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PolitikSenegal

Was Senegals verschobene Wahl für Westafrika bedeutet

Katrin Gänsler
9. Februar 2024

Die Verschiebung der Präsidentschaftswahl im Senegal ist zunächst eine innenpolitische Krise. Die Folgen sind jedoch für die ganze Region enorm. Längst sind aber noch nicht alle Konsequenzen absehbar.

 Dakar, Ansicht vom Atlantischen Ozean, Flüssiggasschiff am linken Bildrand
Sicht auf Dakar: Für die geplante Industrialisierung braucht Senegal ausländische InvestitionenBild: Katrin Gänsler/DW

Es ist später Nachmittag in Dakar. Auf den Hauptstraßen von Senegals Hauptstadt rollt der Feierabendverkehr. Anders im Stadtteil Yarakh, der direkt am Meer liegt: Hier spielen Kinder auf den sandigen Straßen. Die Kunden, die vor den kleinen Geschäften stehen, haben seit Tagen ein Gesprächsthema: die verschobenen Wahlen. Senegal sollte am 25. Februar einen neuen Staatschef wählen. Nach zwei Amtszeiten stand Präsident Macky Sall nicht mehr auf dem Stimmzettel. Vergangenen Samstag, einen Tag vor dem geplanten Wahlkampfauftakt, setzte er die Wahl aus, was für Proteste sorgte. Das Parlament hat mittlerweile mehrheitlich zugestimmt, die Abstimmung auf den 15. Dezember zu verlegen. Ein Teil der Opposition hat allerdings Beschwerde beim Verfassungsrat eingereicht.

Cheikh Ndiaye arbeitet als Schauspieler in Yarakh. Der 37-Jährige ist noch immer entsetzt. "Wenn man ein junger Mensch ist, will man, dass der Präsident die Wahlen durchführen lässt und dann geht", sagt er. Doch jetzt halte Macky Sall vorerst an der Macht fest, und gerade die junge Generation - das Durchschnittsalter im Senegal liegt bei 19 Jahren - sei enttäuscht. Ndiaye ist sich sicher: "Selbst jene Leute, die gar nicht nach Europa emigrieren wollen: Wenn sie diese Situation sehen, fangen sie an, sich das anders zu überlegen. Ich sage es ungern. Aber diese Politik ermutigt junge Menschen, das Land zu verlassen."

Ein Land im Stillstand

Migration ist ein komplexes Thema. Die Gründe dafür seien wirtschaftliche wie politische, so Samira Daoud, die das Büro der Menschenrechtsorganisation Amnesty International für West- und Zentralafrika leitet. Und sie sagt: "Die wirtschaftliche Situation wird oft vom politischen Kontext bestimmt". Ein erneuter Anstieg der Abwanderung könnte deshalb eine der bisher ungeahnten Konsequenzen der Wahlverschiebung sein. Das hätte Auswirkungen - nicht nur für den westafrikanischen Küstenstaat mit einer Bevölkerung von gut 18 Millionen, sondern wohl auch für Europa.

Auch politische Krisen verschärfen Migration, sagt Schauspieler Cheikh NdiayeBild: Katrin Gänsler/DW

Senegal galt in einer Region, die seit August 2020 sechs Staatsstreiche erlebt hat, bisher als demokratisch gefestigtes Land. Das sei für Investitionen aus dem Ausland stets wichtig gewesen, sagt Ibrahima Kane, Jurist und Analyst bei der Open Society Initiative for West Africa (OSIWA). "Alle Gewinne, auch die wirtschaftlichen, verdanken wir dem Bild des Senegal im Ausland. Das Land ist nicht reich und hat nur wenige Rohstoffe. Selbst die Gas- und Ölvorkommen, über die alle gerade sprechen, sind nicht groß." Senegal habe stattdessen sein demokratisches System genutzt. "Das wird nicht mehr so sein. Die Soft Power, die Senegal hatte, wird verschwinden."

Region Westafrika zerfällt weiter

Ohnehin sind Investoren vor Wahlen abwartend. Diese Situation verlängert sich jetzt möglicherweise um fast ein ganzes Jahr. Dabei waren ausländische Direktinvestitionen in den vergangenen Jahren gestiegen und lagen laut Weltinvestitionsbericht der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) 2022 bei 2,23 Milliarden US-Dollar (rund zwei Milliarden Euro). Das war ein deutlicher Anstieg gegenüber 1,85 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021. Investitionen gelten als zentrales Mittel, um das Land zu industrialisieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Jährlich drängen rund 200.000 junge Menschen auf den Arbeitsmarkt.

Für Analyst Ibrahima Kane kommt die Wahlverschiebung im "schlechtesten Moment"Bild: Katrin Gänsler/DW

Doch nicht nur die Wirtschaft dürfte leiden: Das politische Ausmaß der Wahlverschiebung könnte verheerend sein, fürchten Beobachter. Senegal grenzt an Mali. Dort und in den Sahelstaaten Burkina Faso und Niger sind Terrorgruppen aktiv, die Al-Kaida und dem IS nahestehen. Längst sind auch südliche Nachbarstaaten betroffen. Senegal war bisher eher die Ausnahme. Analyst Kane ist allerdings skeptisch, ob das so bleiben wird: "In den vergangenen zwei bis drei Jahren ist viel passiert bezüglich Schläferzellen, die im Senegal entstanden sind und Gegenstand von Urteilen waren. Das zeigt: Das Land ist gegen so etwas nicht immun." Die Befürchtung: Islamistische Gruppen könnten sich die innenpolitische Krise zunutze machen.

Schwache Regionalorganisation ECOWAS

Betroffen ist auch die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Ende Januar kündigten Mali, Burkina Faso und Niger, die nach Putschen von Militärs regiert werden, ihren Austritt an. Umso wichtiger sei Senegal, sagt Philipp Goldberg von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Er leitet in Dakar das Kompetenzzentrum der FES für Frieden und Sicherheit in Sub-Sahara-Afrika. "Senegal ist ein ganz wichtiger Mitgliedsstaat für die ECOWAS, aber auch generell im multilateralen Engagement", sagt Goldberg. So sei das Land der größte afrikanische Truppensteller in der UN-Mission für Mali gewesen, die vergangenes Jahr nach Uneinigkeit mit der Militärregierung dort zu Ende ging. "Durchaus hat man sich hier politisch sehr stark mit regionalen Themen auseinandergesetzt und selbstverständlich engagiert." Die ECOWAS sei besorgt, dass auch Senegal ein destabilisierender Faktor werden könne.

Denn die Organisation, die bisher 15 Mitgliedsstaaten hatte, verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit. Militärische Staatsstreiche werden scharf kritisiert. Mitte der Woche forderte die ECOWAS Senegal zwar auf, die Terminplanung der Wahlen einzuhalten. Trotzdem seien die Statements noch sehr diplomatisch, vage und freundlich formuliert, so Goldberg: "Da beglückwünscht man Macky Sall sozusagen noch dazu, dass er die Verfassung seines Landes respektiert und nicht die dritte Amtszeit anstrebt. Das zeigt, glaube ich, ganz stark, wie nervös die Region ist." 

Menschenrechte nicht nur im Senegal in Gefahr   

Das kann sich künftig auch auf die Situation der Menschenrechte auswirken. Senegal habe bisher innerhalb der ECOWAS dazu aufgerufen, Institutionen, Demokratie und Rechte zu respektieren, betont Amnesty-Vertreterin Samira Daoud. Menschenrechtsverletzungen, Versammlungsverbote und Verhaftungen ohne Prozesse haben allerdings in den vergangenen Jahren auch dort zugenommen.

Vor zwölf Jahren erhielt Macky Sall viel Unterstützung. Heute gilt er als Verantwortlicher für die Krise.Bild: Katrin Gänsler/DW

Bei den Protesten nach der Ankündigung der Wahlverschiebung setzte die Polizei unmittelbar Tränengas gegen Demonstrierende ein und ließ das mobile Internet mindestens 36 Stunden abschalten. "Wenn diese Länder [Senegal] allerdings selbst Rechte und Freiheiten einschränken und auf brutale Art den Wahlprozess einschränken, sehe ich nicht, wie die ECOWAS künftig eine glaubhafte Stimme gegenüber den Ländern besitzt, die sie sanktioniert hat", sagt Daoud.