der Einband, das alles müsse zum Inhalt passen, das Material stimmig sein. "Um ein schönstes Buch zu werden, muss wirklich von innen nach außen und von außen nach innen alles stimmen."
Die Schönheit von Büchern wird vom Inhalt her gedacht
Das sieht auch Markus Dreßen nicht anders. Der Achtundvierzigjährige unterrichtet Grafik-Design an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig. Seit 2001 ist er Mitherausgeber der Zeitschrift Spector und Mitbegründer des gleichnamigen Verlags. Er gestaltet kunsttheoretische Bücher, Kataloge und Zeitschriften, oft für den internationalen Markt. Der Stiftung Buchkunst verdankt er viel, wie er im Gespräch mit der DW berichtet, auch von ihm gestaltete Bücher wurden schon ausgezeichnet. Trotzdem gehört er zu den Initiatoren eines Offenen Briefes, in dem führende Designer die Arbeit der Stiftung im letzten Jahr harsch kritisierten und sogar eine alternative Institution forderten, um künstlerische Buchgestaltung aufzuspüren.
"Heutzutage wird die Schönheit von Büchern vom Inhalt her gedacht, gute Reihenkonzepte, Covergestaltung", sagte der Hochschullehrer. Das Niveau der Zusammenarbeit von Editoren, Gestaltern, Herstellern, Druckerei und Buchbinderei sei in den letzten 20 Jahren sehr angestiegen. "Das ist beeindruckend. Alle Bücher, die nicht von innen heraus diese Stimmigkeit erzeugen, diese intelligenten Konzepte anstreben, haben heute keine Sichtbarkeit."
Gute Gestaltung ist individuelle Gestaltung
Herausragende Bücher aber zeichneten sich durch sehr individuelle und sehr vielschichtige Buchkonzepte aus. Deshalb hält Dreßen die Straffung des nationalen Buchkunstwettbewerbs, die 2012 vollzogen wurde, für falsch. Man habe von 50 auf 25 prämierte Bücher reduziert, nur noch fünf statt sieben Kategorien. "Der ganze Wettbewerb ist mit der Formel 'Fünf mal Fünf' sehr stark auf den Buchhandel ausgerichtet worden, weil sich 50 Bücher im Buchhandel nicht kommunizieren lassen. Aber ein Tisch mit 25 Büchern bekommt Aufmerksamkeit." Der ganze Wettbewerb sei in seiner Vielfalt verengt worden.
"Ich sehe bei meinen Studierenden, dass dieser Wettbewerb an Einfluss verloren hat", erzählt der Grafiker. "Studierende schauen bei Instagram, wo neue Trends sind, wo neue Buchgestaltung passiert - und evaluieren diese Buchgestaltung mit Klicks. Dass sich die Stiftung Buchkunst als Autorität hinstellt und sagt, wir wissen, was schöne Bücher sind, das interessiert junge Menschen nicht, das geht an denen vorbei."
Schöne Bücher spielen mit Konventionen
Welche Rolle kann das Buch in der Zukunft spielen? Es steht in Konkurrenz zu anderen Medien. Um zu verhindern, dass sich die nächste Generation vom Buch abwendet, muss man, so sieht es Dreßen, auch Designer miteinbeziehen in die Fragestellung, wie das Medium Buch weiterentwickelt werden kann. "Heutzutage spielen verschiedene Medien miteinander, genau da müsste der Stiftungsauftrag erweitert werden, um sich einer jüngeren Generation zuzuwenden."
Die digitale Buchgestaltung eröffnet immer wieder neue Gestaltungsmöglichkeiten. "Doch das Buch ist ein Medium mit sehr starken Konventionen", darauf weist Stefan Stefanescu hin, der an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) redaktionelles Design unterrichtet. "Schöne Bücher sind häufig die, die intelligent mit den Konventionen spielen oder sie verändern - also etwas Neues machen im Bewusstsein der Konventionen, die am Buch hängen." Möglicherweise ist das die Formel, mit der sich die Seele der schönsten Bücher entdecken lässt.